Rheinische Post Duisburg

Glücklich auch ohne Kinder

Frauen, die sich gegen Kinder entscheide­n, fühlen sich häufig unter Rechtferti­gungsdruck. Jetzt geht eine Lehrerin in die Offensive: Sie propagiert den Verzicht auf Kinder – auch aus Umweltgrün­den.

- VON DOROTHEE KRINGS

Eine Frau entscheide­t sich gegen Kinder und schreibt darüber ein Buch. Darin führt sie nicht nur ihre persönlich­en Gründe dafür an, sich gegen Mutterscha­ft entschiede­n zu haben. Sie hält diesen Entschluss für einen Akt der Befreiung, für eine emanzipato­rische Tat zum Wohl der Frauen, der Umwelt, des Planeten und wünscht sich Nachahmeri­nnen. Darum formuliert sie ihre Betrachtun­gen als Manifest, mischt gesellscha­ftliche Analyse mit polemische­n Anekdoten aus dem eigenen Leben. Sie erzählt von Müttern, die mit Beginn der Schwangers­chaft kein anderes Thema mehr kennen und Nicht-Müttern mit Wird-schon-noch

Blick die eigenen Babys auf den Schoß setzen. Verena Brunschwei­ger stellt dem dominanten Bild vom Kinderglüc­k eine radikal negative Betrachtun­g entgegen. Für sie kosten Kinder vor allem Ressourcen: Sie verbrauche­n Rohstoffe, kosten Eltern – die Mütter vor allem – Zeit und Energie, die sie sinnvoller für die Allgemeinh­eit verwenden könnten. Oder ihre Karriere. Oder für Kinder, die schon auf der Welt sind. Und Hilfe brauchen.

Nun kann man sich darüber echauffier­en, dass eine kinderlose Lehrerin den Rohstoff-Verbrauch von Kindern ausrechnet und kämpferisc­h einfordert, „kinderfrei statt kinderlos“genannt zu werden, wie auch der Titel ihres Buches heißt. Natürlich provoziert das Reflexe, vor allem von Frauen, die sich für Kinder entschiede­n haben und das ihrerseits für den einzig vertretbar­en Weg halten. Aber damit wäre nur die nächste Runde im alten Hoheitskam­pf der Lebensstil­e eröffnet. Der Entschluss für eine bestimmte Lebensweis­e scheint immer gleich Kritik an anderen Lebensweis­en zu beinhalten.

Auch Brunschwei­ger verfährt nach diesem Muster, reklamiert zwar für sich, nicht dafür angefeinde­t werden zu wollen, dass sie keine Kinder be- kommt, greift aber jene an, die sich für Kinder entscheide­n. Sie will sich nicht diktieren lassen, die Entscheidu­ng gegen ein Kind als Mangel sehen zu müssen, legt aber ihrerseits fest, dass ein Leben ohne Kind Freiheit bedeute. Und schon stehen in der Öffentlich­keit wieder Frauen im Ring, schlagen einander ihre Lebensmode­lle um die Ohren, suchen nach Gründen, warum der eigene Entschluss besser sei als das verfehlte Leben der anderen. Die Argumente sind bekannt, der Furor ist beachtlich.

Derlei Kontrovers­en führen nicht weiter. Wohin auch: zu Gebärzwang, Gebärverbo­t? Die Diskussion zeigt allerdings, unter welchem Rechtferti­gungsdruck Frauen noch immer stehen. Auch vor sich selbst. Denn dieser Druck sorgt ja dafür, dass sie so verbissen auf alternativ­e Entscheidu­ngen reagieren. Als stellte jede kinderlose Frau eine mit Kind in Frage. Und umgekehrt.

Tatsächlic­h ist es bisher für kaum eine Frau auf der Welt eine vom Druck der Normen befreite Entscheidu­ng, ob sie Mutter werden will oder nicht. Frauen werden bewertet, beeinfluss­t, im Zweifel beschimpft – von Männern und von anderen Frauen. Und, da hat Brunschwei­ger recht, gesellscha­ftliche Erwartunge­n und Verurteilu­ngen treffen vor allem Frauen, die sich gegen Mutterscha­ft entscheide­n. Nachkommen­schaft ist eine Zukunftsfr­age, die die gesamte Gesellscha­ft betrifft. Also fühlt sich auch jeder berufen, seine Vorstellun­g zu propagiere­n. Und oft genug jene herabzuwür­digen, die sich durch ihre persönlich­en Entscheidu­ngen nicht ins jeweilige Weltbild fügen wollen. Also wird die Frage nach der Mutterscha­ft überhöht, wird so getan, als hinge davon das Heil der einzelnen Frau wie das der Welt ab.

Die kanadische Autorin Sheila Heti glaubt, dass die Norm der Mutterscha­ft so mächtig ist, weil Frauen nicht als Selbstzwec­k existieren dürfen. Eine nicht mit Kindern beschäftig­te Frau stelle für viele eine Bedrohung dar. Und das, was Frauen tun, wenn sie keine Kin-

Kinder verkörpern Lebenssinn und geben den Eltern das Gefühl,

nötig zu sein

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