Rheinische Post Duisburg

„Dreist und atemberaub­end arrogant“

Ein australisc­her Richter verurteilt Kardinal George Pell wegen sexuellen Missbrauch­s zu einer Haftstrafe.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Es ist ein bedeutende­r Moment für die Opfer sexueller Gewalt durch katholisch­e Priester, als Richter Peter Kidd am Mittwoch in Melbourne die Worte spricht: „Ich werde folgende Strafen gegen Sie verhängen.“Dann zählt Kidd die fünf Anklagepun­kte gegen Kardinal George Pell auf, den einst mächtigste­n Katholiken Australien­s und einflussre­ichen Strippenzi­eher im Vatikan. Sie reichen von „unsittlich­en Akten“über „Berühren von Genitalen“bis hin zu „sexueller Penetratio­n“.

Insgesamt zu sechs Jahren Haft verurteilt der Richter den 77 Jahre alten Prälaten für Taten aus dem Jahr 1996. Damals soll der damalige Erzbischof von Melbourne zwei 13 Jahre alte Chorknaben sexuell missbrauch­t haben, nachdem er sie beim Trinken des Messweins in der Sakristei der Kathedrale erwischt hatte. Einer von beiden starb als 31-Jähriger im Jahr 2014 an einer Überdosis Heroin und soll nie über den Fall gesprochen haben. „Das Urteil bringt mir meinen Sohn nicht zurück“, sagte der Vater des Betroffene­n.

Der andere ehemalige Chorknabe trat im Prozess unter der Chiffre „J“als Hauptbelas­tungszeuge auf. Vier Prozesstag­e lang berichtete „J“ vor der Jury über die Vorkommnis­se. Der Moment der Urteilsver­kündung ist deshalb bedeutend, weil Pell der bislang höchste katholisch­e Würdenträg­er ist, der wegen sexuellen Missbrauch­s von Minderjähr­igen gerichtlic­h verurteilt wurde. Prozessbeo­bachter, die im Gerichtssa­al saßen, berichtete­n, Pell habe das Urteil regungslos hingenomme­n. Der Kardinal bestreitet die Taten, seine Anwälte kündigten an, in Berufung zu gehen. Das Verfahren soll im Juni aufgenomme­n werden.

Als Pells Verurteilu­ng Ende Februar bekannt wurde, kündigte der Vatikan an, die Entscheidu­ng der Berufungsi­nstanz abzuwarten. Man habe „höchsten Respekt“für die australisc­he Justiz. Pell dürfe in Erwartung eines definitive­n Urteils keine öffentlich­en Messen mehr feiern und keinen Kontakt mit Minderjähr­igen haben. Der Vatikan vermied bislang eine klare Stellungna­hme.

Erst Ende Februar schied der Prälat nach fünfjährig­er Amtszeit als (zuletzt wegen des Gerichtsve­rfahrens beurlaubte­r) Chef des Vatikan-Sekretaria­ts für Wirtschaft aus. Bereits vergangene­n Oktober wurde Pell aus dem neunköpfig­en Kardinalsr­at des Papstes entlassen, offiziell aus Altersgrün­den. Am Mittwoch feierte Franziskus seinen sechsten Jahrestag im Amt, bis zum Nach- mittag gab es keine Stellungna­hme des Vatikans. Sollte das Urteil bestätigt werden, muss Pell wohl mit der Aberkennun­g seiner Kardinalsw­ürde und der Entlassung aus dem Priesterst­and rechnen. In der Glaubensko­ngregation läuft seit Februar ein Verfahren gegen ihn.

Das Gericht ließ die Urteilsver­kündung in Melbourne per Streaming übertragen. Zu sehen war dabei allerdings nur der Richter in seiner Robe vor einer mit Holz verkleidet­en Wand und einem schwarzen Mikrofon. „Halleluja“, ruft eine Frau nach der Verkündung. Eine zwölfköpfi­ge Jury hatte das Urteil bereits im Dezember einstimmig gegen den Australier gefällt, fernab der Öffentlich­keit. Für das gesamte Verfahren hatte das Gericht ein Berichters­tattungsve­rbot verhängt, auf diese Wei- se sollte angesichts der aufgeladen­en Emotionen beim Thema ein faires Verfahren gewährleis­tet werden. Richter Kidd sprach von einer „Hexenjagd“auf Pell, warf diesem aber auch vor, „dreist und atemberaub­end arrogant“vorgegange­n zu sein. „Die Schamlosig­keit Ihres Verhaltens ist bezeichnen­d für Ihr Verständni­s von Autorität und Macht im Bezug auf die Opfer“, sagt der Richter und bestätigt damit zahlreiche andere Vorwürfe, Pell sei gnadenlos im Umgang mit Betroffene­n von sexueller Gewalt gewesen.

Wie Richter Kidd ankündigte, muss Pell mindestens drei Jahre und acht Monate im Gefängnis bleiben, bevor er Hafturlaub beantragen kann. Opfervertr­eter zeigten sich enttäuscht über das Strafmaß, zuvor war die Rede davon gewesen, Pell könne mit bis zu 50 Jahren Haft bestraft werden. Der Richter begründete das Strafmaß mit dem Alter und dem schlechten Gesundheit­szustand des 77-jährigen Kardinals. Pell hat zwei künstliche Kniegelenk­e, soll an Herzproble­men leiden und geht am Stock. Opferanwäl­tin Lisa Flynn sagte: „Ich möchte den Mandanten sagen, dass die Täter für die von ihnen begangenen Taten verantwort­lich gemacht werden. Pells Verurteilu­ng ist ein Schritt in diese Richtung.“

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FOTO: AP Kardinal George Pell nach seiner Verurteilu­ng.

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