New York hofft auf Cuomo
Der Gouverneur profiliert sich als Krisenmanager im Zentrum der Pandemie. Und als Gegenbild zu Donald Trump.
NEW YORK Andrew Cuomo nahm kein Blatt vor den Mund. „Sie wollen, dass ich Ihnen auf die Schulter klopfe, weil Sie 400 Beatmungsgeräte schicken. Was soll ich mit 400 Beatmungsgeräten, wenn ich 30.000 brauche?“Typische Sätze für einen Politiker, der keine Angst hat, sich mit anderen anzulegen, in diesem Fall mit dem Präsidenten der USA.
Seit 2011 ist Cuomo Gouverneur des Bundesstaats New York. Zweimal wurde er wiedergewählt, 2018 mit 60 Prozent der Stimmen. Er bot Angriffsflächen, seine bisweilen als selbstgerecht empfundene Art kostete ihn Sympathien. Cuomo, schrieb die Zeitschrift „The Atlantic“, habe zwar Charisma und könne fesselnd reden, „aber er kann auch irritierend, verwirrend und egoistisch sein“. Noch im Januar schien es, als wären die New Yorker froh, ihn am Ende seiner dritten Amtszeit gegen ein frisches Gesicht eintauschen zu können. Nun sind sie froh, ihn zu haben.
New York City ist mit über 46.000 bestätigten Infektionen und mehr als 1100 Toten das amerikanische Epizentrum der Pandemie, im gesamten Bundesstaat waren bis Mittwoch rund 1900 Menschen dem Virus zum Opfer gefallen. Mehr als 12.000 Patienten liegen im Krankenhaus. Andrew Cuomo ist der am stärksten geforderte Krisenmanager des Landes. Und die Art, wie er in einem Klima akuter Verunsicherung die Ruhe bewahrt, trägt ihm Respekt, ja, Bewunderung ein. Was in besseren, in normaleren Zeiten als barscher Ton kritisiert wurde, wird nun als klare Ansage gelobt.
Wie Donald Trump informiert er täglich, live im Fernsehen übertragen, über die Lage. Doch der Gouverneur redete bereits Klartext, als der Präsident noch schwafelte. Zudem handelte er entschlossener. Trump stellte Covid-19 noch auf eine Stufe mit der gewöhnlichen Grippe, da schickte Cuomo bereits die Nationalgarde nach New Rochelle, in den New Yorker Vorort, in dem Ende Februar die erste Corona-Erkrankung festgestellt worden war. Die Uniformierten sollten eine Sperrzone überwachen, was in der Praxis allerdings nur sporadisch geschah. Zugleich wies Cuomo an, Häftlinge bei der Produktion von Desinfektionsmitteln einzusetzen. Prompt wendeten Kritiker ein, dass er den Notstand benutze, um Arbeitssklaven auszubeuten.
Manche seiner Entscheidungen sind umstritten, doch am Wesentlichen ändert es nichts. Neben dem Virologen Anthony Fauci ist Cuomo der Mann, der am ehesten das Vertrauen der Amerikaner genießt. Zudem ist er, im New Yorker Stadtteil Queens aufgewachsen, Sprecher einer krisenerprobten Metropole, deren Bewohner bekannt dafür sind, dass sie sich nicht unterkriegen lassen. „Das ist nicht die Zeit, um brav im Sandkasten zu spielen“, begründet er drastische Schritte. „Wir werden rausgehen und das Coronavirus in den Hintern treten“, verbreitet er Zuversicht.
Cuomos Monologe auf seinen täglichen Pressekonferenzen,
„Wir werden rausgehen und das Virus in den Hintern
treten“ nach den Worten eines „New York Times“-Journalisten sind sie „teils Briefing, teils Predigt, teils Therapiesitzung“, mal stocknüchtern, mal voller Mitgefühl. Als ein 69-jähriger Republikaner aus Texas, die Nummer zwei der dortigen Regierung, von den alten Leuten sprach, die wie er selber lieber den eigenen Tod in Kauf nähmen, als den Ruin der Wirtschaft durch Stillstand zu riskieren, verwies er auf seine 88-jährige Mutter Matilda. „Meine Mutter ist nicht verzichtbar. Die Prämisse, dass man menschliches Leben wegwerfen kann, akzeptieren wir nicht. Und wir werden das Leben eines Menschen nicht mit einem Dollarbetrag versehen.“
Das alles erinnert an die Tage und Wochen nach den Anschlägen am 11. September 2001. Damals gab der New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani nicht nur den schockierten Bewohnern seiner Stadt, sondern dem ganzen Land durch souveräne Auftritte Halt. Wie der Republikaner Giuliani beruhigt auch der Demokrat
Cuomo die Nerven, indem er sich an die Fakten hält, nichts schönfärbt, nichts ins Stockdüstere überzeichnet – und bisweilen eigene Irrtümer eingesteht. „Wir haben das Virus unterschätzt“, räumte er kürzlich ein. „Es ist gefährlicher, als wir geglaubt haben.“
Sein Vater Mario war von 1983 bis 1994 ebenfalls Gouverneur von New York, eher ein Intellektueller im Amt, während Andrew Cuomo einen hemdsärmeligen Stil pflegt – und damit Ergebnisse erzielt. Er hat strengere Waffengesetze durchgesetzt, die Homo-Ehe legalisiert und den gesetzlichen Mindestlohn auf 15 Dollar erhöht. Nachdem der Hurrikan „Irene“2011 Teile eines Highways im Adirondack-Gebirge weggespült hatte, drohte er der mit der Reparatur betrauten Firma, sie werde nie wieder einen Auftrag bekommen, wenn die Straße nicht spätestens in einer Woche wieder befahrbar sei. Auch das war, gleich zu Beginn seiner Amtszeit, ein typischer Cuomo.