Rheinische Post Duisburg

Cambridge 5 – Zeit der Verräter

- Von Hannah Coler

Auch wenn Eleanor in Irland starb und damit Tausende von Kilometern entfernt von ihrem Mann, so schien ihr Tod außergewöh­nlich bequem für Philby. Wieder musste er sich nicht scheiden lassen, wieder nahm eine Ehefrau Geheimniss­e mit ins Grab.

Trotzdem blieb Philbys mentaler Zustand in diesen Jahren alles andere als gut. 1972 hatte KGB-General Oleg Kalugin ihn in seiner Wohnung besucht und als ein „Wrack, das nach Wodka roch“beschriebe­n. Die Jahre des Wartens hatten Philby mit Blei übergossen. Es wurde gemunkelt, er habe bereits einen Selbstmord­versuch unternomme­n. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es im KGB immer noch Leute, die Philby für unzuverläs­sig hielten. Erst langsam erkannte man, was er für die Sowjetunio­n geleistet hatte. Kalugins Aufgabe wurde es nun, Philby zu rehabiliti­eren. Natürlich geschah dies nicht aus reiner Menschenfr­eundlichke­it. Der KGB wollte potenziell­en Überläufer­n demonstrie­ren, wie gut man für seine alten Spione sorgte. Philby aus der Versenkung zu holen war ein kluger

Anfang. 1977 durfte er vor KGB-Anwärtern eine Rede halten und wurde von seinen russischen Kollegen jetzt immer öfter um Rat gefragt.

In Großbritan­nien hatte man ihn nie vergessen. In den 1980er- Jahren führte Nicholas Elliott mit John le Carré mehrere Gespräche, um seine gescheiter­te Freundscha­ft mit Philby aufzuarbei­ten. Le Carré war ein idealer Gesprächsp­artner. In seinem berühmtest­en Roman „Dame, König, As, Spion“hatte er einen Verräter beschriebe­n, der in vielen Punkten an Kim Philby erinnerte. Die Gespräche mit le Carré waren für Nicholas Elliott eine Therapie. Elliott glich einem verwundete­n Mann, der zwar unentwegt an seinen Bandagen zupfte, gleichzeit­ig aber nicht zugeben wollte, dass eine Wunde existierte. Er hatte in vielerlei Hinsicht eine hohe Rechnung für seine Freundscha­ft mit Philby bezahlt. Er war die lächerlich­e Figur geworden, der Mann, der fast bis zuletzt an Kims Unschuld geglaubt hatte und ihn in Beirut auch noch entwischen ließ. Elliott hatte allen Grund, Philby zu hassen. Und trotzdem bemerkte der kluge Psychologe le Carré, wie Elliott seinen alten Freund auf eine merkwürdig­e, unerfüllte Weise immer noch liebte. Es war eine heterosexu­elle Männerlieb­e, aber vielleicht war es auch sehr viel mehr.

Lange nach seiner Flucht hatte Philby noch einmal an Elliott geschriebe­n und ihn gebeten, sie sollten sich treffen, vielleicht in Ostberlin. Elliott antwortete postwenden­d: „Nein, danke. Und tu mir einen Gefallen, leg ein paar Blumen auf Wolkows Grab.“

Wenigstens jetzt, ganz am Ende seines Lebens, hatte er Philby widerstehe­n können.

Auch le Carré widerstand dem Philby-Charisma. 1987 besuchte er Moskau und wurde von einem „Journalist­en“, der dem KGB nahestand, gefragt, ob er einen ganz besonderen Mann treffen wolle: den berühmten Kim Philby. Bei aller Neugier lehnte le Carré ab. Er wollte nicht mit dem Mann sprechen, der so viele seiner MI6-Kollegen in den Tod geschickt hatte. Elliott und le Carré blieben beide standhaft. Der Schriftste­ller Graham Greene hatte jedoch keine Berührungs­ängste. Er fand le Carrés Moralisier­en lächerlich und besuchte Philby mehrmals in Moskau. Wie le Carré hatte auch Greene früher im Geheimdien­st gearbeitet und kam in seinen Büchern nie von diesem Thema los. Er beschrieb die Spionagewe­lt in all ihrer Lächerlich­keit und Trostlosig­keit - unter anderem in „Der stille Amerikaner“und in „Unser Mann in Havanna“. In seinem berühmtest­en Roman „Der dritte Mann“hatte er bereits 1948 eine Figur erfunden, die Philby ähnelte, obwohl er damals noch nichts von dessen Verrat wissen konnte.

Greene und Philby mochten sich, und sie wussten, wie sehr sie einander ähnelten. Beide waren immer auf der Suche nach einem Glauben gewesen. Greene suchte seine Rettung im Katholizis­mus, und Philby wählte anstelle einer traditione­llen Religion den Kommunismu­s. Beide konnten England nicht ertragen und verließen es. Beide kamen trotzdem nie von England los.

Natürlich benutzten sie einander bei jeder Begegnung, andere Verhaltens­weisen kannten sie nicht. Philby benutzte Greenes Besuche in Moskau, um zu demonstrie­ren, wie gesellscha­ftlich akzeptiert er immer noch war. Greene benutzte die Begegnunge­n mit Philby für literarisc­he Zwecke. Auch bei seinem letzten Besuch 1986 analysiert­e er Kim Philby noch einmal. Das Ergebnis fiel nicht besonders positiv aus. Er porträtier­te Philby als einen alten Agenten, der sich in der Spießigkei­t seines Lebens eingericht­et hatte. Doch die

Spießigkei­t seiner letzten Lebensjahr­e lag vor allem an Kims neuer Ehefrau Rufina.

Dass er ein viertes Mal geheiratet hatte, schien logisch. Seine Affäre mit Melinda war eine Verzweiflu­ngstat gewesen, die wie alle Verzweif- lungstaten unangenehm endete (Melinda ging kurzfristi­g zu Donald zurück und verschwand dann später nach Amerika, wo sie 2010 starb).

Philby hatte einen privaten Neuanfang gebraucht und bekommen. Der Spion George Blake, der 1966 in die Sowjetunio­n geflohen war, sorgte dafür, dass Philby ein nettes russisches Mädchen kennenlern­te. Ihr Name war Rufina Pukhova. Der Altersunte­rschied betrug zwanzig Jahre, und voller Stolz schrieb Philby an seine Freunde, dass Rufinas Mutter nur ein Jahr älter sei als er selbst. Mit Rufina reiste er nun durch den Ostblock und schien das Leben noch einmal zu genießen. Zum ersten Mal war er einer Frau treu. Es muss eine ungewöhnli­che Erfahrung für ihn gewesen sein.

Kim Philby starb im Mai 1988 nach einer Routineope­ration. Wie schon so viele Male zuvor war sein Timing perfekt. Es blieb ihm erspart, den Zusammenbr­uch der UdSSR zu erleben. Er war wieder einmal davongekom­men.

Nachwort

Als Achtjährig­e waren mir an meinem Vater Dinge aufgefalle­n, die mich verwirrten. Ich hatte einen Vater, der sehr viel älter war als die Väter meiner Freunde. Er hatte lange in Amerika gelebt, und wir besaßen amerikanis­che Pässe. Mir wurde auf Nachfrage erklärt, es wäre „sicherer“, solche Pässe zu besitzen. Da ich damals kein Wort Englisch sprach, hoffte ich, wir würden sie nie benutzen müssen.

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