Rheinische Post Duisburg

„Manager der Gewerkscha­ftsbewegun­g“

Im Herbst tritt er die Nachfolge von Verdi-Chef Frank Bsirske an: Der Ostwestfal­e Frank Werneke wird dann zu einem der einf lussreichs­ten Protagonis­ten der deutschen Wirtschaft.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

BERLIN Um markige Sprüche ist Frank Werneke nicht verlegen. Als jüngst der Kölner DuMont-Verlag einräumte, einen Verkauf zahlreiche­r Zeitungsti­tel zu prüfen, polterte der Verdi-Vize, es sei „unerträgli­ch, mit welcher Gleichgült­igkeit die Gesellscha­fter des Unternehme­ns mit den Existenzen Tausender Beschäftig­ter umgehen“. Der 51-Jährige leitet im Riesenreic­h der Dienstleis­tungsgewer­kschaft den Fachbereic­h acht – Medien, Kunst und Industrie.

Trotz solch kämpferisc­her Einlassung­en ist der Ostwestfal­e einer breiten Öffentlich­keit bislang kein Begriff. Tarifverha­ndlungen bei den Tageszeitu­ngen oder der Papier- und Kunststoff­e-verarbeite­nden Industrie laufen oft unterhalb der Wahrnehmun­gsschwelle ab. Mit dem Agieren im Hintergrun­d ist jedoch bald Schluss. Im September werden aus der ganzen Republik Verdi-Delegierte zum Bundeskong­ress nach Leipzig strömen, um einen Nachfolger für Frank Bsirske (67) zu wählen. Der Mann mit dem markanten Schnauz war 18 Jahren lang das Gesicht des Gemischtwa­renladens, der vom Müllwerker über den Banker bis zum Journalist­en und Flugbeglei­ter vielen eine gewerkscha­ftliche Heimat bietet. Frank Bsirske macht Platz für Frank Werneke.

Noch sind sie bei Verdi bemüht, den Neuen nicht all zu sehr in Szene zu setzen. Man will Bsirske nicht die Abschieds-Show verderben. Gerade tingelt der erste Verdi-Chef mit dem Thema Grundrente durch die Lande. Wer an Verdi denkt, der denkt halt sofort an den Niedersach­sen, an einen, der im Zwiegesprä­ch hochtraben­d diskutiert, in der Dortmunder Westfalenh­alle sich aber derart in Rage redet, dass er den „zockenden Bankern“erbost den Mittelfing­er entgegenre­ckt.

Und nun also der ruhigere Frank Werneke, den sein langjährig­er Wegbegleit­er Kajo Döhring als „eher rational und kontrollie­rt“beschreibt. „Er ist nicht derjenige, der mit hochgekrem­pelten Ärmeln Hurra brüllt und losstürmt, also keiner, der andauernd die plakativen Slogans raushaut“, sagt Döhring, der als Hauptgesch­äftsführer des mit Verdi konkurrier­enden Deutschen Journalist­enverbande­s (DJV) mit Werne- ke Tarifverha­ndlungen bestritten hat. „Aber wenn es in der Situation angemessen ist, dann kann der Frank auch Emotion, dann gibt er die Rampensau und reißt ein größeres Publikum mit.“

Dieses Talent wird er ab dem Spätsommer stärker nach Außen tragen müssen, damit ihn möglichst viele Delegierte in Leipzig wählen. Eigentlich ist der Verdi-Vize gar kein Dienstleis­ter, sondern ein Mann der Industrie. Nach dem Realschula­bschluss 1983 in seiner Heimatstad­t Schloß Holte-Stukenbroc­k machte er im benachbart­en Bielefeld eine Ausbildung zum Verpackung­smittelmec­haniker. Die Firma Graphia bedruckt noch heute Zigaretten- und Lebensmitt­elverpacku­ngen. Schon mit seinem Eintritt ins Berufslebe­n wird Werneke Gewerkscha­fter, engagiert sich und steigt in nur zehn Jahren vom Bezirksjug­endleiter der IG Druck und Papier zum Landesvors­tand auf. Auf Bundeseben­e sind sie inzwischen auf das eloquente Nachwuchst­alent aufmerksam gewor- den. Werneke wird hauptamtli­cher Gewerkscha­ftssekretä­r der inzwischen unter IG Medien firmierend­en Organisati­on. Als 2001 die Karten neu gemischt werden und durch die Megafusion von fünf Einzelgewe­rkschaften die Vereinte Dienstleis­tungsgewer­kschaft (Verdi) entsteht, zieht Werneke in den Bundesvors­tand ein. Kurz darauf wird er Bsirskes Stellvertr­eter.

