Wehmut in Wattenscheid
BOCHUM Am Samstag kamen noch mal richtig viele in die Lohrheide. 1400 Zuschauer sorgten laut Vereins-Homepage „für eine großartige Kulisse“beim 3:0 der SG Wattenscheid 09 im Regionalligaspiel gegen die Reserve von Fortuna Düsseldorf. Doch der einmalige Boom an den Tageskassen hat einen traurigen Grund: Es steht schlichtweg nicht fest, ob es noch ein weiteres Heimspiel der Wattenscheider geben wird. Über das Vermögen des Vereins war am 1. Oktober ein Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Bis „Mitte der Woche“werde es eine „Pressemitteilung geben, in der die Sachlage dargestellt wird“, teilte Insolvenzverwalterin Anja Commandeur mit. Den Angaben zufolge werden kurzfristig mindestens 135.000 Euro benötigt, um den Spielbetrieb zumindest bis zur Winterpause aufrechterhalten zu können.
Passiert also nicht noch ein Wunder, könnte es das endgültig gewesen sein mit der SG. Wattenscheid kämpft seit Jahren um das finanzielle Überleben, erst in diesem Sommer war ein Insolvenzverfahren abgewendet worden. Danach war dann aber Aufsichtsratschef und
Haupt-Geldgeber Oguzhan Can zurückgetreten. Aber ganz vorbei? Das wäre dann doch ein neuerlicher Tiefschlag für alle Fußball-Romantiker. Wattenscheid war nie eine der ganz großen Nummern, aber die Geschichte vom Underdog, vom Stadtteil-Verein mit seinem „Retro-Stadion“, der sogar mal die Bayern schlug, die ließ sich über die SG erzählen. Und jetzt, da es vorbei sein könnte, wird manchem erst bewusst, dass die SG ihren Platz in der deutschen Fußballhistorie durchaus inne hat.
Vier Jahre lang spielte Wattenscheid – seit der Gebietsreform 1975 sind die heute knapp 72.000 Einwohner in Bochum eingemeindet – in der Bundesliga, zwischen 1990 und 1994. Textil-Mäzen Klaus Steilmann machte es finanziell möglich, später wurde Tochter Britta die erste Managerin im deutschen Profifußball. Uli Hoeneß bezeichnete Wattenscheid mal als „das Schlimmste, was der Bundesliga passieren konnte“. Zweimal immerhin verloren Hoeneß’ Bayern bei der grauen Maus. Und der Rest der Liga fand Wattenscheid gar nicht so schlimm. Hannes Bongartz war damals Trainer in der Lohrheide. Er gehörte zum Wattenscheid-Bild dieser Zeit wie die Viererkette, die die Mannschaft als eine der ersten in der Bundesliga umsetzte.
Und auch wenn es nach 1994 wieder runter ging, erst noch ein paar Jahre in die 2. Liga und schließlich 2010 sogar hinab bis in die sechstklassige Westfalenliga, bleiben doch gleich mehrere Spieler hängen, die mal das Wattenscheider Trikot trugen. Souleman „Samy“Sané, beispielsweise, blitzschnell und Vater eines gewisses Leroy Sané, der in der SG-Jugend groß wurde. Oder die Altintop-Brüder Hamit und Halil. Marcel Witeczek spielte in der Lohrheide genauso wie Yildiray Bastürk, der viel zu früh verstorbene Maurice Banach, Thorsten Fink, Michael Preetz oder Marek Lesniak.
Ein letztes mediales Aufbäumen gelang dem Verein, als er im Frühjahr Tausendsassa Peter Neururer als Sportlichen Leiter vorstellen konnte. Der Mann mit dem schnellen Mundwerk blieb aber nur fünf Monate. „Ich verspreche mir überhaupt nichts. Ich habe die Hoffnung, dass wir Wattenscheid wieder dahin bringen, wo es mal war“, sagte Neururer Anfang Juni im Interview mit unserer Redaktion. Das schaffte Neururer nicht. Aber er versah die SG 09 immerhin mit einer weiteren Anekdote. Vielleicht der letzten.