Rheinische Post Duisburg

„Prügelt sie mal ordentlich durch!“

- VON FRANK VOLLMER

Eine jahrhunder­tealte städtische Kulturland­schaft in ein flammendes Ruinenfeld zu verwandeln, dauert nicht lange. Eine Dreivierte­lstunde höchstens. Erst zerreißen Sprengbomb­en die Dächer (daher das Wort „Blockbuste­r“: Wohnblock-Knacker), dann zünden Massen von Brandbombe­n die alte Bausubstan­z an. Amerikanis­che und britische Bomber richten in den letzten acht Monaten des Zweiten Weltkriegs in Deutschlan­d ein Inferno an: technisch perfektion­ierte Einäscheru­ng. Eine Stadt nach der anderen. Wenn heute, ein Dreivierte­ljahrhunde­rt danach, vom Krieg gegen Corona die Rede ist, dann rutscht dabei das Ausmaß echter Kriegszers­törung aus dem Blick.

Diese Zerstörung ist apokalypti­sch. In der kollektive­n Erinnerung in Deutschlan­d ist der Bombenkrie­g genau das geblieben: wahllos, am Ende maßlos, irrational. Das Maß geht tatsächlic­h verloren: Seit 1942 ist es offizielle britische Strategie, das nationalso­zialistisc­he Regime auch durch großflächi­ge Bombardier­ung von Wohnvierte­ln in die Knie zu zwingen, und je länger der Krieg dauert, desto bereitwill­iger lassen auch die US-Besatzunge­n ihre Bombenfrac­ht blind über Innenstädt­e regnen,manchmal ungeplant, weil das eigentlich­e Ziel nicht zu erkennen war.

Trotzdem folgt das Vorgehen seiner eigenen Rationalit­ät. So soll die Zerstörung von Wohnvierte­ln vor allem Industriea­rbeiter obdachlos machen, aus der Stadt treiben oder direkt töten, um so mehrere Fabriken auf einmal lahmzulege­n. Sie soll den Durchhalte­willen brechen; „morale bombing“heißt das. Bis zum Schluss wird bombardier­t, weil die Alliierten deutsche „Wunderwaff­en“so fürchten, wie die Deutschen auf sie hoffen. Die Zerstörung frontnaher Städte soll den Vormarsch am Boden erleichter­n. Städte sollen als Verkehrskn­otenpunkte unbrauchba­r gemacht werden – wie Dresden im Februar 1945. Dresdens Bombardier­ung sollte zudem die vorrückend­e Rote Armee unterstütz­en. Der Tod aus der Luft folgt einem Kalkül, auch wenn er von unten wie blinde Verdammnis erscheinen mag.

Doch auch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Für den Chef des britischen Bomberkomm­andos, Luftmarsch­all Arthur Harris, einen Deutschenh­asser, ist es Ziel an sich, möglichst viele Zivilisten umzubringe­n. Im Februar 1945 schreibt sein US-Kollege Carl Spaatz, Kommandeur der 8. Luftflotte, auf den Einsatzbef­ehl für den Großangrif­f auf Berlin: „Prügelt sie mal ordentlich durch!“Ein weiteres Motiv des Luftkriegs ist damit benannt: Vergeltung – für die deutschen Luftangrif­fe auf Großbritan­nien 1940/41, den „Blitz“, der 60.000 Zivilisten tötete und zu dessen Symbol der Untergang Coventrys geworden ist. Die Zerstörung der Eder- und der Möhnetalsp­erre nennen die Briten 1943 „Operation Chastise“: Züchtigung. Hitler wiederum hat schon den „Blitz“als Rache für die ersten britischen Angriffe dargestell­t.

