Cambridge 5 – Zeit der Verräter
Ja, und Leute wie Stef umbringen.“„Wer?“„Das Mädchen. Aber wir wissen immer noch nicht, wer sie führt.“
29- Mai 2015 Cambridge
Wera war sich nicht sicher, ob Hunt ihren ersten Zwischenbericht schon gelesen hatte. Aber auf ihr neues Kapitel würde er reagieren müssen. Sie beschrieb darin ganz detailliert, wie Philby nach Burgess‘ und Macleans Flucht verdächtigt und verhört worden war. Wenn David recht hatte und Hunt sich wirklich schuldig gemacht hatte, dann würde er in dieser Geschichte die Parallelen zu seinem eigenen Leben sofort erkennen.
Sie legte das Kapitel in sein Collegepostfach und wartete.
Zweiter Zwischenbericht für Professor Hunt
Nachdem Burgess und Maclean 1951 verschwunden waren, vermutete die britische Öffentlichkeit nun überall russische Spione. Bisher kannte man Spionagefieber und Kommunistenhatz nur aus Amerika. Aber dank Burgess‘ und Macleans Flucht hatte das amerikanische McCarthy-Fieber Großbritannien erreicht. Philby wusste, in welcher Gefahr er sich befand. Er hatte immer einen Fluchtplan für Notfälle parat. Als im Mai 1951 die Order des MI6 kam, er solle sofort Washington verlassen und sich in London melden, erwog er, über Mexiko in die Sowjetunion zu fliehen. Am Ende entschied er sich dagegen und reiste nach London. Es war die Entscheidung eines routinierten Spielers, der immer noch ein paar gute Karten in der Hand hält. Eine der besten Karten war Philbys große Erfahrung mit Verhörmethoden. Es gab wenige Tricks, die er nicht kannte. Er würde Antworten bereithaben, bevor die Fragen überhaupt erst gedacht worden waren.
Ein weiterer Trumpf waren seine vielen treuen Freunde im MI6. Sie glaubten an seine Unschuld, und sie würden alles tun, um ihm zu helfen. In seinen Memoiren schrieb Philby über diese „nützlichen Idioten“: „In London [gab] es viele Männer in hoher Stellung, die leidenschaftlich wünschten, meine Unschuld erwiesen zu sehen. Sie würden geneigt sein, den Grundsatz in dubio pro anzuwenden.“
Diese „hochgestellten Männer“hatten ihm geholfen, innerhalb des MI6 aufzusteigen, und sie konnten sich jetzt nicht eingestehen, einen Fehler begangen zu haben. Für sie war die Angelegenheit eine Frage der Ehre - und der Eitelkeit. Wer gibt schon gerne zu, sich getäuscht zu haben?
Am Ende würden diese hochgestellten Männer Dinge für ihn riskieren, die sie nicht einmal für ihre engsten Familienangehörigen getan hätten. Philby nahm all das als selbstverständlich hin, er ließ die anderen an seiner Verteidigung arbeiten.
Trotzdem wusste er, dass ein paar sehr unangenehme Fragen auf ihn zukommen würden. In seinen Memoiren beschrieb er später, wie er sich darauf vorbereitet hatte:
„Da war meine Verbindung zur Linken in Cambridge. Sie war so bekannt, dass es keinen Sinn hatte, sie zu verbergen. Aber ich war nie der Kommunistischen Partei in England beigetreten, und es würde bestimmt schwer sein, achtzehn Jahre danach zu beweisen, dass ich illegal in Österreich tätig gewesen war, zumal die meisten meiner Wiener Freunde bestimmt schon tot waren.“
In diesem Punkt hatte er recht. Viele von seinen kommunistischen Mitkämpfern waren im Krieg oder in Konzentrationslagern umgekommen.
Der Mann, der Philby als Erster verhörte, war der Chef des MI5 Dick White. Es war kein Gespräch auf Augenhöhe, zumindest nicht in den Augen des MI6. Bis heute werden MI5 und MI6 unterschwellige Konkurrenzkämpfe nachgesagt. In den Fünfzigerjahren existierten nicht nur Konkurrenzkämpfe, sondern auch Klassenkämpfe zwischen den beiden Diensten. Der MI6 sah sich als die geistige und gesellschaftliche Elite. Seine Mitarbeiter kamen aus Oberschichtsfamilien und hatten in Oxford und Cambridge studiert. Die MI5-Mitarbeiter hingegen stammten vorwiegend aus der Mittelschicht, viele aus Polizeifamilien. Natürlich gab es auch Ausnahmen. Victor Rothschild und Anthony Blunt arbeiteten im Krieg für den MI5 und waren durch und durch Produkte der britischen Oberschicht. Doch trotz dieser Ausnahmen verschwand das soziale Gefälle zwischen den beiden Diensten nie ganz. Die Mitarbeiter vom MI5 galten als eindimensional denkende Polizisten, während MI6-Leute sich als kreative Spionagegenies verstanden. Philbys Respekt für den Mann, der ihn als Erstes verhörte - Dick White vom MI5 -, war aus diesem Grund relativ begrenzt. Aber er wusste, dass White ein guter Polizist war, der bei allem Mangel an Fantasie eine Menge Indizien zusammengetragen hatte.
Mittlerweile lagen auch zwei Berichte über Philby aus Amerika vor: einer vom CIA-Mann James Angleton, der seinen alten Freund Philby vehement verteidigte, und einer von Bill Harvey, dem Chef der CIA-Gegenspionage. Es war Harveys Ehefrau Libby gewesen, die ein paar Monate zuvor von Guy Burgess bei einer Abendeinladung schwer beleidigt worden war.
Harvey hatte nichts davon vergessen. Er hatte auch nicht vergessen, wie nah Burgess und Philby einander standen. In seinem Bericht zeichnete Harvey jetzt alle Ungereimtheiten in Philbys Karriere nach: seine frühe Phase als Kommunist, seine Wandlung nach rechts, das merkwürdige Verhalten in der Istanbuler Affäre um den Überläufer Wolkow und die gescheiterten Operationen in Albanien und der Ukraine. Für Harvey war es eindeutig, dass Philby für die Sowjetunion arbeitete.
Ein weiterer belastender Punkt für Philby war die Aussage des sowjetischen Überläufers Kriwitzki. Kriwitzki war zwar nicht mehr am Leben, aber seine Aussage lag immer noch in den Archiven und wurde jetzt wieder hervorgeholt. Er hatte zu Protokoll gegeben, dass der sowjetische Geheimdienst im
Bürgerkrieg einen jungen englischen Journalisten nach Spanien geschickt habe. Dick White vermutete, dass das Kim Philby gewesen war. Philby stritt dies natürlich ab. In seinen Memoiren schrieb er: „Weitere Einzelheiten, die auf mich hätten passen können, fehlten. Viele junge Männer aus der Fleet Street waren nach Spanien gegangen.“
(Fortsetzung folgt)