Erinnerungen an Marlene Dietrich
Die Schauspielerin Claudia Michelsen gestaltete im ausverkauften Saal der Zentralbibliothek einen Abend über den Weltstar, den sie als „eine der letzten großen Heldinnen, die wir je hatten“sieht.
Marlene Dietrich war eine Ikone der Filmgeschichte, ein Vamp und eine Diva zugleich. Für manch ewig Gestrige war sie jedoch eine Volksverräterin, andere hingegen sahen in ihr „eine der letzten großen Heldinnen, die wir hatten“. Dieser Ansicht ist zum Bespiel die Film- und Theaterschauspielerin Claudia Michelsen, die mit einer ausverkauften Lesung unter dem Motto „Sag mir, wo die Blumen sind“über die Dietrich in der Zentralbibliothek gastierte und das Publikum zu begeistern verstand.
Michelsen schlüpft bei ihrem Auftritt nicht in der Rolle des großen Stars, der als „fesche Lola“in dem Film „Der blaue Engel“Anfang der 1930er Jahre von Berlin auszog, die Welt zu erobern, so wie es einst Judy Winter oder Ute Lemper bei ihren Auftritten taten, nein – Michelsen kommt schlicht gekleidet mit dunkler Bluse und Hose in Turnschuhen und einer streng nach hinten zu einem kleinen Pferdeschwanz gekämmten Frisur. Auf der Bühne ein Stuhl und ein Tisch und auf diesem ein Mikrofon und ein Glas Wasser, später auch ein Tee. Mehr nicht.
Dieser im Theater vielerorts verwendete brechtsche Effekte schafft im Gegensatz zur Einfühlung nämlich Distanz zu der Figur, die man darstellerisch verkörpern will. Michelsen setzt erst ihre große dunkle Brille auf, schlägt dann ihr mehrseitiges Manuskript auf und beginnt Erinnerungen an und von Marlene Dietrich, die eigentlich Marie-Magdalene Dietrich hieß, von deren Geburt 1901 bis zu ihrem Tod 1992 mit episch-erhobener Stimme vorzulesen. Ihren leicht rauchigen, immer etwas geheimnisvollen Michelsen-Ton hört man nur ganz verhalten – vor allem dann, wenn sie die Dietrich wortwörtlich sprechen lässt.
„Die letzten Scheinwerfer sind längst erloschen, die Show ist aus…“, mit diesen Worten beginnt sie den dichten knapp zweistündigen Abend (mit Pause), den der Verein für Literatur Duisburg möglich machte. Der Text stammt von Gerhard Ahrens, Autor und Dramaturg sowie ehemaliger künstlerischer Leiter am Schauspiel Frankfurt und an der Berliner Schaubühne und heutiger künstlerischer Berater der Stiftung Schloss Neuhardenberg und des Festivals „Movimentos“in Wolfsburg.
Michelsens literarische Reise mit der Dietrich verläuft aber gänzlich anders als viele Bücher und Shows sonst über sie erzählen: Bei ihr steht nicht die Chronologie der Ereignisse mit ihren vielzähligen Männern – übrigens auch Frauen, die in der Lesung allerdings überhaupt nicht vorkamen – im Vordergrund. Michelsens Lesung begibt sich auf Spurensuche in die seelische Tiefe, taucht ein in das Innere, das Gefühlsleben des Menschen Marlene Dietrich. Und dennoch finden auch ihr Ehemann Rudolf Sieber, ihr Mentor Josef von Sternberg wie auch ihre Geliebten Erich Maria Remarque und Jean Gabin gebührende Erwähnung. Doch Michelsens Textvortrag verfolgt ein anderes Ziel. Denn bei allen Erfolgen, die die Dietrich hatte, wird als Kehrseite ihres Lebens immer wieder ihre Einsamkeit in der Lesung thematisiert, die bisweilen nämlich fast trauma
tische Dimensionen angenommen hatte.
Ihre Berliner Kindheit und Schulzeit sowie ihre frühe Liebe zu Frankreich, denn die Vorfahren ihres leiblichen Vaters waren als Hugenotten einst aus Frankreich vertrieben, als auch ihre Jugendjahre im Internat in Weimar waren der Auftakt. Der Tod und damit Verlust ihres Vaters (1908), später auch ihres Stiefvaters (1918), der Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit dem Angriff auf Frankreich 1914 („Ich habe meine Heimat verloren“), als auch die Zeit im Internat allein (1919 bis 1921) legten den Grundstein von Marlene Dietrichs wenig bekannter Einsamkeitsdepression. Am 14. November 1920 schrieb sie als Tagebucheintrag: „Dem Alleinsein kann man entkommen, nicht aber der Einsamkeit.“
Michelsen dann zum Schluss der Lesung: „Eine Greisin im Bett, nachts. Sie hat Tabletten genommen, getrunken, doch der Schlaf kommt nicht. Auf dem Nachttisch, neben dem Telefon, liegt ein schmaler Notizblock. Sie nimmt einen Stift zur Hand und schreibt auf Englisch: Wenn mein Herz nicht mehr schlägt, wird es in aller Welt gehört, und nach zwei Tagen ist es vergessen. So gehen die Jahre hin: Telefon, Tabletten, Alkohol, Briefe aus der Ferne. Und eines Tages im Mai 1992 hört das Herz der Greisin auf zu schlagen, und ihr Tod wird in aller Welt vernommen. Aber was sie geahnt und geschrieben hat, geschieht nicht. Sie wird nicht vergessen, nicht nach zwei Tagen und auch nicht nach 27 Jahren.“
Ganz großer Beifall für Vortrag und Vortragende!