„Der Staat macht sich einen schlanken Fuß“
Der Präsident des Chemie-Arbeitgeberverbandes BAVC über neue Befristungsregeln und kürzere Ruhezeiten.
DÜSSELDORF Hauptberuflich ist Kai Beckmann Mitglied der Geschäftsführung des Chemie- und Pharmakonzerns Merck in Darmstadt. Zusätzlich ist der Informatiker und promovierte Wirtschaftswissenschaftler aber auch Präsident des Chemie-Arbeitgeberverbandes BAVC. Ein Gespräch über die aktuellen Herausforderungen durch die Pläne der großen Koalition.
Die Arbeitgeber laufen Sturm gegen die Einschränkungen bei der sachgrundlosen Befristung. Mal ehrlich: Angesichts des drohenden Fachkräftemangels tut Ihnen der Gesetzgeber doch einen Gefallen. BECKMANN Nein. Der Gesetzgeber will Probleme lösen, wo es gar keine gibt. In der Industrie haben wir einen Befristungsanteil von weniger als sieben Prozent. Die Koalition sollte sich lieber mal die Zahlen im öffentlichen Dienst anschauen. Dort kommen wir bei den Ländern auf Werte von mehr als 28 Prozent. Für mich eine falsche Prioritätensetzung.
Wenn Sie das Problem nicht betrifft, könnten Sie sich entspannt zurücklehnen und zuschauen, wie an anderer Stelle ein Problem gelöst wird.
BECKMANN Wenn es denn so wäre. Die öffentliche Hand macht sich einen schlanken Fuß, indem sie sich einen eigenen Sachgrund für Befristungen geschaffen hat. Sie argumentiert mit zeitlich begrenzten Budgets – die die Privatunternehmen im Übrigen auch haben. Wird der Koalitionsvertrag umgesetzt, ändert sich für Betroffene im öffentlichen Dienst nichts. Dass es dort zu Kettenbefristungen kommt, ist für die Menschen ärgerlich und gehört abgestellt.
Sie gestehen damit indirekt ein, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis nachteilig für den Beschäftigten sein kann. Einen Hauskredit mit einem befristeten Vertrag zu bekommen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das gilt im öffentlichen Dienst wie in der Privatwirtschaft. BECKMANN Man muss das schon differenziert betrachten. Natürlich ist es unbefriedigend, wenn einem die Bank keinen Kredit gewährt. Aber für viele Menschen wäre die Alternative zu einem befristeten Job gar kein Job. Das ist noch weniger erstrebenswert. Zumal ein Gros der befristeten Verträge in der Industrie in unbefristete Stellen umgewandelt wird. Und dann klappt es auch mit dem Hauskredit.
Wie viele Entfristungen gibt es in der chemischen Industrie? BECKMANN Nach unseren Daten wird fast jeder Zweite unbefristet übernommen – da sind auch diejenigen eingerechnet, die vorher mit Sachgrund befristet waren.
Es gibt eine sechsmonatige Probezeit, es gibt Leiharbeit – reicht das nicht an Flexibilitätsinstrumenten? BECKMANN Es wird ja an allen Ecken und Enden weiter reguliert und eingeschränkt. Der Gesetzgeber sollte nicht auf Teufel komm raus versuchen, alles bis ins kleinste Detail zu regeln.
Laut Koalitionsvertrag sollen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristet einstellen dürfen. Was stört Sie an der Quotenregelung? BECKMANN Die Regelung ist bürokratisch und führt zu unnötigem Mehraufwand. Die Zahl 75 ist völlig willkürlich aus der Luft gegriffen und findet sich so in keinem anderen Gesetzestext. Und die 2,5 Prozent spiegeln die Realität in den Betrieben nicht wider. Es ist schon naiv, anzunehmen, dass alle über die 2,5 Prozent hinaus plötzlich unbefristet eingestellt würden. Je geringer der Spielraum, desto intensiver werden Arbeitgeber abwägen, ob sie neue Stellen anbieten oder nicht.
Das zweite große Flexibilitätsthema sind die Arbeitszeiten. NRW hat gerade einen entsprechenden Vorstoß im Bundesrat eingebracht. Wie bewerten Sie das Vorhaben, wonach die maximale Arbeitszeit nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche gerechnet werden soll? BECKMANN Ich begrüße es sehr, dass die Politik endlich beginnt, antiquierte Regelungen zu überdenken. Die Menschen wollen doch mehr Freiheitsgrade in der Arbeitswelt. Außerdem sollte man diese Frage nicht einseitig betrachten: Private Dinge werden ja auch nebenbei am Arbeitsplatz erledigt, WhatsApp während der Arbeitszeit beantwortet. Wenn die Grenzen fließend sind, dann erklärt es sich mir nicht, warum das nur für die berufliche Seite des Lebens gelten, im Privaten aber nicht auch möglich sein sollte. Heute haben wir eine Situation, in der Beschäftigte nicht schnell noch eine wichtige E-Mail von zu Hause aus beantworten können, ohne damit vielleicht gegen Ruhezeitregelungen zu verstoßen. Da wünsche ich mir mehr Realitätssinn und weniger Starrheit.
Die Gewerkschaften kritisieren, mit verkürzten Ruhezeiten würden die Beschäftigten noch schneller ausbrennen. Psychische Belastungen sind einer der Hauptgründe für die Erwerbsminderungsrente. BECKMANN Wenn man es den Sozialpartnern überlassen würde, bekäme man am Ende gute Lösungen für alle Beteiligten hin.
Schön und gut, aber was gilt dort, wo die Sozialpartnerschaft nicht funktioniert, wo sich Unternehmen aus der Tarifbindung verabschieden oder sogar Betriebsratsarbeit verhindern?
BECKMANN Natürlich gibt es einige wenige schwarze Schafe. Aber jagt man immer denen hinterher oder versucht man gute Verhaltensweisen zu unterstützen? Wir haben leider den Hang, die erste Variante in den Vordergrund zu stellen. Da wäre ein Umdenken ratsam.
Das Thema Freizeit bekommt für die Beschäftigten eine immer größere Bedeutung. Gerade verhandeln Sie mit der IG BCE über eine Möglichkeit, Geld in Freizeit umzuwandeln. Wie weit sind Sie bei dem Thema? BECKMANN Wir haben in der vergangenen Tarifrunde vereinbart, dass wir über dieses und die vielen anderen Themen rund um die Veränderungen der Arbeitswelt schon vor der nächsten Tarifrunde sprechen wollen. Erste Gespräche sind für Mitte März angesetzt.
Warum der lange Vorlauf? BECKMANN Das sind hoch komplexe Sachverhalte. Bei der „Roadmap Arbeit 4.0“, die wir in der Chemie- und Pharmaindustrie diskutieren, geht es ja auch um viel mehr als um reine Arbeitszeit-Fragen. Insofern ist es sinnvoll, sich Zeit zu nehmen. Einerseits wollen wir uns genau anschauen, für welche Beschäftigtengruppe in welcher Phase ihres Lebens eine solche Möglichkeit infrage kommt. Andererseits müssen wir klären, wie wegfallende Arbeitsstunden aufgefangen werden können.
Gar nicht so einfach bei einem leer gefegten Arbeitsmarkt.
BECKMANN Wenn einige in bestimmten Lebensphasen weniger arbeiten wollen, müssen andere entsprechend mehr arbeiten. Ich halte das aber für ein lösbares Problem. Wer ein Haus baut, kann zusätzliches Geld gut gebrauchen. Wie das Ganze am Ende ausgestaltet werden kann, darüber reden wir gerade mit dem Sozialpartner.