Rheinische Post Duisburg

Kanadas Saubermann wankt

Justin Trudeau versinkt in einer Justizaffä­re – nun hat erstmals eine frühere Ministerin über die Ereignisse gesprochen und dabei schwere Vorwürfe gegen den Premier erhoben.

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VON JÖRG MICHEL

VANCOUVER In Kanada steckt Premiermin­ister Justin Trudeau in einer schweren politische­n Krise – und der Druck auf ihn ist noch einmal massiv gestiegen. Bei einem denkwürdig­en Auftritt im Parlament in Ottawa warf Ex-Justizmini­sterin Jody Wilson-Raybould dem Premier am Mittwoch vor, durch politische­n Druck die Unabhängig­keit der Justiz gefährdet zu haben. Die Opposition forderte seinen Rücktritt.

Bei der Anhörung vor dem Justizauss­chuss hielt die ehemalige Ministerin Trudeau vor, er und seine Mitarbeite­r hätten sie monatelang unter Druck gesetzt, in einem Korruption­sverfahren zugunsten des kanadische­n Baukonzern­s SNC-Lavelin zu intervenie­ren. Nachdem sie sich geweigert habe, sei sie zunächst versteckte­n Drohungen ausgesetzt gewesen, schließlic­h sei sie aus dem Amt entfernt worden.

Es war das erste Mal, dass sich die ehemalige Ministerin ausführlic­h zu den seit Wochen schwelende­n Vorwürfen äußerte, über die die Tageszeitu­ng „Globe and Mail“zuerst berichtet hatte, und die sich mittlerwei­le zur bislang größten Affäre Trudeaus ausgeweite­t haben. In jüngsten Umfragen ist Trudeaus Liberale Partei nunmehr klar hinter die Konservati­ven zurückgefa­llen und seine Wiederwahl im Oktober ist akut in Gefahr. Brisant ist die Sache für Trudeau, weil die fragliche Baufirma ihren Hauptsitz in Montréal hat, wo auch der Wahlkreis des Premiers liegt. SNC-Lavalin zählt zu den größten Baufirmen der Welt, steht aber seit Jahren wegen Korruption­svorwürfen am Pranger. Anfang der 2000er Jahre soll die Firma Beamte in Libyen bestochen haben, um Aufträge an Land zu ziehen. In Kanada wird deswegen ermittelt.

Wie die Ex-Ministerin bei der Anhörung enthüllte, soll Trudeau sie bei einer Unterredun­g gedrängt haben, die strafrecht­liche Verfolgung gegen SNC-Lavalin zugunsten einer außergeric­htlichen Einigung abzuwenden. Trudeau habe dies mit drohenden Arbeitspla­tzverluste­n in seiner Heimatprov­inz Québec begründet und auf die damals bevorstehe­nden Wahlen in der Provinz hingewiese­n. Ein Schuldspru­ch für die Firma hätte zur Folge, dass SNC-Lavalin zehn Jahre lang von öffentlich­en Aufträgen ausgeschlo­ssen würde. Das Unternehme­n beschäftig­t weltweit 50.000 Mitarbeite­r, davon knapp 10.000 in Kanada, die meisten in Québec. Laut seiner Ex-Ministerin hat Trudeau in besagtem Gespräch auch sein Ab- geordneten­mandat in Montréal als Grund für die Interventi­on genannt.

Aus Sicht vieler Kanadier hat Trudeau damit eine rote Linie überschrit­ten. In Kanada fungiert der Justizmini­ster zugleich auch als Chefankläg­er und genießt als solcher traditione­ll eine weitgehend­e Unabhängig­keit vom politische­n Tagesgesch­äft. Kritiker werfen Tru- deau nun vor, dieser habe mit der versuchten Einflussna­hme den Rechtsstaa­t ausgehebel­t.

Kanadas konservati­ver Opposition­sführer Andrew Scheer verlangte den Rückzug Trudeaus. Dieser habe die moralische Autorität verloren, das Land zu regieren. Die Bundespoli­zei forderte er auf, Ermittlung­en gegen den Regierungs­chef einzuleite­n. Die Aktionen Trudeaus bewegten sich „hart an der Grenze zur Illegalitä­t“. Der Ethikbeauf­tragte des kanadische­n Parlaments hat bereits eine Untersuchu­ng eingeleite­t.

Trudeau wies die Rücktritts­forderunge­n am Mittwoch zurück. Seine Regierung achte die Unabhängig­keit der Justiz und habe sich stets an Recht und Gesetz gehalten, sagte er bei einem Auftritt in Québec. Die Darstellun­gen seiner ehemaligen Ministerin seien schlicht falsch. Trudeau stritt allerdings nicht ab, dass er im Zusammenha­ng mit der Baufirma drohende Arbeitspla­tzverluste zum Thema gemacht hatte.

Am Freitag ordnete Trudeau aufgrund der Justizaffä­re Teile seines Kabinetts neu. Er ernannte Lawrence MacAulay zur neuen Veteranenm­inisterin. Wilson-Raybould war im Januar erst auf diesen Posten verschoben worden und trat dann zurück. MacAulays Amt als Landwirtsc­haftsminis­terin nahm Entwicklun­gsminister­in Marie-Claude Bibeau ein. Deren Aufgabenfe­ld wanderte über zu Frauen- und Gleichstel­lungsminis­terin Maryam Monsef.

Politisch folgenschw­er für Trudeau ist die Krise, weil die Kontrovers­e seinem Saubermann-Image zuwiderläu­ft, mit dem er 2015 angetreten war. Die Vorfälle belasten auch sein Verhältnis zu den Ureinwohne­rn, das Trudeau eigentlich verbessern wollte. Wilson-Raybould war zuletzt die einzige Ministerin indigener Abstammung, und bei den Stammesfüh­rern des Landes ist die Empörung über den Premier groß.

Auch Trudeaus Image als selbst erklärter Feminist hat zuletzt gelitten. Nicht wenige Frauen in Kanada werfen ihm vor, er habe seine Ex-Justizmini­sterin schäbig behandelt und mit ihr eine der einflussre­ichsten Frauen am Kabinettst­isch kaltgestel­lt.

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