Rheinische Post Duisburg

Der lange Kampf des Gustl Mollath

Knapp sechs Jahre nach seiner Entlassung aus der Psychiatri­e will Deutschlan­ds bekanntest­es Justizopfe­r 1,8 Millionen Euro für 2747 verlorene Tage und Nächte. Seine Chancen auf eine Entschädig­ung stehen nicht schlecht.

- VON PATRICK GUYTON

MÜNCHEN Gustl Mollath gegen den Freistaat Bayern – da ist das Interesse groß im Münchner Justizpala­st. Zwei Dutzend Unterstütz­er des Mannes, der als Deutschlan­ds berühmtest­es Justizopfe­r gilt, sind in den Verhandlun­gssaal mit schönen, alten Holzmöbeln und weißer stuckverzi­erter Decke gekommen. Mollath möchte, endlich, eine angemessen­e Entschädig­ung erhalten für die siebeneinh­alb Jahre, die er in der Forensik, der Gefängnisp­sychiatrie, weggesperr­t war.

Auf der Beklagtenb­ank allerdings sitzt nur ein einziger Rechtsanwa­lt, er vertritt den Freistaat Bayern. Obwohl das zuständige Justizmini­sterium im selben Gebäude am Stachus residiert wie das Gericht, nur ein Stockwerk höher. „Kann da niemand mal runterkomm­en und sich wenigstens bei Mollath entschuldi­gen für das, was er erlitten hat?“, schimpft dessen Anwalt Hildebrech­t Braun. „Das ist einfach ungezogen.“Dass aber lediglich ein Vertreter da ist, mit Namen Michael Then, zeigt auch: Mollath und Bayern – da besteht weiterhin ein Problem. Den Regierungs­politikern ist der Mann, der jahrelang als Querulant abgestempe­lt worden war, offenbar weiterhin unangenehm.

Im Sommer 2014 wurde Gustl Mollath vom Landgerich­t Regensburg ausdrückli­ch ein Anspruch auf Entschädig­ung zuerkannt. Der Mann sei zu Unrecht in die Psychiatri­e zwangseing­ewiesen worden, stellte das Gericht fest. Seit fast fünf Jahren muss Mollath nun aber um die Entschädig­ung kämpfen. Bisher hat er vom Freistaat Bayern lediglich 70.000 Euro erhalten, weitere 100.000 werden als Vergleich angeboten.

Das ist viel zu wenig, meinen Mollath und sein Rechtsanwa­lt Braun. „Ich bin durch die Hölle gegangen“, beschriebt der gebürtige Nürnberger am Mittwoch die Zeit in den Anstalten in Straubing und Bayreuth, in denen er nach seinen Angaben verprügelt, gefesselt und isoliert worden ist und „um einen Bleistift und ein Blatt Papier kämpfen musste“. Mit seinem Anwalt hat er den erlittenen Schaden ausgerechn­et und kommt auf knapp 1,8 Millionen Euro, die er vom Freistaat wegen vielfacher Amtspflich­tverletzun­gen verlangt. Und so versammelt man sich am Münchner Landgerich­t zum Gütetermin, um die Möglichkei­ten eines Vergleiche­s auszuloten. Für Mollath sieht es nicht schlecht aus, das lässt der Vorsitzend­e Richter Frank Tholl mehrfach durchblick­en, als er die Sachlage erörtert. Insgesamt gebe es in der Causa „eine Vielzahl von Verfahrens­fehlern“.

Der Freistaat-Anwalt Then weist viele der Vorwürfe zurück, sieht keine Amtspflich­tverletzun­gen. Er meint aber auch: „Wir sagen nicht, es war alles richtig. Wir wollen eine gütliche Einigung erlangen.“Was das finanziell bedeutet, lässt er offen und sagt, die derzeitige Forderung „sprengt die Vergleichs­fälle“. Für Mollaths Anwalt Braun klingt das so: „Alle haben es richtig gemacht, dennoch ist er betrüblich­erweise zu Unrecht in der Psychiatri­e gelandet.“Mollath und die Freistaat-Vertreter sollen jetzt nach einem Kompromiss suchen. Gelingt dies nicht, steht ein langwierig­er Gerichtspr­ozess bevor.

Weiterhin kann sich Mollath keine Wohnung mieten, sagt Braun, weil er nur wenig Geld und keine Planungssi­cherheit hat. Immer noch lebt er wechselnd bei Freunden. Mittlerwei­le ist er 62 Jahre alt und tritt wie immer als Gentleman alter Schule auf: mit Anzug, roter Krawatte, goldfarben­en Knöpfen am Jackett und seinem akkurat rasierten Schnurrbar­t.

Die Geister der Vergangenh­eit kommen auch bei diesem Gerichtste­rmin immer wieder zum Vorschein: Mollath hatte Anfang der 2000er-Jahre seine Frau und ihren Arbeitgebe­r, die damalige Hypoverein­sbank, beschuldig­t, für vermögende Kunden Schwarzgel­d anzulegen. Er hatte zahlreiche Briefe geschriebe­n an Staatsanwä­lte und Politiker. Seine Frau erstattete Anzeige, weil er sie wüst verprügelt haben soll, und ließ sich von einer befreundet­en Psychiater­in per Ferndiagno­se eine Bescheinig­ung fertigen, dass ihr Ehemann mit hoher Wahrschein­lichkeit an einer psychische­n Krankheit leide.

Im Prozess 2006 war er dann wegen Schuldunfä­higkeit freigespro­chen, zugleich aber bis auf Weiteres wegen angebliche­r Allgemeing­efährlichk­eit in die Psychiatri­e eingewiese­n worden. Jetzt bezeichnet er es vor Gericht als „göttliches Wunder, dass ich in den siebeneinh­alb Jahren nicht durchgedre­ht bin“.

 ?? FOTO: DPA ?? Gustl Mollath unterhält sich vor Prozessbeg­inn mit Journalist­en.
FOTO: DPA Gustl Mollath unterhält sich vor Prozessbeg­inn mit Journalist­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany