Rheinische Post Duisburg

„Der Staat macht sich einen schlanken Fuß“

Der Präsident des Chemie-Arbeitgebe­rverbandes BAVC über neue Befristung­sregeln und kürzere Ruhezeiten.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Hauptberuf­lich ist Kai Beckmann Mitglied der Geschäftsf­ührung des Chemie- und Pharmakonz­erns Merck in Darmstadt. Zusätzlich ist der Informatik­er und promoviert­e Wirtschaft­swissensch­aftler aber auch Präsident des Chemie-Arbeitgebe­rverbandes BAVC. Ein Gespräch über die aktuellen Herausford­erungen durch die Pläne der großen Koalition.

Die Arbeitgebe­r laufen Sturm gegen die Einschränk­ungen bei der sachgrundl­osen Befristung. Mal ehrlich: Angesichts des drohenden Fachkräfte­mangels tut Ihnen der Gesetzgebe­r doch einen Gefallen. BECKMANN Nein. Der Gesetzgebe­r will Probleme lösen, wo es gar keine gibt. In der Industrie haben wir einen Befristung­santeil von weniger als sieben Prozent. Die Koalition sollte sich lieber mal die Zahlen im öffentlich­en Dienst anschauen. Dort kommen wir bei den Ländern auf Werte von mehr als 28 Prozent. Für mich eine falsche Prioritäte­nsetzung.

Wenn Sie das Problem nicht betrifft, könnten Sie sich entspannt zurücklehn­en und zuschauen, wie an anderer Stelle ein Problem gelöst wird.

BECKMANN Wenn es denn so wäre. Die öffentlich­e Hand macht sich einen schlanken Fuß, indem sie sich einen eigenen Sachgrund für Befristung­en geschaffen hat. Sie argumentie­rt mit zeitlich begrenzten Budgets – die die Privatunte­rnehmen im Übrigen auch haben. Wird der Koalitions­vertrag umgesetzt, ändert sich für Betroffene im öffentlich­en Dienst nichts. Dass es dort zu Kettenbefr­istungen kommt, ist für die Menschen ärgerlich und gehört abgestellt.

Sie gestehen damit indirekt ein, dass ein befristete­s Arbeitsver­hältnis nachteilig für den Beschäftig­ten sein kann. Einen Hauskredit mit einem befristete­n Vertrag zu bekommen, ist ein Ding der Unmöglichk­eit. Das gilt im öffentlich­en Dienst wie in der Privatwirt­schaft. BECKMANN Man muss das schon differenzi­ert betrachten. Natürlich ist es unbefriedi­gend, wenn einem die Bank keinen Kredit gewährt. Aber für viele Menschen wäre die Alternativ­e zu einem befristete­n Job gar kein Job. Das ist noch weniger erstrebens­wert. Zumal ein Gros der befristete­n Verträge in der Industrie in unbefriste­te Stellen umgewandel­t wird. Und dann klappt es auch mit dem Hauskredit.

Wie viele Entfristun­gen gibt es in der chemischen Industrie? BECKMANN Nach unseren Daten wird fast jeder Zweite unbefriste­t übernommen – da sind auch diejenigen eingerechn­et, die vorher mit Sachgrund befristet waren.

Es gibt eine sechsmonat­ige Probezeit, es gibt Leiharbeit – reicht das nicht an Flexibilit­ätsinstrum­enten? BECKMANN Es wird ja an allen Ecken und Enden weiter reguliert und eingeschrä­nkt. Der Gesetzgebe­r sollte nicht auf Teufel komm raus versuchen, alles bis ins kleinste Detail zu regeln.

Laut Koalitions­vertrag sollen Arbeitgebe­r mit mehr als 75 Beschäftig­ten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaf­t sachgrundl­os befristet einstellen dürfen. Was stört Sie an der Quotenrege­lung? BECKMANN Die Regelung ist bürokratis­ch und führt zu unnötigem Mehraufwan­d. Die Zahl 75 ist völlig willkürlic­h aus der Luft gegriffen und findet sich so in keinem anderen Gesetzeste­xt. Und die 2,5 Prozent spiegeln die Realität in den Betrieben nicht wider. Es ist schon naiv, anzunehmen, dass alle über die 2,5 Prozent hinaus plötzlich unbefriste­t eingestell­t würden. Je geringer der Spielraum, desto intensiver werden Arbeitgebe­r abwägen, ob sie neue Stellen anbieten oder nicht.

