Adenauers und Arnolds Machtkampf
„Bund und Land – Hand in Hand“? Nicht zur Zeit der Christdemokraten Konrad Adenauer und Karl Arnold. Die beiden verband zu Amtszeiten nicht viel – außer der Begeisterung für ein geeintes Europa.
Lange Zeit war es in Nordrhein-Westfalen fast schon Staatsdoktrin, dass es am besten für das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Land der Bundesrepublik sei, wenn in Düsseldorf und Bonn dieselben politischen Farben regieren würden. „Bund und Land – Hand in Hand“ließ deshalb Ministerpräsident Franz Meyers auf die CDU-Plakate im Landtagswahlkampf 1962 drucken. Als Paradebeispiel galt insbesondere die Gründungs- und Aufbauphase Nordrhein-Westfalens, innerhalb derer zwischen 1946 und 1956
Karl Arnold und Konrad Adenauer, zwei populäre Christdemokraten, die Regierungsgeschäfte in
Land und Bund führten und einen enormen wirtschaftlichen wie sozialen Aufstieg verantworteten.
In der Realität aber war das Verhältnis zwischen Düsseldorfer Ministerpräsident und Bonner Bundeskanzler von Beginn an konfliktgeladen, obwohl beide fast symbiotisch miteinander verbunden und vor allem aufeinander angewiesen blieben. Adenauer hatte seine steile Karriere in der 1945 neugegründeten ökumenischen Sammlungspartei CDU Karl Arnold zu verdanken gehabt, der ihn zuerst für eine Mitgliedschaft in der neuen Partei warb und Anfang 1946 als Parteivorsitzenden der rheinischen CDU vorschlug. Außer ihrer katholischen Prägung sowie der Zugehörigkeit zur Zentrumspartei vor 1933 verband den gutbürgerlichen Kölner Kommunalbeamten Adenauer und den in Schwaben geborenen Handwerkersohn und späteren Düsseldorfer Gewerkschafter Arnold allerdings wenig.
Adenauer misstraute den ausgeprägten christlich-sozialen Neigungen Arnolds, den er nicht grundlos verdächtigte, das Ziel eines „christlichen Sozialismus“zu verfolgen. Nach der ersten Landtagswahl vom 20. April 1947, aus der die CDU als die stärkste Partei hervorgegangen war, versuchte der CDU-Fraktionsvorsitzende Adenau- er vergeblich, die Wahl seines Parteifreundes Arnold zum Ministerpräsidenten einer breiten Koalition aus CDU, SPD, Zentrum und sogar KPD zu verhindern. Der neue Regierungschef verfolgte einen betont gemeinwirtschaftlichen Kurs und kam dem designierten Präsidenten des Parlamentarischen Rates anlässlich seiner Eröffnung im Bonner Museum Koenig insofern in die Quere, als er stellvertretend für sämtliche Länder mahnte, statt „Grundgesetz“die Bezeichnung „Verfassung“zu verwenden, um den gesamtdeutschen Anspruch der Beratungen zu unterstreichen. Prompt wollte Adenauer den bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard zum ersten Präsidenten des Bundesrates machen, scheiterte aber erneut an Arnold, der sich als Vertreter des einwohnerstärksten Bundeslandes durchsetzte.
Als die Union auch die erste Bundestagswahl im August 1949 gewonnen hatte, vermochte sich wiederum Arnold mit seinem Vorstoß zur Bildung einer großen Koalition nicht gegen Adenauer zu behaupten, der ein Bündnis mit der FDP anstrebte. Das Spiel wiederholte sich nach der Landtagswahl von 1950, als Adenauer von Arnold verlangte, nach Bonner Vorbild eine Koalition mit der FDP einzugehen, jener aber die Koalition mit den Sozialdemokraten fortsetzen wollte. Wie Arnolds Regierungssprecher Johannes Maier-Hultschin in einer Denkschrift festhielt, versuchte die Bundesregierung permanent eine Verständigung mit der SPD zu hintertreiben, um „in Nordrhein-Westfalen, wo von der Erhaltung des sozialen Friedens der Bestand der Deutschen Bundesrepublik schlechthin“abhänge, die Sozialdemokraten, „in deren Reihen die Massen der Arbeiterschaft ihre politische Heimat“fänden, „von der Regierungsverantwortung fernzuhalten“.
Am Ende scheiterten beide Vorstellungen: Weder kam es zu einer großen Koalition noch zu einem Bündnis der CDU mit den Liberalen, deren nordrhein-westfälischer Landesverband zu dieser Zeit im Ruf stand, eine deutsch- Die beiden waren zum gemeinsamen Erfolg verdammt nationale Sammlungsbewegung zu verkörpern. Stattdessen koalierten CDU und Zentrum mit knapper Mehrheit.
Arnold revanchierte sich in seiner Regierungserklärung, indem er ankündigte, Nordrhein-Westfalen wolle und werde „das soziale Gewissen der Bundesrepublik sein“, was sehr wohl als Kampfansage an die Adenauer-Regierung in Bonn verstanden werden konnte. Natürlich arbeiteten Bonn und Düsseldorf in diesen Jahren auf der Sachebene eng zusammen. Arnold wie Adenauer waren zum gemeinsamen Erfolg verdammt. Und es gab durchaus auch Gemeinsamkeiten, wie etwa die Begeisterung für ein geeintes Europa. Arnold, der in seiner Neujahrsansprache 1949 bereits die Grundzüge eines europäischen Verbundes von Kohle und Stahl vorweggenommen hatte, unterstützte nach Kräften die von Adenauer vorangetriebene Montanunion.
Allerdings kam es auch hier 1951 zum Konflikt zwischen Land und Bund über die Frage einer angemessenen Einbeziehung des Energie- und Stahllandes in die europäischen Verhandlungen. Es mutet beinahe ironisch an, dass Adenauer schließlich – wenn auch indirekt – das Ende der von ihm doch immer angestrebten ersten CDU-FDP-Koalition in Düsseldorf und zugleich den Sturz Arnolds als Ministerpräsident herbeiführen sollte. Im Februar 1956 verließen die Liberalen aus Protest gegen eine von Adenauer im Bund angestrebte Reform des Wahlrechts das Bündnis mit der CDU und wechselten zur SPD. Mit jener, so Arnold, „Schlacht im falschen Saal“endete eine bemerkenswerte Ära konkurrierender Kooperation zwischen den Regierungschefs von Land und Bund aus ein und derselben Partei.
Diese Konstellation sollte in der nordrhein-westfälischen Geschichte nicht einmalig bleiben. Ob Franz Meyers gegen Ludwig Erhard wegen der ausbleibenden Unterstützung des Bundes in der Bergbaukrise, ob Johannes Rau gegen Helmut Schmidt wegen der Verteilung von Subventionsmitteln aus dem Bundeshaushalt, ob Peer Steinbrück gegen Gerhard Schröder wegen der Fortsetzung der rot-grünen Koalition in Düsseldorf oder Jürgen Rüttgers gegen Angela Merkel wegen einer „Generalrevision“von Hartz IV und vor allem der unmittelbar vor der Landtagswahl 2010 verkündeten Griechenland-Rettung: „Bund und Land – Hand in Hand“war selten eine Harmonieveranstaltung.
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