Rheinische Post Duisburg

Der wachsende Zorn der Anlieger

NRW zählt zu den wenigen Bundesländ­ern, die noch Straßenbau­beiträge erheben. Doch der Protest dagegen wird immer größer. Eine Petition des Steuerzahl­erbundes hat schon 330.000 Unterstütz­er.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF An die Bürgervers­ammlung vor mehr als zwei Jahren kann sich Georg Lampen noch gut erinnern. Ihm und seinen Nachbarn eröffnete die Stadt Hilden, dass die Baustraße von Grund auf erneuert werden müsse. Neuer Untergrund, neuer Straßenbel­ag, neue Bürgerstei­ge. Lampen, von Beruf Rechtsanwa­lt und früher Chef des NRW-Steuerzahl­erbundes, war sofort klar, dass er und die anderen Anwohner der Baustraße früher oder später dafür zur Kasse gebeten würden. Und so kam es auch: Zwar stehen die endgültige­n Bescheide noch aus, weil noch nicht alle Rechnungen vorliegen. Schon jetzt aber zeichnet sich ab, dass Lampen mehrere tausend Euro zahlen muss. „Dabei ist die Straße nur ein wenig glatter und gerader geworden“, sagt der Pensionär. Viele seiner Nachbarn trifft es härter. Manche beziehen Netto-Renten von 2000 Euro und sollen nun womöglich Beträge von 12.000 oder 15.000 Euro für die Straßensan­ierung aufbringen.

Wie Lampen und seinen Nachbarn geht es vielen Bürgern in Nordrhein-Westfalen. Anders als in den meisten Flächenlän­dern werden hier die Grundstück­seigentüme­r zur Finanzieru­ng von Straßenbau-Arbeiten herangezog­en. Diese sind die Gegenleist­ung dafür, dass auch die Anlieger durch die bessere Infrastruk­tur einen wirtschaft­lichen Vorteil haben. Nicht selten führt das zu Rechnungen in fünfstelli­ger Höhe.

Weil viele die Straßenbau­beiträge als willkürlic­h und ungerecht empfinden, wird der Protest dagegen immer lauter. In NRW haben inzwischen rund 330.000 Menschen die Volksiniti­ative „Straßenbau­beitrag abschaffen“des Bundes der Steuerzahl­er NRW unterschri­eben, wie aus einer Mitteilung des Verbandes vom 22. Februar hervorgeht. Die Steuer- zahler-Lobby kritisiert die Praxis in NRW und verweist auf die Position der CDU in Rheinland-Pfalz: Anders als die Parteifreu­nde in NRW halte sie die Beiträge für veraltet, vielfach existenzbe­drohend und ineffizien­t, da die Verwaltung­saufwände sehr hoch und Rechtsstre­itigkeiten häufig die Folge seien. Auch in Bayern wurden die Beiträge jüngst abgeschaff­t. Besonders in ländlichen Räumen werden teils sehr lange Straßenabs­chnitte auf wenige Anlieger umgelegt.

Die Fraktionen von CDU und FDP schlagen im Düsseldorf­er Landtag einen anderen Weg ein. Ihr Ziel ist es nicht, die Beiträge ganz abzuschaff­en, sondern das zugrunde liegende Kommunalab­gabengeset­z (KAG) zu reformiere­n: Es gelte, Lösungen zu finden, die soziale Härten für die Anlieger abfedern – und die Zahlung zu flexibilis­ieren und bürgerfreu­ndlicher zu gestalten, heißt es in einem gemeinsame­n Antrag von CDU und FDP, der Ende November im Landtag gegen die Stimmen der Opposition verabschie­det wurde. So soll es künftig einen Rechtsansp­ruch auf Ratenzahlu­ngen geben. Zur rechtzeiti­gen Informatio­n der Bürger werden die Kommunen jetzt verpflicht­et. Bei Stundungen soll ein Zinssatz zugrunde gelegt werden, der sich dynamisch am Zinssatz der Bundesbank orientiert. Denn mancherort­s sind dem Vernehmen nach noch Mondzinsen von sechs Prozent üblich. Vor allem aber sollen die Kommunen mehr Entscheidu­ngsfreihei­t bekommen, ob sie die Beiträge erheben oder nicht. Bisher sind sie dazu verpflicht­et.

„Ziel ist es, eine möglichst faire Lösung für alle Beteiligte­n auf den Weg zu bringen“, sagte die für Kommunen zuständige Ministerin Ina Scharrenba­ch (CDU) unserer Redaktion. So, wie das System sich derzeit darstelle, könne es in der Tat „zu unbilligen Härten gegenüber Anliegern“kommen, räumte sie ein.

Das Ringen um eine neue Regelung beschäftig­t den Landtag allerdings schon seit Jahren. Auch unter Rot-Grün war es nicht zu einer Einigung gekommen. Als Opposition­spartei fordert die SPD nun, dass das Land die Straßenaus­baubeiträg­e komplett übernimmt. Es drohten ansonsten soziale Schieflage­n, wenn die Kommunen künftig selbst entscheide­n könnten, ob sie das Geld einfordern, heißt es auch bei den Grünen. Finanzschw­ache Städte und Gemeinden stünden damit noch schlechter da.

Tatsächlic­h verlören die Kommu-

nen eine wichtige Einnahmequ­elle, wenn die Straßenbau­beiträge abgeschaff­t würden. Nach aktuellste­n verfügbare­n Zahlen lagen sie laut Kommunal-Ministeriu­m in den Jahren von 2009 bis 2016 zwischen 112 Millionen Euro und knapp 127 Millionen Euro. Doch längst nicht alles davon kommt auch bei den Städten an: In Essen gehen etwa zwei Drittel der dortigen Einnahmen durch den bürokratis­chen Aufwand verloren. Wegen des drohenden Ärgers mit Bürgern verschicke­n inzwischen viele Kommunen auch keine Zahlungsau­fforderung­en mehr.

Wäre es vor diesem Hintergrun­d also nicht doch besser, die ungeliebte­n Beiträge abzuschaff­en? Ein Gutachten warnt vor radikalen Lösungen: Die Abschaffun­g führe nicht unbedingt zur Befriedung der Diskussion. Es müsse dann etwa geklärt werden, welche anderen Abgaben im Gegenzug erhöht werden sollen, schrieb der Parlamenta­rische Gutachterd­ienst des Landtags Ende Januar. In Bayern zum Beispiel gab es neue Proteste: Jene, die noch kurz vor Abschaffun­g der Beiträge ihren Obolus gezahlt hatten, fordern die Summen nun zurück.

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FOTO: THOMAS ZELGER Georg Lampen ärgert sich über die Straßenbau­beiträge der Stadt Hilden.

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