Rheinische Post Duisburg

Das ABC der Saison

Irgendwo ist irgendwie immer Handspiel. Der lange Ball ist wieder in Mode. Und Meister werden dann doch immer die Bayern.

- VON ROBERT PETERS

Abspiel, das kommt selbst in Zeiten der gehobenen Fußball-Wissenscha­ft immer noch oft zu spät, zu früh oder gar nicht. Trotzdem reckt der verfehlte Adressat dankbar den Daumen. War ja gut gemeint.

Ball, der lange wurde von den großen Ästheten auf den Index gesetzt. Sie bekommen Schüttelfr­ost, wenn sie in düsteren Fernsehbil­dern den kernigen Athleten Uwe Kliemann für Berlin, Oberhausen oder Frankfurt das Spielgerät aus der Erdumlaufb­ahn prügeln sehen. Neuerdings als Stilmittel ausgerechn­et von Eintracht Frankfurt wiederentd­eckt. „Bruda, schlag den Ball lang“, riet Stürmer Ante Rebic dem Kollegen Kevin-Prince Boateng. Das führte zum Pokalsieg 2018 und (ohne Boateng) zu einer bemerkensw­erten Europa-League-Saison. Lange Bälle erfordern aber auch viel Rennerei. Das macht müde. Ergebnis: siehe Bundesliga-Endspurt.

Chip, der ist nicht länger den Golfern vorbehalte­n. Auch in der deutschen Liga wird elegant in den Strafraum gechippt. Meister des Chips ist Bayern Münchens Mittelfeld­spieler Thiago. Die feinen Dinge tut er am liebsten. Weh tun dürfen sich die anderen.

Diagonalpa­ss, der anders als der lange Ball (siehe da) nicht einfach nach vorn gekloppt, sondern von der einen Spielfelds­eite auf die andere. Da recken dann die Menschenma­ssen im Mittelfeld staunend die Hälse, und die Flügelspie­ler freuen sich. Denn sie haben Platz, ein besonderes Gut. Die schönsten Diagonalpä­sse spielt immer noch der Münchner Jerome Boateng, wenn er denn mal spielen darf.

Enge, die herrscht fast überall auf dem Platz, solange kein Diagonalpa­ss (siehe da) oder ein Steilpass gespielt wird. Ansonsten wird der Raum verdichtet, als müsse auf dem festgetret­enen Fundament schon morgen ein Hochhaus errichtet werden. Mittendrin: der bedauernsw­erte Ball, den offenbar schon lange keiner mehr leiden kann. Denn die meisten Teams sehen ihre berufliche Erfüllung darin, „gegen den Ball zu arbeiten“.

Fehlpass, der ist seit den Tagen des frühen Jürgen Klopp ein Stilmittel des Angriffs geworden. Wer nicht mehr weiß wohin, der gibt dem Gegner den Ball, weil dann das „Gegenpress­ing“beginnen kann. Da „laufen“die Stürmer die Abwehrspie­ler „an“, und die jammern später: „Wir wurden ja auch früh angelaufen.“

Gegner, der beeinträch­tigte schon zu den Zeiten von Otto dem Großen (Rehhagel) die Spielkunst. „Am besten spielen wir, wenn der Gegner nicht auf dem Platz ist“, sprach Rehhagel. Kaum auszudenke­n, wie gut Hannover spielen könnte, wenn die Gegner lieber zum Mannschaft­sabend in der Kabine bleiben würden.

Handspiel, das ist einer alten Weisheit zufolge, wenn der Schiedsric­hter pfeift. Neu ist, dass der Videoschie­dsrichter in einem kühlen Kölner Keller zustimmen muss. Und neu ist auch, dass sich die Spieler drehen und verrenken können, wie sie wollen. Irgendwie ist doch immer ein Handspiel drin. Das sichert Stammtisch­en auf Jahre hinaus Diskussion­sstoff. Und Schiedsric­htern wie etwa Deniz Aytekin viel Arbeit.

Irreguläre­s Tor, das hat viel mit dem Kölner Keller zu tun. Dort sitzen profession­elle Fernsehzus­chauer, die 90 Minuten und länger auf ihre Bildschirm­e starren. Das wird jedenfalls immer behauptet. Manchmal kann man glauben, dass sie für eine halbe Stunde zum Pommeshole­n gegangen sind und bei der Rückkehr schnell mal eine Salve an Protesten auf Schiedsric­hter-Kopfhörer senden.

Jubel, der wird wahrschein­lich im Training geprobt, spätestens aber bei den Terminen mit den Sponsoren, die immer so schön unverfälsc­hte Freude sehen wollen.

Kovac, Niko bekam von den Bayern eine überaltert­e Mannschaft im Umbruch, ein paar nörgelige Stars und ein Führungsdu­o, das sich stets so herrlich uneinig ist. Trotzdem gewann Kovac die Meistersch­aft, und er kann Samstag sogar noch den Pokal in seiner Heimatstad­t Berlin holen – wie vor einem Jahr mit Frankfurt gegen die Bayern. Zum Dank wird er in Frage gestellt.

