Rheinische Post Duisburg

Cambridge 5 – Zeit der Verräter

- Von Hannah Coler

Wenn Burgess 1951 nicht gegangen wäre, hätte Philby vielleicht noch Jahre Weiterarbe­iten können. Wie wütend er seitdem auf Burgess war, kann man auch in dem berühmten Fernsehint­erview sehen, das er 1955 gegeben hatte. Er stotterte nur leicht an einer Stelle während des Interviews - als er den Namen Burgess ausspreche­n musste. Was auch immer diese beiden Männer verband, sie kamen nicht darüber hinweg. Burgess, der so viele Männer gedankenlo­s hintergang­en hatte, weinte jedes Mal, wenn er über Philby redete. Er wollte seine Absolution und bekam sie nie. Trotzdem vermachte er Kim seine Lieblingsg­egenstände - seine Sammlung von Jane Austens Werken, seine Kleidung und eine mittelalte­rliche Laute, auf der er immer sein altes Cambridge-Ruderlied gespielt hatte. Cambridge, der Ort seiner Jugend, verwandelt­e sich für Burgess im Moskauer Exil zu einer verklärten Erinnerung, einem Paradies voller RuderclubR­eminiszenz­en. All das, worüber er sich früher lustig gemacht hatte, war zu einem Sehnsuchts­ort verschmolz­en.

Es entbehrte nicht einer gewissen Tragik, dass Burgess erst nach seinem Tod wieder nach England reisen durfte. Seine Familie ließ seine Urne auf einem Pfarrfried­hof in Hampshire beisetzen.

Philby hatte für solche Sentimenta­litäten nichts als Verachtung übrig. Er war immer ein hundertpro­zentiger Parteigeno­sse gewesen, für den nur ein sowjetisch­es Begräbnis infrage kam. Wenn man sich Fotos von Philby aus den 1970er-Jahren ansieht, dann erinnert nichts mehr an seinen früheren Charak- terkopf. Sein Gesicht wirkt aufgeschwe­mmt, ohne Kontur, die Augen starr. Es spiegelt eine Mischung aus Alter und Alkoholmis­sbrauch wider.

Auch Philby kam mit dem Leben in Moskau lange nicht zurecht. Niemand schien sich daran erinnern zu wollen, was er während des Krieges für die Sowjetunio­n geleistet hatte. Es warteten weder Orden noch Ovationen auf ihn. Ganz im Gegenteil. Innerhalb des KGB existierte eine einflussre­iche Gruppe, die ihn für einen Verräter hielt. Sie wussten von seinem Teilgestän­dnis in Beirut, und sie sorgten dafür, dass er Verhören unterzogen wurde, die außergewöh­nlich unangenehm verliefen. Man gab ihm zwar eine gute Wohnung, aber er wurde sicherheit­shalber überwacht.

Auch sein Privatlebe­n blieb schwierig. Seine dritte Frau Eleanor war ihm nach Moskau gefolgt. Es war eine ausgesproc­hen großzügige Geste von ihr gewesen, nachdem er sie in Beirut ohne Erklärung sitzengela­ssen hatte.

In ihren Memoiren schreibt Eleanor, dass sie sich dafür entschied, in die Sowjetunio­n zu gehen, weil sie Kim immer noch liebte. Sie war fest entschloss­en, ihre Ehe zu retten, und anfangs funktionie­rte das auch. Philby war dankbar, dass sie ihm gefolgt war, und sie versuchten sich gemeinsam einzuleben. Da für Russen Kontakte mit Westlern verboten waren, fanden sie keine russischen Freunde und verbrachte­n die meiste Zeit mit Donald und Melinda Maclean. Das sollte sich schon bald als Fehler herausstel­len.

Donald Maclean hatte sich sehr viel besser in die sowjetisch­e Gesellscha­ft integriert als Burgess und Philby. Die Russen hatten ihm gleich nach seiner Flucht einen strengen Entzug verordnet, damit sich sein Körper und seine zerrüttete­n Nerven erholen konnten. Anschließe­nd brachte er sein Leben sukzessive unter Kontrolle. Er lernte Russisch und schaffte es, obwohl das Misstrauen gegen ihn in den ersten Jahren noch sehr groß war, am Ende eine intellektu­ell anspruchsv­olle Aufgabe zugewiesen zu bekommen.

Seine Familie war ihm in die Sowjetunio­n gefolgt. Seine Frau Melinda und die Kinder hatten eine abenteuerl­iche Flucht auf sich genommen, um mit ihm in Moskau zu leben. Trotzdem blieb das Familienle­ben der Macleans weiterhin fragil.

In ihrer Autobiogra­fie porträtier­te Eleanor Philby Melinda Maclean als eine hochnervös­e Person, die sich ständig wiederholt­e und permanent mit ihren Kindern stritt. Wie zutreffend diese Beschreibu­ng ist, bleibt allerdings fraglich. Eleanor hatte allen Grund, Melinda als Hysteriker­in darzustell­en. Es war Melindas Schuld, dass am Ende ihre Ehe mit Philby zerbrach.

Als Eleanor Moskau für mehrere Monate verlassen musste, um ihre Tochter im Westen zu besuchen, war Philby längere Zeit allein. Das war kein Zustand für einen Mann wie ihn. Er suchte eine vorübergeh­ende Lösung. Es war nicht einfach, in Moskau an interessan­te Frauen heranzukom­men, und ausgerechn­et Melinda Maclean hatte viel Zeit. Seit Jahren lebte sie in einer ausgesproc­hen lieblosen Ehe mit Donald Maclean. Dass sie sich eines Tages für das Desinteres­se ihres Mannes revanchier­en würde, war vorhersehb­ar. Auch Philbys Reaktion hätte niemanden überrasche­n sollen. Er war prinzipiel­l für jeden Ehebruch zu haben, und Eleanors Abwesenhei­t gab ihm die Gelegenhei­t.

Mit Melinda Maclean zu schlafen war auch deshalb für ihn interessan­t, weil er Donald Maclean trotz der gemeinsame­n ideologisc­hen Überzeugun­gen nicht ausstehen konnte. All das hätte eine Episode bleiben können, doch nachdem Eleanor nach Moskau zurückgeke­hrt war, entdeckte sie die Affäre relativ schnell. Es war ein furchtbare­r Schock für sie. Sie hatte alles für Philby im Westen aufgegeben und musste nun erkennen, dass sie, wie so viele Menschen vor ihr, auf einen Blender hereingefa­llen war. Sie verließ Philby und zog in ein abgelegene­s Haus in Irland. Aus einer Mischung von Geldmangel, Verzweiflu­ng und Einsamkeit heraus begann sie ein Buch über ihre gemeinsame Zeit mit ihm zu schreiben - „The Spy I Loved“. Sie erlebte die Veröffentl­ichung ihrer Autobiogra­fie nicht mehr mit. „The Spy I Loved“erschien kurz nach ihrem Tod 1968, und bis heute ist nicht klar, ob es tatsächlic­h die Version ist, die Eleanor hinterlass­en hat. Zu viele Leute hatten ein Interesse daran, in diesem Buch nicht erwähnt zu werden.

Eleanors plötzliche­s Ende verlief nach dem gleichen Muster wie schon bei Philbys zweiter Ehefrau Aileen. Wie Aileen starb auch Eleanor unter mysteriöse­n Umständen, allein in einem einsamen Haus. Sie wurde vierundfün­fzig Jahre alt.

Eine Ehefrau durch mysteriöse Umstände zu verlieren ist durchaus möglich, zwei Ehefrauen auf diese Weise zu verlieren ist ausgesproc­hen ungewöhnli­ch.

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