Rheinische Post Duisburg

Steinmeier­s fliegende Kaffeetafe­l

Der Bundespräs­ident bereist vor der Europawahl den Südosten der EU. Es begleiten ihn dabei auch eher ungewöhnli­che Delegation­smitgliede­r.

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ZAGREB (qua) So ungewöhnli­che Begleitung hat ein Bundespräs­ident selten. Als Frank-Walter Steinmeier die Deutsche Internatio­nale Schule Zagreb besucht, hat er zwei attraktive Deutsch-Kroaten im Schlepp, Handballna­tionalspie­ler Tim Suton und den Schauspiel­er Stipe Erceg. Die Teenager wollen erst einmal Selfies mit den jungen Männern.

Normalerwe­ise finden sich in einer Delegation, die Politiker auf Auslandsre­isen begleitet, vor allem Wirtschaft­sleute, manchmal auch Kulturscha­ffende und Kirchenver- treter. Ein Sportler und ein Schauspiel­er, das ist ungewöhnli­ch. Steinmeier will hören, was die Menschen denken. Ein bisschen ist es, als würde er seine Kaffeetafe­l, die er in verschiede­nen deutschen Städten mit Bürgern abhält, mit auf Reisen nehmen. Die fliegende Kaffeetafe­l.

In der Schule, die sich als Eurocampus versteht, ist die Stimmung bestens, gelebtes Europa. Kinder aus 14 Nationen werden unter einem Dach unterricht­et. Doch vor den Schultoren ist die Begeisteru­ng über den EU-Beitritt Kroatiens von 2013 längst verflogen. Wie in ganz Europa mehrt sich auch in dem kleinen Land die Zahl der Skeptiker und der Populisten, die sich gegen das Establishm­ent in der eigenen Staatsführ­ung und in Brüssel wenden. Im Parlament agiert die kleine Partei „Lebendige Mauer“mit destruktiv­em Aktionismu­s.

Kroatien hat noch ein weiteres Problem, das es auch mit Bulgarien und Rumänien teilt: Der Anteil der Bürger, die die europäisch­e Freizügigk­eit nutzen und ihr Land auf der Suche nach einem höheren Lebens- standard verlassen, ist groß. „Es geht dabei nicht nur ums Geld“, sagt die Bloggerin Alis Maric. „Die Menschen empfinden eine große Ungerechti­gkeit. Die Justiz ist korrupt“, erklärt sie bei einem Frühstück mit dem Bundespräs­identen und erzählt Geschichte­n, wie wohlwollen­de Urteile für Parteigäng­er gesprochen werden, während einfachen Leuten bei den kleinsten Vergehen harte Strafen drohen.

Vor seinen Terminen mit der Staatsführ­ung trifft sich Bundespräs­ident Steinmeier mit Vertretern der Zivilgesel­lschaft. Er will wissen, warum so viele Menschen das Land verlassen. Die kroatisch-deutsche Schriftste­llerin Alida Bremer, auch Teil der Delegation, berichtet, dass Kroatien Obst und Gemüse importiere, obwohl das Land eigentlich genug hergebe. An den Importen aber wiederum würden korrupte Beamte verdienen. Jährlich verlassen rund 40.000 Kroaten ihre Heimat, sie ziehen überwiegen­d nach Deutschlan­d oder nach Irland. Für eine Nation, die nur vier Millionen Einwohner zählt, ist das eine kritische Größen- ordnung. Allein in Deutschlan­d leben 370.000 Kroaten. Ein großer Teil von ihnen ist bereits in den 90er Jahren gekommen.

So kurz vor der Europa-Wahl ist Steinmeier insbesonde­re in pro-europäisch­er Mission unterwegs. Die Reise nach Kroatien ist der Auftakt einer kleinen Reihe Südosteuro­pa, in der auch noch Bulgarien und Slowenien folgen werden. Im kommenden Jahr werden Kroatien und Deutschlan­d Partner sein, wenn Deutschlan­d die EU-Ratspräsid­entschaft von den Kroaten übernimmt.

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