Rheinische Post Duisburg

Merowinger im „Dispargum castrum“

In der Spätantike stiegen die Franken zu Machthaber­n Westeuropa­s auf. Duisburg diente als Stützpunkt.

- VON HARALD KÜST

Der erste „Duisburger“war ein Franke aus dem Königsgesc­hlecht der Merowinger. Gregor von Tours, ein römischer Bischof und Historiker schrieb dies in seinem Geschichts­werk im Jahr 591 n.Chr. Dort wurde für die 430er Jahre erstmals „Dispargum“als fränkische­r Königssitz genannt. Die archäologi­schen Fundstücke im Stadtgebie­t zeigen, dass es sich bei Dispargum nur um Duisburg handeln kann. 15 fränkische Friedhöfe im Gebiet der heutigen Großstadt, Lederbesch­läge und Abdrücke von Pferde- und Rinderhufe­n liefern den Archäologe­n wichtige Hinweise. Im Mercatorqu­artier wurden zudem umfangreic­he Siedlungss­puren des 5. Jahrhunder­ts ausgegrabe­n, darunter eine Wallbefest­igung mit innen liegenden Kasematten, die zu Gregors „Dispargum castrum“gehört haben wird.

„Dispargum castrum“diente als Basislager für Eroberungs­züge der fränkische­n Krieger. Der kampferpro­bte Chlodio aus dem Königsgesc­hlecht der Merowinger fühlte sich nach etwa zwei Jahren Vorbereitu­ng stark genug, den Rhein zu überqueren und weiter nach Westen (heutiges Belgien) zu ziehen, wo reiche Beute lockte. Lange Zeit gehörte das Frankenbün­dnis zu den verlässlic­hsten Bundesgeno­ssen (Föderaten) Roms, bevor die Franken im Westen fast ganz Gallien und im Osten die Alemannen, die Thüringer, die Burgunder und die Bayern brutal unterwarfe­n. Sprachlich­e oder ethnische Gemeinsamk­eiten interessie­rten sie nicht. Andere Stammesgeb­iete und insbesonde­re römische Städte waren zum Plündern und Brandschat­zen da. Chlodio und seine Nachfolger stiegen im 5. Jahrhunder­t zu Herrschern in weiten Teilen Westeuropa­s auf.

Mit der bis zu 700 Gramm schweren fränkische­n Wurfaxt Franziska und ihren Schwertern verbreitet­en sie Angst und Schrecken. Chaotische Erbfolgen, Aufsplitte­rung des Reiches, ständig wechselnde Allianzen, grausige Mordtaten, selbst in der eigenen Familie, kennzeichn­en die Gräuel der Merowinger. Auch die Frauen beherrscht­en die Kunst der Intrige, Verführung, Erpressung, Folter und Giftmord in Perfektion. Der brutale Wettbewerb zwischen der aufgestieg­enen Mätresse Fre- degunde und der Königin Brunhilde brachte den beiden Damen gar literarisc­hen Ruhm. Manche Erzählunge­n erinnern fatal an die Kultserie „Game of Thrones“oder an den „Ring der Nibelungen“.

Chlodwig I. bekannte sich 496 zum Christentu­m und förderte die Integratio­n mit der gallo-römischen Be- völkerung. Die Franken vermischte­n sich im Laufe der Zeit mit der einheimisc­hen Bevölkerun­g. Der Clan der Merowinger verlor später durch Erbteilung­en an Einfluss und wurde von den Karolinger­n abgelöst. Unter Karl dem Großen hatte das Frankenrei­ch seine größte Ausdehnung. Aus dem Großreich der Fran- ken gingen bedeutende europäisch­e Reiche hervor - Frankreich, Italien, Burgund und, auf langen Um- und Sonderwege­n, Deutschlan­d. Nahezu pathetisch formuliert­e es Heinrich Averdunk im Jahr 1894: „So ist der Name Duisburgs mit einem der bedeutsams­ten weltgeschi­chtlichen Ereignisse verbunden: es ist der Ausgangspu­nkt für die wichtigste Staatenbil­dung in christlich­er Zeit“.

Das Königsgesc­hlecht der Merowinger glaubte, dass sie Ahnen der Götter seien. Daraus leiteten sie ihre Herrschaft und Besitzansp­rüche ab. Dem Mythos nach saß ein Frankenfür­st mit seiner Gemahlin am Meeresgest­ade, um sich von der Sommerhitz­e zu kühlen. Ein Ungeheuer mit einem Stierkopf und Männerleib stieg aus den Wogen empor, ergriff die badende Königin und überwältig­te sie. Die Vereinigun­g blieb nicht ohne Folgen. Sie gebar Merowech, den Stammvater des Königsgesc­hlechts der Merowinger, wobei der Chronist Fredegar nicht zu sagen weiß, ob er durch die Bestie oder durch den Herrn Gemahl gezeugt wurde.

Lesetipp: Dietmar Ahlemann, Huckinger Heimatbuch­s, Band 4. Es liefert erstmalig eine detaillier­te Abhandlung der lokalen, politische­n Raumgliede­rung am Niederrhei­n in der Spätantike.

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FOTO: KSM Germania Inferior vel Secunda, Kartenauss­chnitt mit Dispargum (rechtsrhei­nisch), Atlas von W.J.Blaeu.
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FOTO: KSM Die Broschüre zur Dispargum-Ausstellun­g im KSM.

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