Der lange Kampf des Gustl Mollath
Knapp sechs Jahre nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie will Deutschlands bekanntestes Justizopfer 1,8 Millionen Euro für 2747 verlorene Tage und Nächte. Seine Chancen auf eine Entschädigung stehen nicht schlecht.
MÜNCHEN Gustl Mollath gegen den Freistaat Bayern – da ist das Interesse groß im Münchner Justizpalast. Zwei Dutzend Unterstützer des Mannes, der als Deutschlands berühmtestes Justizopfer gilt, sind in den Verhandlungssaal mit schönen, alten Holzmöbeln und weißer stuckverzierter Decke gekommen. Mollath möchte, endlich, eine angemessene Entschädigung erhalten für die siebeneinhalb Jahre, die er in der Forensik, der Gefängnispsychiatrie, weggesperrt war.
Auf der Beklagtenbank allerdings sitzt nur ein einziger Rechtsanwalt, er vertritt den Freistaat Bayern. Obwohl das zuständige Justizministerium im selben Gebäude am Stachus residiert wie das Gericht, nur ein Stockwerk höher. „Kann da niemand mal runterkommen und sich wenigstens bei Mollath entschuldigen für das, was er erlitten hat?“, schimpft dessen Anwalt Hildebrecht Braun. „Das ist einfach ungezogen.“Dass aber lediglich ein Vertreter da ist, mit Namen Michael Then, zeigt auch: Mollath und Bayern – da besteht weiterhin ein Problem. Den Regierungspolitikern ist der Mann, der jahrelang als Querulant abgestempelt worden war, offenbar weiterhin unangenehm.
Im Sommer 2014 wurde Gustl Mollath vom Landgericht Regensburg ausdrücklich ein Anspruch auf Entschädigung zuerkannt. Der Mann sei zu Unrecht in die Psychiatrie zwangseingewiesen worden, stellte das Gericht fest. Seit fast fünf Jahren muss Mollath nun aber um die Entschädigung kämpfen. Bisher hat er vom Freistaat Bayern lediglich 70.000 Euro erhalten, weitere 100.000 werden als Vergleich angeboten.
Das ist viel zu wenig, meinen Mollath und sein Rechtsanwalt Braun. „Ich bin durch die Hölle gegangen“, beschriebt der gebürtige Nürnberger am Mittwoch die Zeit in den Anstalten in Straubing und Bayreuth, in denen er nach seinen Angaben verprügelt, gefesselt und isoliert worden ist und „um einen Bleistift und ein Blatt Papier kämpfen musste“. Mit seinem Anwalt hat er den erlittenen Schaden ausgerechnet und kommt auf knapp 1,8 Millionen Euro, die er vom Freistaat wegen vielfacher Amtspflichtverletzungen verlangt. Und so versammelt man sich am Münchner Landgericht zum Gütetermin, um die Möglichkeiten eines Vergleiches auszuloten. Für Mollath sieht es nicht schlecht aus, das lässt der Vorsitzende Richter Frank Tholl mehrfach durchblicken, als er die Sachlage erörtert. Insgesamt gebe es in der Causa „eine Vielzahl von Verfahrensfehlern“.
Der Freistaat-Anwalt Then weist viele der Vorwürfe zurück, sieht keine Amtspflichtverletzungen. Er meint aber auch: „Wir sagen nicht, es war alles richtig. Wir wollen eine gütliche Einigung erlangen.“Was das finanziell bedeutet, lässt er offen und sagt, die derzeitige Forderung „sprengt die Vergleichsfälle“. Für Mollaths Anwalt Braun klingt das so: „Alle haben es richtig gemacht, dennoch ist er betrüblicherweise zu Unrecht in der Psychiatrie gelandet.“Mollath und die Freistaat-Vertreter sollen jetzt nach einem Kompromiss suchen. Gelingt dies nicht, steht ein langwieriger Gerichtsprozess bevor.
Weiterhin kann sich Mollath keine Wohnung mieten, sagt Braun, weil er nur wenig Geld und keine Planungssicherheit hat. Immer noch lebt er wechselnd bei Freunden. Mittlerweile ist er 62 Jahre alt und tritt wie immer als Gentleman alter Schule auf: mit Anzug, roter Krawatte, goldfarbenen Knöpfen am Jackett und seinem akkurat rasierten Schnurrbart.
Die Geister der Vergangenheit kommen auch bei diesem Gerichtstermin immer wieder zum Vorschein: Mollath hatte Anfang der 2000er-Jahre seine Frau und ihren Arbeitgeber, die damalige Hypovereinsbank, beschuldigt, für vermögende Kunden Schwarzgeld anzulegen. Er hatte zahlreiche Briefe geschrieben an Staatsanwälte und Politiker. Seine Frau erstattete Anzeige, weil er sie wüst verprügelt haben soll, und ließ sich von einer befreundeten Psychiaterin per Ferndiagnose eine Bescheinigung fertigen, dass ihr Ehemann mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer psychischen Krankheit leide.
Im Prozess 2006 war er dann wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen, zugleich aber bis auf Weiteres wegen angeblicher Allgemeingefährlichkeit in die Psychiatrie eingewiesen worden. Jetzt bezeichnet er es vor Gericht als „göttliches Wunder, dass ich in den siebeneinhalb Jahren nicht durchgedreht bin“.