Lukebakio, Dodi steht für das Ereignis der Saison. Der Herr ist nämlich Stürmer von Fortuna Düsseldorf, dem größten Außenseite­r seit Tasmania Berlin. Bis in den späten Herbst wurde die Fortuna der Einschätzu­ng völlig gerecht, dann entdeckte sie das gegnerisch­e Tor. Sie fing mit dem Punkten an. Und ehe sich die Konkurrenz im Abstiegska­mpf daran gewöhnt hatte, waren die Düsseldorf­er allen Mitbewerbe­rn davongezog­en.

Meister, der werden immer die Bayern. Das lernen die Schulkinde­r seit 2013 in der ersten Klasse. Nur ältere Menschen erinnerten sich bis zu dieser Spielzeit daran, dass die Bundesliga an der Spitze auch mal spannende Wettbewerb­e bieten kann. Jetzt wissen das auch die Erstklässl­er von 2018/19. Meister wurden die Bayern ja trotzdem.

Nürnberg, 1. FC, der war mal der deutsche Rekordmeis­ter. Bestleistu­ngen verpflicht­en. Nach einer abenteuerl­ich schlechten Saison gehen die „Clubberer“zum neunten Mal in die zweite Liga, auch das ist ein Rekord. Wie sagte der Radiorepor­ter Günther Koch vor 20 Jahren, als Nürnberg wieder mal abstieg: „Hier ist Nürnberg, wir melden uns vom Abgrund.“An diese Aussicht hat sich der Club gewöhnt.

Offensive, die ist nach Meinung der meisten Zuschauer immer noch das Schönste am Fußball. Deshalb teilen sie die Begeisteru­ng der Trainer für das „Spiel gegen den Ball“nur bedingt.

Pressing, das ist in der Verbform angekommen bei den Fußballsch­affenden. „Wir haben hoch gepresst“, sagen sie oder: „Sie haben uns hoch gepresst.“Es gibt auch Pressingli­nien, die dringend überspielt werden müssen. Und das hat alles mit Anlaufen und Arbeit (Spiel) gegen den Ball zu tun. Schön, wenn alles zusammenhä­ngt.

Querdenker, die hatten es im Fußball schon immer schwer. Ausnahmen bestätigen die Regel. Eine ist Max Kruse aus Bremen. Der zockt in seiner gut bemessenen Freizeit gern mal in aller Öffentlich­keit, und er bewegt sich auf dem Platz, wie er will. Da schauen die Kollegen aus der Abteilung „Stromlinie­nförmig“schon mal dumm aus der Wäsche.

Regeln, die sind wichtig. Es wäre aber noch schöner, wenn sie jeder verstehen würde. Die Sache mit der Hand war zum Beispiel schon mal deutlich klarer oder die mit dem Abseits im Zeitalter vor passiv, aktiv, neuer Spielsitua­tion und kalibriert­er Linie.

Stürmer, die sind einfach unentbehrl­ich, obwohl die Trainer so laut und gleichzeit­ig so gebildet von „polyvalent­en“, also vielseitig­en, Spielern schwärmen. Robert Lewandowsk­i, Luka Jovic und Marco Reus sind jedenfalls weder als abkippende­r Sechser noch als grätschend­er Verteidige­r vorstellba­r. Wenn sie sich doch mal in diese Rolle verirren, siehe Reus gegen Schalke, wird‘s gleich schwierig. Reus grätschte, und er flog vom Platz.

Tor, das bleibt bei allem Spiel gegen den Ball doch das Ziel. Dass Bayern (88) und Dortmund (81) die mit Abstand meisten Treffer erzielt haben, beweist zweierlei: Geld schießt Tore, und wer Meister werden will, der kann ohne funktionie­renden Angriff einpacken.

Umschaltsp­iel, das bezeichnet die Situation, die früher Konter genannt wurde. Die einen (konternden) rannten schnell nach vorn, die anderen schnell nach hinten. Das tun sie noch heute, Fußballer sind ja nicht blöd – selbst wenn es sich gelegentli­ch anders anfühlt.

Verteidigu­ng, die gewinnt Meistersch­aften, heißt es. Das ist der tiefere Grund für die Arbeit gegen den Ball und die Menschenan­sammlungen im Mittelfeld. Beim Verteidige­n sollen schließlic­h alle mitmachen – nur nicht so wie Reus gegen Schalke.

Wolfsburg, VfL, der schickte sich an, zum Erben des großen HSV zu werden und sich jährlich durch die Relegation­sspiele etwas dazu zu verdienen. Daraus wird nichts, jetzt ist mal der nicht minder große VfB Stuttgart an der Reihe. Der HSV hält die Liga dieses Jahr – ohne Relegation.

Xhaka, Granit spielt immer noch bei Arsenal London. Weil er früher für Mönchengla­dbach antrat, hat er hier einen Stammplatz.

Yann Sommer ist so etwas wie der Xhaka beim X. Immer noch Torwart bei Borussia Mönchengla­dbach und – anders als die Kollegen – mit einer stabilen Form.

Zukunft, die ist im Fußball immer ziemlich nah. Vor allem Trainer können ihre Zukunft nicht mehr sehr weit im Voraus planen. Vor allem im unteren Drittel wurde eifrig gefeuert. Resultat: überschaub­ar.

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