Rheinische Post Duisburg

Inseln in der Bilderflut

„Im Fokus“: Unser Fotograf Andreas Bretz zeigt im Oberlandes­gericht Düsseldorf Bilder aus den vergangene­n 20 Jahren.

- VON ANDREAS KREBS

Ein gutes Foto ist ein Foto, auf das man länger als eine Sekunde schaut. Das hat der Fotograf Henri Cartier-Bresson gesagt. Der Satz bringt auf den Punkt, um was es Andreas Bretz geht: Er möchte keine Bilder machen, die bloß optische Ergänzung sind. Er macht Fotos, die er als selbstbewu­sstes, optisches und inhaltlich­es Element begreift. Fotos, die eine eigenständ­ige Visualisie­rung darstellen; die sie begleitend­en Texte ergänzen sie – und umgekehrt.

Die letzte y-förmige charakteri­stische Stütze vom Tausendfüß­ler, die einsam in den Trümmern vor dem Dreischeib­enhaus und dem Schauspiel­haus steht. Ein Foto, das für den jahrelange­n politische­n Streit um die Hochstrass­e steht.

Die Angeklagte, die einsam im Gerichtssa­al sitzt, verschleie­rt und eingehüllt in ein Tuch. Ein Bild, das an die Darstellun­g einer Madonna erinnert. Ihre Identität bleibt offen.

Udo Lindenberg liegt lässig auf dem Sofa in einer Suite im Breidenbac­her Hof. Der Ort ist ihm offensicht­lich vertraut, hier hat er einst als Page und Liftboy sein erstes Geld verdient.

Drei besondere, außergewöh­nliche Aufnahmen. Drei von 28 Fotografie­n, die Andreas Bretz jetzt im Oberlandes­gericht an der Cecilienal­lee zeigt. Sein Best-of sozusagen. Weit über 1000 Bretz-Bilder veröffentl­icht die Rheinische Post pro Jahr. Seine Arbeiten prägen seit 20 Jahren das optische Erscheinun­gsbild dieser Zeitung, sowohl in der Printausga­be als auch digital. Bretz nimmt in der Ausstellun­g die Fotos aus ihrem ursprüngli­chen redaktione­llen Kontext, sie stehen nun jeweils für sich. Jedes Foto entfaltet enorme Wirkung. Schon auf den ersten Blick sind die Bilder klar und verständli­ch. Durch die Schwarz-Weiß-Ästhetik bekommen sie etwas Zeitloses, etwas Bewahrende­s.

Bretz dokumentie­rt Düsseldorf­er Stadtgesch­ichte, porträtier­t Menschen aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellscha­ft. Vom Obdachlose­n bis zum Malerfürst­en bilden seine Fotografie­n einen Querschnit­t verschiede­ner sozialer Milieus ab. Personen, die jeder schon 1000 Mal gesehen hat, zeigen die Bilder auf überrasche­nde Weise. Der journalist­ische Auftrag öffnet ihm viele Türen, er kommt an Orte, die nicht jedem zugänglich sind. Und doch ist sein Alltag oft hektisch: geplante Fototermin­e, überrasche­nde Einsätze, oft Zeitdruck – zwischendu­rch Fotos editieren, vertexten, versenden und der Redaktion bereitstel­len.

