Aus Gassen wurden breite Schneisen
Der Wiederaufbau nach dem Krieg war nicht alternativlos. Das alte Leitbild der autogerechten Stadt haben Verkehrsplaner heute längst beerdigt, aber das ungeliebte Erbe wirkt bis in die Gegenwart.
1945 lag Duisburg in Schutt und Asche. Von einem eigenen Dach über dem Kopf konnten die meisten Menschen nur träumen. Schnell mussten Trümmer beseitigt, die Infrastruktur wieder aufgebaut werden. Bürgermeister Weitz setzte im Mai 1947 angesichts der „leiblichen Not“und der „Wohnungsnot […] Prioritäten. Planungen für den Wiederaufbau wurden gegenüber der Wohnraumbeschaffung zurückgestellt. Dies verhinderte zunächst weiter reichende Eingriffe in die historische Bausubstanz. Die Debatte zum Wiederaufbau der Innenstadt nahm erst mit Beginn des Wirtschaftswunders Fahrt auf. Die Industrieproduktion lief auf Hochtouren. Die sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen erweckten bei Stadtplanern und Politikern Großstadtphantasien. „Der Reichtum Duisburgs war einer der Gründe, warum eine flächige Neugestaltung der Innenstadt überhaupt möglich wurde.“schreibt dazu die Archäologin Dr. Maxi Maria Platz.
Doch bereits in der Nachkriegszeit gab es Kritik an den breiten Schneisen, die keine Rücksicht auf die alten historischen Gassen nahmen. Der Abriss wertvoller Gebäudesubstanz schritt voran. Dazu gehörte das kunsthistorisch bedeutende Grothuessche Renaissancehaus am Stapeltor, der mit einem Relief verzierte Eingang (1655) des Waisenhauses
auf der Niederstraße 27 oder die Doppelarkadenfenster (12201946) in der Stadtmauer zwischen Schwanentor und Minoritenkloster. Die Befürworter der Rekonstruktion wollten die historische Bausubstanz erhalten oder zumindest Teile sichern. Das stieß nicht immer auf Gegenliebe. Die Idee, der Umwandlung der „historischen Wälle […] in grüne Promenadenstraßen „mit doppelter Baumreihe und […] Eingrünung“der „geschichtlichen Denkmäler“machte die Runde – war aber in Duisburg nicht durchsetzbar. In Neuss, Münster, Paderborn, Würzburg oder Nürnberg war das anders. Der dortige Wiederaufbau berücksichtigte die historischen Substanzreste der alten Gassen und Straßenzüge – der alte Stadtgrundriss wurde in größerem Umfang rekonstruiert. Die Beispiele machen deutlich, dass der Duisburger Weg nicht alternativlos war. Die tiefsten Eingriffe in die historisch gewachsene Gestalt des alten Duisburgs vollzogen sich im Bereich der Verkehrsinfrastruktur. Baurat Bähr, seit 1926 im Dienst des Planungsamtes, griff alte Ideen aus der Vorkriegszeit auf und plädierte für eine „Verlängerung der Königstraße vom Kuhtor aus zum Schwanentor“. Das Vorhaben fand eine breite Zustimmung. „Die Anpassung städtebaulicher Strukturen an Bedürfnisse des Verkehrs fand Mitte der 1960er Jahre seinen vorläufigen Kulminationspunkt im sogenannten Kuhtordurchbruch“,
stellt der Leiter des Stadtarchivs Dr. Pilger fest.
Die ersten 20 Parkuhren („Parkographen“) in Deutschland wurden am 4. Januar 1954 in Duisburg entlang des Buchenbaums aufgestellt. Das „Groschengrab“sorgte für Verärgerung bei den Autofahrern. Parkhäuser wurden errichtet. Durch Bauarbeiten in den 1960er Jahren ging erneut historische Bausubstanz verloren. Den Zeitgeist beeindruckte dies wenig. „Neben den Bürohochhäusern waren Parkgaragen die neuen Kathedralen der modernen Stadt“, so Stadtarchivar Pilger . In Duisburg entstand die erste große Hochgarage 1964, und zwar an der Düsseldorfer Straße neben dem Kaufhaus Merkur. Das Stadtbild veränderte sich rasant. Der Durchbruch Kuhtor-Schwanentor, sowie die stark verbreiterte Poststraße isolierten den Burgplatz, einst pulsierendes Zentrum der Altstadt, von der Innenstadt. Andere Städte nutzen Rathausplätze und Kirchen als Touristenattraktion mit Cafés, Weinstuben und Märkten.
Wenn Stadt- und Verkehrsplaner die „autogerechte Stadt“heute als Irrweg bezeichnen, sei daran erinnert, dass sie nicht nur bei Duisburger Autofahrern auf breite Zustimmung stieß. Das Thema polarisiert bis heute, obwohl E-Bikes, E-Tickets, Car-Sharing, Online-Routenplaner und Mobilitätsketten neue stadt- und verkehrsplanerische Chancen aufzeigen.