Rheinische Post Duisburg

Horror auf hohem Niveau

Gesellscha­ftskritik mit Monstern: In „Wir“erlebt eine Familie den amerikanis­chen Alptraum.

- VON CORDULA DIECKMANN

(dpa) Der wahre Feind, kommt er von außen oder steckt er vielleicht tief in uns selbst? Eine Frage, mit der sich auch der Horror-Thriller „Wir“auseinande­rsetzt. Nach seinem oscargekrö­nten Kinodebüt „Get Out“von 2017 hat der US-amerikanis­che Regisseur Jordan Peele nun nachgelegt, in den Hauptrolle­n mit Lupita Nyong‘o und Winston Duke, beide im Marvel-Abenteuer „Black Panther“zu sehen. Als Ehepaar Gabe und Adelaide Wilson fahren sie mit ihren zwei Kindern in den Urlaub. Doch die Ferien geraten zum Horrortrip, als plötzlich vier Gestalten in roten Anzügen vor dem Ferienhaus auftauchen. Das Schockiere­nde: Sie sehen genauso aus wie die Wilsons und sind voller Mordlust. Ein blutrünsti­ger Alptraum beginnt. Die Gründe dafür scheinen tief in der Vergangenh­eit der Mutter Adelaide zu liegen.

Wie schon in „Get Out“verbindet Peele mit „Wir“eine Kritik an der Gesellscha­ft. Dieses Mal geht es um den fehlenden Willen, sich den eigenen Fehlern und Dämonen zu stellen und stattdesse­n lieber die Schuld bei anderen zu suchen, bei Fremden. „Wir haben Angst vor dem Außenstehe­nden“, kritisiert der Filmemache­r und verweist auch auf sein Heimatland, die USA. „Es ist ein Bestandtei­l jeder Form der Angst, vom Terrorismu­s bis zur Einwanderu­ng.“

Doch wer genau hinsieht, erkennt: Die wahren Monster stecken in uns selbst. Peele erweckt diese Ungeheuer zum Leben, als Doppelgäng­er, die in der Mythologie oft als schlechte Omen oder gar Vorboten des Todes gelten. In „Wir“ gleichen sie ihren Vorbildern nur äußerlich. An Stelle einer Seele blitzt Wahnsinn in ihren Augen und wenn sie sich bewegen, wirken sie seltsam ferngesteu­ert. Sie sind die Vergessene­n, Verdrängte­n, getrieben von einem unbändigen Hass, der ihnen gewaltige Kräfte verleiht. Jahrelang haben sie ein Leben im Schatten geführt, sich nach dem schönen, lichten Leben ihrer Ebenbilder verzehrt und den Hunger aus Verzweiflu­ng mit Kaninchen gestillt, „roh und blutig“, wie Adelaides Alter Ego mit heiserer, stockender Stimme hervorpres­st. „Wir sind auch Menschen, weißt du!“

„Der Film handelt von einer amerikanis­chen Familie, die versucht, den perfekten amerikanis­chen Traum zu leben“, beschreibt es Winston Duke, im Film der Vater Gabe. Dass er, Adelaide (Nyong‘o) und die Kinder Zora und Jason schwarz sind, spielt keine Rolle. Normalerwe­ise erlebe das Publikum schwarze Charaktere als erste Opfer der Handlung, findet Duke. Hier sei das zentrale Opfer der amerikanis­che Traum, der von der Familie als gefährlich, unsicher und unhaltbar entlarvt werde. Die vier spielen hervorrage­nd, ebenso wie Golden-Globe-Gewinnerin Elisabeth Moss („Der Report der Magd“). Dabei treiben sie ein doppeltes Spiel - einmal als normale Familienmi­tglieder, einmal als seelenlose, irre Karikature­n ihrer selbst.

Peele erweist sich einmal mehr als Meister des Horrors, lockert das Szenario aber immer wieder mit einer gekonnten Mischung aus Satire und lakonische­m Humor auf. Kurze Atempausen, bevor das Grauen gleich wieder gewaltig Fahrt aufnimmt. Eine kleine Einschränk­ung gibt es. Die Doppelgäng­er sind am Ende nicht nur ein Problem der Wil- sons. Das verschiebt den Film hin zu einer Art Zombieapok­alypse und lässt ihn so weniger persönlich wirken. Atemberaub­end spannend ist „Wir“aber dennoch. Und unglaublic­h blutrünsti­g, denn die Doppelgäng­er planen ein Gemetzel. Die Waffe ihrer Wahl: große, spitze Scheren. In ihrer Mordlust sind sie unerbittli­ch, passend zu dem Bibelzitat Jeremias 11,11, auf das immer wieder Hinweise auftauchen: „Darum – so spricht der Herr: Siehe, ich bringe Unheil über sie, dem sie nicht entgehen können. Schreien sie dann zu mir, so werde ich nicht auf sie hören.“

„Wir“, USA 2019 – Regie: Jordan Peele, mit Lupita Nyong’o, Winston Duke, Shahadi Wright Joseph, 116 Min, FSK 16

 ?? FOTO: DPA ?? Shahadi Wright Joseph als Zora Wilson und Winston Duke als Gabe Wilson.
FOTO: DPA Shahadi Wright Joseph als Zora Wilson und Winston Duke als Gabe Wilson.

Newspapers in German

Newspapers from Germany