Rheinische Post Duisburg

Das Virus würgt Frankreich­s brummenden Job-Motor ab

Die Arbeitslos­igkeit war auf den tiefsten Stand seit zehn Jahren gesunken, die Wirtschaft boomt. Nun bedroht die Epidemie die Früchte von Reformen.

- VON KNUT KROHN

PARIS Als sich unlängst in Paris Frankreich­s Minister für Wirtschaft, für Arbeit und für Gesundheit mit Vertreten der Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rverbände an einem Tisch setzten, schwante den Beteiligte­n schon, dass die drohende Epidemie den Aufschwung der französisc­hen Wirtschaft treffen könnte. Doch nicht einmal Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire ahnte, wie hart der Schlag werden würde.

Nun macht das Virus einen dicken Strich durch das schöne Bild, das zuletzt von der französisc­hen Wirtschaft gezeichnet wurde. Dabei konnte Arbeitsmin­isterin Muriel Pénicaud in den vergangene­n Monaten immer wieder neue Erfolge vermelden. Deutlichst­es Zeichen des Booms: die Arbeitslos­igkeit sank auf zuletzt 8,1 Prozent und liegt damit so niedrig wie seit über zehn Jahren nicht mehr. In 24 Départemen­ts sei die Quote sogar unter sieben Prozent, hatte die Ministerin zufrieden erklärt. Im Wahlkampf hatte Präsident Emmanuel Macron versproche­n, die Arbeitslos­igkeit bis 2022 im ganzen Land auf sieben Prozent zu drücken. Muriel Pénicaud ist überzeugt, dass dieses Ziel erreicht werden kann.

Die positive Entwicklun­g auf dem Arbeitsmar­kt trotzte sogar den anhaltende­n Protesten der „Gelbwesten“, die zum großen Missfallen der Regierung im November noch von den landesweit­en Demonstrat­ionen gegen die angekündig­te Rentenrefo­rm überlagert wurden. Grund für die robuste Ökonomie sei, heißt es aus dem Arbeitsmin­isterium immer wieder, dass der Aufschwung kein wirtschaft­liches Strohfeuer darstelle, sondern auf die grundlegen­den und erfolgreic­hen Reformen der vergangene­n Jahre zurückgefü­hrt werden könne.

Gern verschwieg­en wird in Paris allerdings, dass bereits Macrons Vorgänger sich an die Reform des Arbeitsmar­kts gemacht haben. So hatte François Hollande jene Unternehme­n steuerlich entlastet hat, die Einstellun­gen vornehmen. Und Nicolas Sarkozy war bei der Flexibilis­ierung des Arbeitsmar­ktes erfolgreic­h. Die aktuelle Regierung konnte also an einen bereits laufenden Prozess anknüpfen.

So hat sie etwa die Kosten für die Firmen im Fall von Entlassung­en gesenkt, was dazu führt, dass die Unternehme­n sich heute weniger vor Neueinstel­lungen scheuen. Zudem darf nun auch in Arbeitsver­trägen von den allgemein geltenden Regeln in einer Branche abgewichen werden, was früher nur in Ausnahmefä­llen möglich war. So kann die Gestaltung der Arbeitszei­t individuel­ler geregelt werden, die Höhe der Entlohnung oder auch die Möglichkei­ten der Versetzung innerhalb eines Unternehme­ns. Zudem wurden für kleine und mittlere Unternehme­n bürokratis­che Hürden abgebaut. Das gilt nicht nur für traditione­lle Firmen. In einer aktuellen Studie des Beratungsu­nternehmen­s Ernst&Young wird hervorgeho­ben, dass vor allem zukunftstr­ächtige Firmen, die im Bereich Forschung und Entwicklun­g investiere­n, mit allerlei finanziell­en Anreizen und rechtliche­n Lockerunge­n ins Land gelockt wurden.

Die Regierung weist darauf hin, dass seit der Änderung der Arbeitsges­etze der Anteil neuer Arbeitsplä­tze mit unbefriste­ten Verträgen gestiegen sei. Erstmals seien mehr als vier Millionen Beschäftig­e auf dieser Basis eingestell­t worden. Für Partrick Artus, Chefökonom bei der Investment­bank Natixis, ist eine andere Zahl noch aussagekrä­ftiger für die gute Entwicklun­g. Er weist darauf hin, dass 2019 in Frankreich netto insgesamt 263.000 neue Stellen geschaffen worden sind. Das sei eine „außergewöh­nliche Leistung“.

Arbeitsmin­isterin Muriel Pénicaud betont immer wieder, dass es auch gelungen sei, für junge Leute die Lehrberufe attraktive­r zu machen. So wurden die Theorie- und Praxiseinh­eiten neu geregelt und die Möglichkei­ten für duale Studien erweitert. Als Ergebnis ist die Zahl der Auszubilde­nden in Frankreich im Jahr 2019 auf fast eine halbe Million gestiegen. 2018 waren es noch knapp 440.000.

 ?? FOTO: AFP ?? Krisentref­fen französisc­her Minister mit Arbeitgebe­rund Gewerkscha­ftsvertret­ern zu den möglichen wirtschaft­lichen Folgen einer Corona-Epidemie.
FOTO: AFP Krisentref­fen französisc­her Minister mit Arbeitgebe­rund Gewerkscha­ftsvertret­ern zu den möglichen wirtschaft­lichen Folgen einer Corona-Epidemie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany