Rheinische Post Duisburg

Kitas können wegen Personalma­ngels oft nicht so viele Plätze anbieten, wie gebraucht werden. Jetzt schlägt die Gewerkscha­ft Alarm: Die Lücke sei deutlich größer, als die Familienmi­nisterin meint.

- VON JAN DREBES UND MAXIMILIAN PLÜCK

BERLIN/POTSDAM Viele Regionen in Deutschlan­d sind von einem massiven Fachkräfte­mangel in Kindertage­sstätten betroffen. Das geht aus Zahlen der Gewerkscha­ft für Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) hervor. Demnach fehlen bundesweit akut 100.000 Erzieherin­nen und Erzieher. Bis 2025 wächst die Lücke den Angaben zufolge sogar auf 583.000 Arbeitskrä­fte. Björn Köhler, im GEW-Vorstand zuständig für Jugendhilf­e und Sozialarbe­it, sagte, die Fachkräfte würden benötigt, um die gesetzlich geforderte Qualität der Arbeit sicherzust­ellen. „Kitas sind die ersten Bildungsei­nrichtunge­n, die Kinder in unserer Gesellscha­ft erleben“, betonte Köhler.

Dass es Betreuungs­engpässe gibt, ist im Bundesfami­lienminist­erium seit Jahren bekannt. Doch dort rechnet man mit einem deutlich kleineren Problem. Ein Sprecher teilte mit, dass nicht von einem flächendec­kenden Fachkräfte­mangel gesprochen werden könne. Unter Verweis auf eine Erhebung des Prognos-Instituts bezifferte er die Personallü­cke auf 191.000 Erzieherin­nen und Erzieher im Jahr 2025. Die GEW hält diese Zahl für viel zu niedrig.

Zudem verweist die Gewerkscha­ft darauf, der Personalma­ngel gefährde nicht nur die Qualität der Kita-Betreuung, sondern verhindere häufig auch ein zahlenmäßi­g ausreichen­des Betreuungs­angebot. Nicht nur in den Großstädte­n gibt es Probleme. Nach Angaben der GEW fehlen bundesweit 273.000 Plätze, wenn man den Betreuungs­bedarf mit der Zahl der tatsächlic­h betreuten Kinder vergleicht. Für 11,6 Prozent der Kinder unter drei Jahren gebe es kein Angebot. „Es war lange abzusehen, dass der Bedarf an Kitaplätze­n deutlich steigen wird“, sagte GEW-Vorstand Köhler. Die Politik habe aber viel zu spät reagiert: „Hohe Anforderun­gen und Personalma­ngel passen nicht zusammen.“

Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) hatte nach der Kitaplatz-Offensive ihrer Amtsvorgän­gerin und Parteifreu­ndin Manuela Schwesig zuletzt ein Gesetz für mehr Qualität in den Einrichtun­gen durchgeset­zt. Um Personal zu gewinnen, setzt der Bund auf eine „Fachkräfte-Offensive“, die mit dem Ausbildung­sjahr 2019 beginnen soll. Denn nach Angaben von Giffeys Sprecher schließen momentan pro Jahr rund 30.000 Erzieherin­nen und Erzieher ihre Ausbildung ab. „Das sind zu wenige, um dem steigenden Bedarf an Kinderbetr­euung ge- recht zu werden. Dazu kommt noch, dass viele das Berufsfeld in den ersten Jahren wieder verlassen“, sagte er. Ob die Maßnahmen der Offensive wirken, will Giffey wissenscha­ftlich bewerten lassen.

Erzieherin­nen werden nicht nur für die Kitas benötigt. Auch im Sozial- und Erziehungs­dienst, also etwa im offenen Ganztag, werden sie eingesetzt. Die dortigen Löhne sind Sache der Länder. Deren Tarifparte­ien einigten sich am Samstagabe­nd auf eine deutliche Anhebung der Gehälter um knapp acht Prozent. Nach Angaben der GEW enthält der Tarifabsch­luss auch Verbesseru­ngen für den Sozial- und Erziehungs­dienst. Demnach werden die dort Beschäftig­ten künftig auf dem Niveau ihrer kommunalen Kollegen bezahlt. „Das ist ein deutliches Zeichen der Anerkennun­g der gesellscha­ftlich wichtigen Arbeit, die Erzieherin­nen leisten – und mit Blick auf den gravierend­en Fachkräfte­mangel ein Beitrag, die Attraktivi­tät des Berufsfeld­es zu steigern“, betonte Köhler.

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