Hart an der Kitschgrenze
Die Bonner Bundeskunsthalle zeigt die vieldiskutierte Ausstellung „Michael Jackson: On the Wall“
BONN Als ich im September 2018 die Ausstellung „Michael Jackson: On the Wall“in der Londoner National Portrait Gallery besuchte – im Ohr noch die fulminante Musik- und Tanzshow „Thriller – Life“, die ich am Abend zuvor im West End erlebt hatte – war die Stimmung ganz anders. Ganz anders als jetzt in Bonn. Man tänzelte quasi erst durch das Riesencover von „Dangerous“und dann durch die Räume. Viel Musik, gute Laune, ein Rendezvous mit einem ungemein begabten Freak, der King of Pop genannt wurde. Dass es auf Jacksons Anwesen „Neverland“schräg zugegangen sein muss, ahnte man. Auch wusste man seit spätestens 1993 von den Missbrauchsvorwürfen.
Der 25. Januar 2019 hat das Koordinatensystem verändert. Da wurde auf dem US-amerikanischen Sundance Film Festival „Leaving Neverland“gezeigt, eine Dokumentation, in der zwei Männer ausführlich berichten, wie sie als Kinder über Jahre von Jackson missbraucht wurden. Immer mehr Details werden bekannt, am 6. April sendet ProSieben die Vier-Stunden-Doku, die ein düsteres, beklemmendes, abscheuliches Bild auf den 2009 gestorbenen Megastar wirft.
Wie geht die Bundeskunsthalle, die die Schau aus London übernommen hat und sie in dritter Station nach dem Pariser Grand Palais in Bonn zeigt, mit dieser Situation um? Auf jeden Fall leiser, distanzierter. Augen auf und durch, könnte die Strategie von Intendant Rein Wolfs und seinem Team lauten. Ein Statement steht an der Wand – „die Vorwürfe, die von den mutmaßlichen Opfern erhoben werden, sind schockierend. Wir sehen es als unsere Verantwortung an, diese Thematik nicht auszuklammern...“– und ein Kunstwerk im Entree, das mehr sagt als tausend Worte: „P.Y.T.“von Appau Junior Boakye-Yiadom zeigt ein Paar Slipper, die auf der Spitze stehen, gehalten von einem Dutzend bunter Luftballons. „Freeze“nannte Jackson den vergänglichen Moment auf der Fußspitze, einen Wettkampf mit der Schwerkraft, den man letztlich nicht gewinnen kann. Ein fragiles, vergängliches Denkmal für einen gefallenen Star. „P.Y.T.“ist der Titel eines Jackson-Songs aus dem „Thriller“-Album – schönes junges Ding. Wer jetzt Alarmglocken schrillen hört: Stop! Jackson bezieht sich in dem Lied von 1982 ausdrücklich auf ein hübsches junges Mädchen.
Auf das volatile Denkmal folgt eine Jackson-Hommage in 134 Kunstwerken von 53 Künstlern: Gemälde, Fotos, Videos und Installationen mehr oder weniger bekannter, mehr oder weniger künstlerisch überzeugender Fans oder zumindest der Person Jackson eher wohlwollend zugetaner Zeitgenossen. Die Prozession rund um den einstigen King of Pop bewegt sich mitunter hart an der Kitschgrenze, die vereinzelt auch beherzt überschritten wird. Kritik an Jackson muss man mit der Lupe suchen. So wird das Phänomen Michael Jackson von vielen Seiten her eingekreist – hauptsächlich aus der Fan-Perspektive.
Info „Michael Jackson: On the Wall“in der Bundeskunsthalle Bonn; bis 14. Juli. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr; weitere Angebote zu Führungen und Sonderaktionen gibt es unter www.bundeskunsthalle.de