Rheinische Post Duisburg

Verantwort­lich für die Leichtigke­it

Nach seiner Einwechslu­ng gegen Serbien bewies Marco Reus, wie wichtig er für die „neue“DFB-Elf ist.

- VON ROBERT PETERS

WOLFSBURG Früher hätte Marco Reus wahrschein­lich zu so einem Anlass versucht, Kameras und Mikrofonen aus dem Weg zu dribbeln. Er wäre eins mit der Rückwand der Begegnungs­zone zwischen Fußballspi­elern und Medien und damit beinahe unsichtbar geworden. Allenfalls einen knappen Kommentar der Art „bin froh, der Mannschaft geholfen zu haben...“hätte er leise und scheu im Vorbeigehe­n hervorgedr­uckst. Dann wäre er mit der Hand durchs Haar gefahren und schnell verschwund­en. Mit der Hand durchs Haar fährt er immer noch beim Sprechen. Aber heute spricht er laut, deutlich, klar. Und er geht keinem aus dem Weg. Marco Reus (29) ist ein sehr erwachsene­r Mann geworden. Und dieser erwachsene Mann sagt nach dem ersten Länderspie­l des Jahres, dem 1:1 im Freundscha­ftsspiel gegen Serbien: „Im Großen und Ganzen war das zu wenig.“Patsch.

Und er hat natürlich recht, der erwachsene Herr Reus, der Kapitän von Borussia Dortmund ist und der in seiner doch schon recht langen Karriere noch nie so gut Fußball gespielt hat wie zurzeit. Dabei hat er schon oft sehr gut Fußball gespielt, aber nie sehr lange am Stück. Seine vielen Verletzung­en haben ihn wichtige Turniere und große Titel gekostet. Die WM in Brasilien verpasste er wie die EM in Frankreich, und es gab viele, die in ihm einen ewig Unvollende­ten sahen. „Uns hat er ja häufig gefehlt“, sagt Bundestrai­ner Joachim Löw, „und wenn man seine Qualität und große Klasse sieht, dann merkt man erst, wie sehr er uns gefehlt hat.“

Im März 2019 fehlt Reus nicht. Er hilft gegen Serbien nach der Pause zu reparieren, was im ersten Durchgang angerichte­t worden ist. Eine kollektive Orientieru­ngslosigke­it nach einer Ecke nutzt der Serbe Luka Jovic zur Führung, mangelnde Abstimmung führt zu gefährlich­en Kontern, und das Angriffssp­iel bleibt nach ein paar Ansätzen zu Beginn im Breitwand-Kurzpass-Spiel hängen. Das Publikum pfeift, der Neuaufbau klebt fest in diesem Pfeifkonze­rt zur Pause. Reus bringt mit seinen Läufen und seiner Präsenz die vielzitier­te Tiefe ins Spiel, seine Vorarbeit nutzt Leon Goretzka zum Ausgleich, und Reus stellt zu Recht fest: „Da haben wir mit mehr Tempo gespielt.“

Er stellt aber auch zu Recht fest: „Unser Anspruch muss es sein, besser zu spielen und das Spiel zu gewinnen.“Die Gelegenhei­t, mehr Tore zu schießen, haben die Deutschen. Die Chancen werden vergeben, weil die Balance zwischen Spielfreud­e, Leichtigke­it und profession­eller Ernsthafti­gkeit nicht stimmt. Das hat Löw ebenfalls gesehen. „Konsequenz ist ein Thema bei uns“, erklärt der Trainer, „das gilt für die Abwehr bei einer Standardsi­tuation des Gegners wie dem Eckball vor dem 1:0 für Serbien, und das gilt für den Angriff bei unseren Chancen.“

Trotzdem ist ihr Talent nicht zu übersehen. Die zweite Halbzeit, vom Publikum mit Beifall bedacht, findet auch in Löw einen zufriedene­n Betrachter. „Das kam dem schon nahe, was ich sehen will“, sagt der Coach, „wir hatten Tempo, und wir haben unsere Gefährlich­keit bewiesen.“Neben Reus kommt vor allen Leroy Sané so richtig zur Geltung. Seine Dribblings sind manchmal unwiderste­hlich, seine Wendungen, seine kurzen Stopps überforder­n die serbische Abwehr. Als seine Gegenspiel­er zu anhänglich werden, befreit sich Sané mit einem ruppigen Trikotzupf­er. Zwei Minuten später wird er brutal umgegrätsc­ht. Milan Pavkov sieht dafür in der Nachspielz­eit Rot, der einzige Missklang in einem echten Freundscha­ftsspiel.

Es bringt nicht nur für Löw die Erkenntnis: Die Talente in seiner Mannschaft brauchen nach wie vor Führung, damit sie sich entfalten können. Anders gesagt: Ohne Reus wird das nichts mit einem vernünftig­en Neuaufbau. Aber Löw hat ihn ja diesmal dabei. Reus ist nicht nur besser denn je, sein Körper ist auch so stabil wie noch nie. Für die DFB-Auswahl ist das zweifelsoh­ne ein großes Glück.

Deutschlan­d - Serbien 1:1 (0:1) Tore: 0:1 Jovic (12.), 1:1 Goretzka (69.)

Rote Karte: Pavkov (90.+3)

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PFÖRTNER/DPA ?? Marco Reus (links) kurbelteda­s Spiel der deutschen Nationalma­nnschaftna­ch der Pause an, auch der Serbe AdemLjajic kam da kaum hinterher.
FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Marco Reus (links) kurbelteda­s Spiel der deutschen Nationalma­nnschaftna­ch der Pause an, auch der Serbe AdemLjajic kam da kaum hinterher.

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