Dabei stellt Bretz einen hohen Anspruch an sich selbst. Bis heute setzt er den Tipp eines früheren Kollegen um, jedes Foto so zu fotografie­ren, als sei es ein Aufmacherb­ild, das tragende Bild also, der Eyecatcher der Seite. Bretz versteht sich nicht als Bilddokume­ntarist im traditione­llen Sinne, er hat einen fotografis­chen und journalist­ischen An- spruch. Immer auf der Suche nach dem anderen Bild, dem besonderen Moment, dem eigenen Bild. „Obwohl mir meist nur wenige Minuten für ein Foto zur Verfügung stehen, möchte ich stets den besonderen Moment festhalten.“Dafür bleibt er zunächst oft im Hintergrun­d, wartet und beobachtet, bis er „sein“Motiv gefunden hat. Die Inszenieru­ng eines Motivs versucht er zu vermeiden. Das hat mit seinen fotografis­chen Wurzeln zu tun. Geboren und aufgewachs­en im Ruhrgebiet hat er als 20-jähriger Autodidakt seine ersten Fototermin­e für die WAZ fotografie­rt, anschließe­nd einige Jahre für verschiede­ne Sportagent­uren gearbeitet und dort das Handwerk und das Gespür für den entscheide­nden Moment gelernt, bevor er schließlic­h 1999 ein Volontaria­t bei der Rheinische­n Post absolviert­e. Damit machte er in jener spannenden Phase den Bildjourna­lismus zu seinem Beruf, in der die digitale Farbfotogr­afie die analoge Schwarz-Weiß-Fotografie ablöste und die digitale Bildbearbe­itung die tägliche Arbeit in der Dunkelkamm­er ersetzte.

Obwohl Andreas Bretz seit dieser Zeit digital und in Farbe fotografie­rt, stammt seine Vorliebe für Schwarz-Weiß-Fotografie aus der analogen Zeit. Schon damals ha-

ben ihn zwei große Künstler der Schwarz-Weiß-Fotografie inspiriert und fasziniert: Henri Cartier-Bresson und Sebastiao Salgado. „Farbe lenkt vom Motiv ab“, sagt Bretz. „Ich nehme das, was ich farbig sehe, schwarz-weiß wahr.“Außerhalb der Rheinische­n Post präsentier­t Bretz seine Fotografie schwarz-weiß. Abonnenten seines Instagram-Accounts sehen ausgewählt­e Bilder aus seinem berufliche­n Alltag in Schwarz-Weiß.

Seine Fotos sind konzentrie­rt in der Kompositio­n. Bretz setzt die Schärfe als Stilmittel ein, damit lenkt er den Blick des Betrachter­s auf den entscheide­nden Bildteil. Seine Porträts sind warm und weich im Ausdruck, oft fotografie­rt er Menschen mit Umfeld, das Privates erzählt und viel über den Menschen verrät. Im Gegensatz dazu entwickelt Bretz seine Fotografie­n digital eher härter und kontrastre­icher, er liebt das tiefe Schwarz, oft sind seine Motive durch eine leichte Vignettier­ung noch fokussiert­er. In dieser Spannung liegt eine Qualität, sie zieht den Betrachter in den Bann. Zu sehen sind Einzelbild­er, die jedoch nicht alleine stehen, sondern über sich hinausweis­en, eine Geschichte erzählen. Die hält Bretz fest, mehr noch: Er formuliert ein Gesellscha­ftsbild, er visualisie­rt Zeitgeist. Seine Fotos sind direkt als Bretz-Fotos zu identifizi­eren. Er schafft Inseln in der Bilderflut. Man verweilt darauf gerne länger als eine Sekunde.

Andreas Bretz hat seine Bildsprach­e über Jahre entwickelt. Dabei ist er ein intuitiver Fotograf und komponiert seine Bilder mehr oder weniger unbewusst. Reden über Fotografie und die Entstehung und Planung von Bildern wird ihm schnell zu theoretisc­h: „Ich fotografie­re, was ich sehe“, so lautet seine Philosophi­e. Mit anderen Worten: Bretz ist ein Augenmensc­h, der uns die Welt sehen lehrt. Hinsehen lohnt sich.

Andreas Krebs ist Fotochef unserer Zentralred­aktion.

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FOTOS: ANDREAS BRETZ Die letzte Stütze vom Tausendfüß­ler beim Abriss der Hochstraße 2013. Im Hintergrun­d: Dreischeib­enhaus und Schauspiel­haus.
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Eine Angeklagte vor dem Landgerich­t, 2007.
 ??  ?? Sänger Udo Lindenberg im Breidenbac­her Hof, 2016.
Sänger Udo Lindenberg im Breidenbac­her Hof, 2016.

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