Kitas können wegen Personalmangels oft nicht so viele Plätze anbieten, wie gebraucht werden. Jetzt schlägt die Gewerkschaft Alarm: Die Lücke sei deutlich größer, als die Familienministerin meint.
BERLIN/POTSDAM Viele Regionen in Deutschland sind von einem massiven Fachkräftemangel in Kindertagesstätten betroffen. Das geht aus Zahlen der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) hervor. Demnach fehlen bundesweit akut 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Bis 2025 wächst die Lücke den Angaben zufolge sogar auf 583.000 Arbeitskräfte. Björn Köhler, im GEW-Vorstand zuständig für Jugendhilfe und Sozialarbeit, sagte, die Fachkräfte würden benötigt, um die gesetzlich geforderte Qualität der Arbeit sicherzustellen. „Kitas sind die ersten Bildungseinrichtungen, die Kinder in unserer Gesellschaft erleben“, betonte Köhler.
Dass es Betreuungsengpässe gibt, ist im Bundesfamilienministerium seit Jahren bekannt. Doch dort rechnet man mit einem deutlich kleineren Problem. Ein Sprecher teilte mit, dass nicht von einem flächendeckenden Fachkräftemangel gesprochen werden könne. Unter Verweis auf eine Erhebung des Prognos-Instituts bezifferte er die Personallücke auf 191.000 Erzieherinnen und Erzieher im Jahr 2025. Die GEW hält diese Zahl für viel zu niedrig.
Zudem verweist die Gewerkschaft darauf, der Personalmangel gefährde nicht nur die Qualität der Kita-Betreuung, sondern verhindere häufig auch ein zahlenmäßig ausreichendes Betreuungsangebot. Nicht nur in den Großstädten gibt es Probleme. Nach Angaben der GEW fehlen bundesweit 273.000 Plätze, wenn man den Betreuungsbedarf mit der Zahl der tatsächlich betreuten Kinder vergleicht. Für 11,6 Prozent der Kinder unter drei Jahren gebe es kein Angebot. „Es war lange abzusehen, dass der Bedarf an Kitaplätzen deutlich steigen wird“, sagte GEW-Vorstand Köhler. Die Politik habe aber viel zu spät reagiert: „Hohe Anforderungen und Personalmangel passen nicht zusammen.“
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte nach der Kitaplatz-Offensive ihrer Amtsvorgängerin und Parteifreundin Manuela Schwesig zuletzt ein Gesetz für mehr Qualität in den Einrichtungen durchgesetzt. Um Personal zu gewinnen, setzt der Bund auf eine „Fachkräfte-Offensive“, die mit dem Ausbildungsjahr 2019 beginnen soll. Denn nach Angaben von Giffeys Sprecher schließen momentan pro Jahr rund 30.000 Erzieherinnen und Erzieher ihre Ausbildung ab. „Das sind zu wenige, um dem steigenden Bedarf an Kinderbetreuung ge- recht zu werden. Dazu kommt noch, dass viele das Berufsfeld in den ersten Jahren wieder verlassen“, sagte er. Ob die Maßnahmen der Offensive wirken, will Giffey wissenschaftlich bewerten lassen.
Erzieherinnen werden nicht nur für die Kitas benötigt. Auch im Sozial- und Erziehungsdienst, also etwa im offenen Ganztag, werden sie eingesetzt. Die dortigen Löhne sind Sache der Länder. Deren Tarifparteien einigten sich am Samstagabend auf eine deutliche Anhebung der Gehälter um knapp acht Prozent. Nach Angaben der GEW enthält der Tarifabschluss auch Verbesserungen für den Sozial- und Erziehungsdienst. Demnach werden die dort Beschäftigten künftig auf dem Niveau ihrer kommunalen Kollegen bezahlt. „Das ist ein deutliches Zeichen der Anerkennung der gesellschaftlich wichtigen Arbeit, die Erzieherinnen leisten – und mit Blick auf den gravierenden Fachkräftemangel ein Beitrag, die Attraktivität des Berufsfeldes zu steigern“, betonte Köhler.
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