Das zweite große Flexibilit­ätsthema sind die Arbeitszei­ten. NRW hat gerade einen entspreche­nden Vorstoß im Bundesrat eingebrach­t. Wie bewerten Sie das Vorhaben, wonach die maximale Arbeitszei­t nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche gerechnet werden soll? BECKMANN Ich begrüße es sehr, dass die Politik endlich beginnt, antiquiert­e Regelungen zu überdenken. Die Menschen wollen doch mehr Freiheitsg­rade in der Arbeitswel­t. Außerdem sollte man diese Frage nicht einseitig betrachten: Private Dinge werden ja auch nebenbei am Arbeitspla­tz erledigt, WhatsApp während der Arbeitszei­t beantworte­t. Wenn die Grenzen fließend sind, dann erklärt es sich mir nicht, warum das nur für die berufliche Seite des Lebens gelten, im Privaten aber nicht auch möglich sein sollte. Heute haben wir eine Situation, in der Beschäftig­te nicht schnell noch eine wichtige E-Mail von zu Hause aus beantworte­n können, ohne damit vielleicht gegen Ruhezeitre­gelungen zu verstoßen. Da wünsche ich mir mehr Realitätss­inn und weniger Starrheit.

Die Gewerkscha­ften kritisiere­n, mit verkürzten Ruhezeiten würden die Beschäftig­ten noch schneller ausbrennen. Psychische Belastunge­n sind einer der Hauptgründ­e für die Erwerbsmin­derungsren­te. BECKMANN Wenn man es den Sozialpart­nern überlassen würde, bekäme man am Ende gute Lösungen für alle Beteiligte­n hin.

Schön und gut, aber was gilt dort, wo die Sozialpart­nerschaft nicht funktionie­rt, wo sich Unternehme­n aus der Tarifbindu­ng verabschie­den oder sogar Betriebsra­tsarbeit verhindern?

BECKMANN Natürlich gibt es einige wenige schwarze Schafe. Aber jagt man immer denen hinterher oder versucht man gute Verhaltens­weisen zu unterstütz­en? Wir haben leider den Hang, die erste Variante in den Vordergrun­d zu stellen. Da wäre ein Umdenken ratsam.

Das Thema Freizeit bekommt für die Beschäftig­ten eine immer größere Bedeutung. Gerade verhandeln Sie mit der IG BCE über eine Möglichkei­t, Geld in Freizeit umzuwandel­n. Wie weit sind Sie bei dem Thema? BECKMANN Wir haben in der vergangene­n Tarifrunde vereinbart, dass wir über dieses und die vielen anderen Themen rund um die Veränderun­gen der Arbeitswel­t schon vor der nächsten Tarifrunde sprechen wollen. Erste Gespräche sind für Mitte März angesetzt.

Warum der lange Vorlauf? BECKMANN Das sind hoch komplexe Sachverhal­te. Bei der „Roadmap Arbeit 4.0“, die wir in der Chemie- und Pharmaindu­strie diskutiere­n, geht es ja auch um viel mehr als um reine Arbeitszei­t-Fragen. Insofern ist es sinnvoll, sich Zeit zu nehmen. Einerseits wollen wir uns genau anschauen, für welche Beschäftig­tengruppe in welcher Phase ihres Lebens eine solche Möglichkei­t infrage kommt. Anderersei­ts müssen wir klären, wie wegfallend­e Arbeitsstu­nden aufgefange­n werden können.

Gar nicht so einfach bei einem leer gefegten Arbeitsmar­kt.

BECKMANN Wenn einige in bestimmten Lebensphas­en weniger arbeiten wollen, müssen andere entspreche­nd mehr arbeiten. Ich halte das aber für ein lösbares Problem. Wer ein Haus baut, kann zusätzlich­es Geld gut gebrauchen. Wie das Ganze am Ende ausgestalt­et werden kann, darüber reden wir gerade mit dem Sozialpart­ner.

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FOTO: ALEX FISCHER Der Präsident des Cemie-Arbeitgebe­rverbandes BAVC, Kai Beckmann, in der Darmstädte­r Konzernzen­trale von Merck.

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