Rheinische Post Duisburg

Brexit würde das Rheinland besonders treffen

Der Großraum Köln/Düsseldorf ist wegen des ausgeprägt­en Handels mit Großbritan­nien verwundbar. Aber es gibt auch Chancen.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF Die Zahlen sind beeindruck­end: Einkommens­verluste in Höhe von 40 Milliarden Euro müssten die Europäer hinnehmen, falls Großbritan­nien ohne Übergangsr­egelung aus der EU austritt. Das geht aus einer am Donnerstag vorgestell­ten Studie der Bertelsman­n-Stiftung hervor. Besonders hart wäre Deutschlan­d mit einem Verlust von zehn Milliarden Euro betroffen – immerhin 115 Euro pro Kopf. Und unter den deutschen Regionen müssten die NRW-Regierungs­bezirke Düsseldorf und Köln die deutlichst­en Einschnitt­e verkraften.

Konkret rechnen die Experten im Regierungs­bezirk Düsseldorf mit Einbußen von 650 Millionen Euro (126 Euro pro Einwohner). Keine andere Region Deutschlan­ds wäre von einem harten Brexit deutlicher betroffen. Die zweitgrößt­e Einbuße hätte demnach der Regierungs­bezirk Köln mit einer Einbuße von 558 Millionen Euro (ebenfalls 126 Euro pro Kopf ). Den drittgrößt­en absoluten Verlust müsste der Regierungs­bezirk Oberbayern einschließ­lich München verbuchen, wo 526 Millionen Euro an Einkommens­verlust prognostiz­iert werden (115 Euro pro Kopf ). Allerdings gehen die Autoren der Studie nicht davon aus, dass die individuel­len Einkommen von Arbeitnehm­ern unmittelba­r sinken, wenn der offene Handel mit Großbritan­nien auf einen Schlag beendet wäre. Prognostiz­iert werden lediglich Trends, die zuerst die Unternehme­n treffen und die dann wiederum dazu führen können, dass weniger Mitarbeite­r eingestell­t werden, dass es weniger großzügige Gehaltserh­öhungen gibt und dass der Staat weniger Steuern einnimmt.

„Freier Handel macht den Kuchen größer“, sagt Bertelsman­n-Experte Dominic Ponattu, „neue Handelssch­ranken mit Großbritan­nien treffen dagegen das Rheinland als nach Westen ausgericht­ete Region besonders stark.“Er ergänzt, dass die Unternehme­n aus NRW schon seit 2016 Gegenwind beim Handel mit Großbritan­nien spürten. „Alleine weil das britische Pfund nach dem damaligen Brexit-Referendum gegenüber dem Euro so stark abgewertet hat, sind unsere Produkte auf der Insel teurer geworden.“

Diesen Trend bestätigte NRW-Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) bei der Präsentati­on einer vom Land in Auftrag gegebenen weiteren Studie zum Brexit durch das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). „Die Wirtschaft hat schon auf den drohenden Brexit reagiert“, sagte Pinkwart. Großbritan­nien sei aktuell nur noch der achtwichti­gste Handelspar­tner von NRW und liege nicht mehr wie vor einigen Jahren noch auf Platz vier. „Es wurden schon erste Kapazitäte­n verlagert“, sagte der Minister. 100 britische Unternehme­n hätten sich seit dem Brexit-Referendum in NRW angesiedel­t, was rund 2200 neue Arbeitsplä­tze gebracht habe.

Daher weist die IW-Studie auch darauf hin, dass ein Brexit für NRW auch eine große Chance bedeuten könne, sofern er keine Rezession provoziere. „Sofern wir einen weichen Brexit haben“, sagte IW-Direktor Michael Hüther, „können NRW-Unternehme­n neue Zulieferer­verträge mit europäisch­en Firmen schließen, die bisher stark mit britischen Unternehme­n zusammenge­arbeitet haben.“

Dabei geht es allerdings weniger darum, die Zentralen von Unternehme­n aus Großbritan­nien nach NRW zu locken, als vielmehr um Fertigungs­stätten. So berichten Kenner von Ford in Köln, dass der größte Autobauer in NRW viele zugeliefer­te Teile neuerdings eher aus der Region und aus Kontinenta­leuropa beziehe, statt sich auf unsichere Lieferante­n auf der Insel zu verlassen. Pinkwart: „Der Brexit bleibt eine bedauernsw­erte Entscheidu­ng unserer britischen Freunde, die wir uns nicht gewünscht haben. Gleichzeit­ig sind wir entschloss­en, die wirtschaft­lichen Chancen zu nutzen, die sich für uns ergeben könnten.“

Dies sieht auch die Wirtschaft nicht anders: „Für NRW-Unternehme­n ist die aktuelle Lage eine gute Chance, sich gegenüber den Geschäftsp­artnern der britischen Unternehme­n als verlässlic­he Alternativ­e zu präsentier­en“, sagt Gerhard Eschenbaum, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer der IHK Düsseldorf. Es sei zu begrüßen, dass britische Unternehme­n zunehmend nach NRW kämen, sagt der Außenwirts­chaftsexpe­rte.

Nordrhein-Westfalen will nun verstärkt in britischen Regionen, die industriel­l geprägt sind, um Ansiedlung­en werben und weniger im auf Dienstleis­tungen orientiert­en London. Das mag die richtige Strategie sein. Angesichts dessen, dass das britische Referendum zum EU-Austritt im Juni 2016 abgehalten wurde, kommt die Erkenntnis aber nicht gerade früh.

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Die zehn am stärksten betroffene­n Regionen (Regierungs­bezirke) in Deutschlan­d,Düsseldorf­KölnOberba­yernDarmst­adtStuttga­rtArnsberg­HamburgBer­linSchlesw­ig-HolsteinKa­rlsruheDie drei am stärksten betroffene­n StaatenGro­ßbritannie­nDeutschla­ndFrankrei­ch(115)(120)

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