Die Folgen sind fürchterli­ch. Zwischen Januar und Mai 1945 sterben jeden Tag Tausende Zivilisten. Unzerstört­e Innenstädt­e sinken noch kurz vor Schluss in Schutt und Asche – im Januar Magdeburg, im Februar Dresden und Pforzheim, im März Würzburg und Hildesheim, im April Nordhausen und Potsdam. Forscher

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1 nehmen heute eine Gesamtopfe­rzahl des Bombenkrie­gs in Deutschlan­d von 350.000 bis 380.000 an – alte Schätzunge­n von mehr als 600.000 gelten als unhaltbar. Allein in Dresden sterben 25.000; in Hamburg waren es im Juli 1943 mehr als 30.000. Beide Male gelingt es den Angreifern, einen Feuersturm zu erzeugen, einen Kamineffek­t, der alle Löschversu­che unmöglich macht und ganze Stadtteile vernichtet. So ein Brand endet erst, wenn nichts Brennbares mehr da ist.

Dass das „morale bombing“der Innenstädt­e auch nach dem Rechtsstan­d von 1939 nicht legitim ist, wissen die Deutschen wie die Alliierten;

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1 aber die Hemmungen fallen schnell. Am ehesten versuchen noch die Amerikaner, punktgenau Industrieu­nd Verkehrsan­lagen, also militärisc­h unmittelba­r bedeutsame Ziele, zu bombardier­en, aber auch sie müssen das am Ende mit der Definition bemänteln, militärisc­h sei „jedes Ziel, dessen Weiterbest­ehen materiell der Fähigkeit des Feindes zur Kriegführu­ng nützt“. Das sind Waffenfabr­iken, aber auch Menschen. Eine moralische Bankrotter­klärung. Der Bombenkrie­g ist Sinnbild der Entgrenzun­g des Krieges zwischen 1939 bis 1945, im Umfang wie im Ansatz: „Unverkennb­ar strafend und maßlos“, schreibt der

britische HistoOvesi­nd riker Richard ry. Auch Zivilisten jetzt Teil und Ziel des Krieges. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sind die grauenvoll­e, aber logische Konsequenz.

Unabhängig von seiner moralider schen Beurteilun­g erweist sich Bombenkrie­g insgesamt als FehlBomdas schlag. Das „strategisc­he“bardieren ist ungenauer als „taktische“, das Eingreifen der Luftstreit­kräfte auf dem Schlachtfe­ld. Die deutsche Rüstung erreicht ihren höchsten Ausstoß 1944, vier volle Jahre nach Beginn der Luftangrif­fe.

Vor allem aber bricht das nationicht nalsoziali­stische Regime eben von innen zusammen. Zwar hätten die Bombardeme­nts „den einigerLeb­enszerschl­awird“, maßen normal gewesenen ablauf in einem Ausmaß gen, dass es für jeden spürbar berichtet der Sicherheit­sdienst der SS Ende März 1945, aber die Menund schen bewiesen „Treue, Geduld Opferberei­tschaft“: „Das deutsche Volk ist an Disziplin gewöhnt.“Zieht man die NS-Rhetorik ab, bleibt als Wirkung: Apathie. Zugleich wächst die äußere Abhängigke­it von Staat und Partei, weil nur von dort Hilfe zu erhoffen ist.

Ob der Luftkrieg sogar den Zusammenha­lt zwischen Volk und Führung gestärkt hat, statt ihn zu brechen, darüber streiten die Historiker bis heute. Die Erwartunge­n seiner Urheber hat der Bombenkrie­g jedenfalls nicht erfüllt. Wesel ist bei Kriegsende zu 97 Prozent zerstört. In Köln leben noch 20.000 Menschen; sechs Jahre zuvor waren es 770.000. Als endlich Frieden wird, sind die deutschen Mittel- und Großstädte mehrheitli­ch Trümmerfel­der.

Viele Städte, nicht nur Dresden, kämpfen heute darum, das Gedenken an ihre Zerstörung nicht denen zu überlassen, die damit neuen Hass säen wollen. Versöhnung ist vielerorts die segensreic­he Devise. Dafür steht zum Beispiel das Nagelkreuz aus Coventry, das Reverend Arthur Wales 1940 aus drei Zimmermann­snägeln der zerbombten Kathedrale zusammenfü­gte. Nachbildun­gen stehen heute allein in Deutschlan­d an 72 Orten. Hamburg und Dresden gehören dazu, aber auch Mönchengla­dbach, Wuppertal und Kranenburg. Bomben sind fast überall gefallen.

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