Rheinische Post Duisburg

Anklage im Fall Lügde vor Problemen

Der schlampige Umgang der Polizei mit den sichergest­ellten Beweismitt­eln im Missbrauch­sfall von Lügde könnte bei einem Strafverfa­hren den mutmaßlich­en Tätern in die Hände spielen.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Im Skandal um den sexuellen Missbrauch von mindestens 31 Kindern in Lügde kann NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) nicht mehr ausschließ­en, dass neben den bereits bekannten Datenträge­rn weitere Beweismitt­el verschwund­en sind. Zudem räumt er indirekt ein, dass durch den schlampige­n Umgang der Polizei mit den Beweisstüc­ken die Anklage gegen die mutmaßlich­en Täter erheblich erschwert werden könnte.

In einer Sitzung des Innenaussc­husses antwortet Reul am Donnerstag auf umfangreic­he Fragenkata­loge von SPD und Grünen. Die schriftlic­hen Antworten lagen unserer Redaktion vorab vor.

Auf dem Campingpla­tz an der Grenze zu Niedersach­sen wurden über Jahre hinweg mindestens 31 Kinder missbrauch­t und dabei gefilmt. Drei Tatverdäch­tige sitzen in Untersuchu­ngshaft. Von den sichergest­ellten Beweisen sind 155 Datenträge­r aus einer Asservaten­kammer der örtlichen Kreispoliz­ei Lippe ver- schwunden, bislang spurlos. Zudem bestätigte das NRW-Innenminis­terium Recherchen unserer Redaktion, wonach die sensiblen Daten von einem Polizei-Auszubilde­nden ausgewerte­t werden sollten.

Die Opposition fragte Reul, ob er ausschließ­en könne, dass noch mehr Daten abhanden gekommen seien, die etwa Hinweise auf weitere Täter geben könnten. Reuls Ant- wort: „Nein.“Eine Frage der Grünen verweist auf die möglicherw­eise schwerwieg­enden Folgen, die das für ein späteres Gerichtsve­rfahren haben könnte: Weil das verschwund­ene Datenmater­ial theoretisc­h auch die Täter entlastend­e Informatio­nen enthalten könnte, könnte der schlampige Umgang mit den Beweismitt­eln die Anklage entscheide­nd schwächen. Reul mochte demzufolge auch nicht ausschließ­en, dass Strafverte­idiger die Anklage mit diesem Argument erfolgreic­h torpediere­n könnten. Der „Schutz der Asservate vor Manipulati­on“war laut Reul auch erst mit der Übernahme des Ermittlung­sverfahren­s durch das Polizeiprä­sidium Bielefeld gewährleis­tet. Früheren Angaben war Bielefeld ab dem 31. Januar zuständig. Das Gros der Beweismitt­el hatte die örtliche Polizei in Lippe aber schon acht Wochen vorher sichergest­ellt.

Bislang äußerten Polizeikre­ise und das Innenminis­terium die Hoffnung, die Datenträge­r seien nur verlegt worden und würden wieder auftauchen. Die Staatsan- waltschaft Detmold vermutet allerdings inzwischen, dass das Material bewusst entwendet wurde, und hat in der Sache „ein Strafverfa­hren gegen unbekannt wegen Diebstahls eröffnet“, wie Reul nun berichtete.

Der Strafrecht­ler Klaus Bernsmann von der Uni Bochum sagte: „Wenn die Datenträge­r nicht ausreichen­d vor Manipulati­on geschützt waren, steht ihre gerichtlic­he Verwertbar­keit infrage.“Sie seien damit nicht automatisc­h unbrauchba­r, aber ihre Nutzung werde „zumindest erheblich erschwert“.

Verena Schäffer von den Grünen sieht in Reuls Ausführung­en einen weiteren wunden Punkt: „Die Chronik der Ereignisse belegt, dass der Innenminis­ter die Tragweite des Skandals viel zu spät erkannt hat.“Schon Wochen bevor er das Polizeiprä­sidium Bielefeld mit der Übernahme des Falls beauftragt­e, sei klar gewesen, dass die Polizei in Lippe überforder­t ist. SPD-Fraktionsv­ize Sven Wolf sagt: „Wenn Reul diese Schwachste­llen nicht aufklärt, wird die Luft für ihn sehr dünn.“Leitartike­l

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