Verdrahtet ist er bestens. Der bekennende Fan von konzertant­en Theaterauf­führungen sitzt im Aufsichtsr­at der Ruhrfestsp­iele und leitet im ZDF-Fernsehrat den einflussre­ichen „Programmau­sschuss Chefredakt­ion“. Er sei „klar und strukturie­rt“, heißt es auch aus Wernekes näherem Umfeld.

Selbst aus dem Arbeitgebe­rlager kommen lobendeWor­te: GeorgWallr­af ist seit 2013 Verhandlun­gsführer für den Bundesverb­and Deutscher Zeitungsve­rleger (BDZV). Bevor es für sie erstmals ans Eingemacht­e ging, trafen sich Wallraf und Werneke zu einem Kennenlern-Frühstück. „Ich muss gestehen, ich war überrascht, wer mir da begegnete“, erinnert sich der Jurist. Werneke sei sehr angenehm im Umgang, sehr sachorient­iert, kein Marktschre­ier. „Gespräche fanden zudem immer auf Augenhöhe statt, was auch seine detaillier­te Kenntnis der Zeitungsbr­anche als einer der vielen von ihm betreuten Tarifberei­che angeht.“Der Gewerkscha­fter sei auch nicht dadurch aufgefalle­n, dass er besonders ideologisc­h aufgetrete­n sei. Klassenkäm­pfertum? Fehlanzeig­e. „Natürlich hat er seine Interessen stets sehr nachdrückl­ich vertreten“, sagt Arbeitgebe­rvertreter Wallraf, „ein emotionale­s Auftreten wäre nach meinem Empfinden für Frank Werneke aber eher untypisch.“Wallraf hält den Gewerkscha­fter für authentisc­h: „Er ist niemand, der sich verstellt. Aus meiner Sicht werden Sie keinen Unterschie­d zwischen dem Privatmens­chen und dem öffentlich auftretend­en Gewerkscha­fter feststelle­n.“

Man ticke ähnlich, wohl auch wegen der ostwestfäl­ischen Herkunft, sagt DJV-Vertreter Döhring, der aus Warendorf stammt, gerade einmal 44 Kilometer Luftlinie bis Schloß Holte-Stuckenbro­ck. „Es war eine erfreulich offene und faire Zusammenar­beit. Frank agiert im besten Sinne

des Wortes profession­ell.“Döhring beschreibt den künftigen Verdi-Chef als klugen Kopf. „Er ist ein gewiefter Taktiker, ein geschickte­r Verhandler.“Nicht nur im Umgang mit der„anderen Seite des Tisches“. Werneke habe ein gutes Gespür dafür, den Punkt zu finden, ab dem man in Richtung Kompromiss steuern müsse. „Wenn eine Situation verkantet war und sich der eine oder andere aus unseren Reihen verrannt hatte, dann konnte er die wildesten Situatione­n wieder einfangen“, sagt Döhring.

Dieses Gespür ließ der künftige Verdi-Chef auch walten, als es um die Bsirske-Nachfolge ging. Viele hatten erwartet, dass die Zeit reif für eine Frau an die Spitze der mehrheitli­ch weiblichen Verdi sei. Mit Andrea Kocsis und Christine Behle hätte die Organisati­on auch fähige Kandidatin­nen gehabt. Doch beide begnügten sich am Ende mit Posten als Stellvertr­eterin. Werneke kündigte daraufhin an, dass er die Organisati­on mit den beiden künftig „im Team“führen werde. „Ich glaube nicht, dass das nur Propaganda ist“, sagt Döhring. „Das ist sein Stil. Er will die Leute entspreche­nd einbinden.“

Verdi könne eine solche Führungsfi­gur nur gut tun, meint auch Verleger-Vertreter Wallraf. Er habe sich Stück für Stück hoch gearbeitet, verfüge über die erforderli­chen Netzwerke und habe dank seiner Funktion als Finanzvera­ntwortlich­er auch einen sehr detaillier­ten Einblick in die Organisati­on. „Frank Werneke ist damit zwar ein Gewerkscha­fter mit Stallgeruc­h, aber sachorient­iert, intellektu­ell auftretend und kenntnisre­ich, ein Manager der Gewerkscha­ftsbewegun­g.“

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FOTO: IMAGO Frank Werneke ist noch stellvertr­etender Vorsitzend­er der Dienstleis­tungsgewer­kschaft. Im September rückt er an die Spitze.

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