Stille tut dem Sport gut
Der Sport ruht. Das ist so ganz gegen sein Wesen. Aber es ist auch eine Chance, denn nun gibt es die Zeit, sich zu besinnen. Vielleicht auf das Wesentliche. Dass Solidarität am Ende auch dem zugutekommt, der gibt.
Bei Borussia Dortmund schieben sich die Spieler in Kleingruppen den Ball auf dem Trainingsplatz hin und her. Der FC Augsburg trainiert schon länger mit ausdrücklichem Zweikampfverbot. So ist das auch bei anderen großen Fußballvereinen, deren Spieler sich in diesen Tagen mal wieder zum Üben auf dem Rasen treffen. In der Corona-Krise halten auch die Bundesligisten Abstand.
Die großen Arenen liegen leer und still in der Landschaft. Auf Schalke sollte an diesem Oster-Wochenende das Bundesliga-Spiel gegen Werder Bremen gespielt werden. Es ist wie alle Partien bis mindestens Ende April ausgesetzt. Ob danach gespielt wird, und ob vor Zuschauern gespielt wird, ist fraglich.
Die Bundesliga, das große Hamsterrad des Profifußballs, ist angehalten wie das öffentliche Leben. Fast alles, was sonst noch im Sportkalender fürs erste Halbjahr steht, ist auf unbestimmte Zeit verschoben, Europapokalspiele, Länderspiele, die Europameisterschaft, Olympia, die Ruder-Europameisterschaften, das Tennisturnier von Wimbledon. Der Sport steht still.
Das ist so gar nicht sein Wesen. Das besteht ja in Dynamik, im Streben nach Siegen, nach Verbesserung, nach Rekorden. Das Innehalten kennt der Sport nicht. Das finden die im Laufrad sitzen, manchmal beklagenswert. Zu gern würden sie die Zeit anhalten in den schönen Momenten, in den Momenten der Triumphe, der großen Erfolge, der errungenen Meisterschaften. Doch unmittelbar hinter dem nächsten Sieg wartet die nächste Herausforderung. Dem ehemaligen Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger wird der Spruch zugeschrieben: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“Das ist ein Grundsatz für alle Leistungssportler. Ausruhen im Erfolg ist verboten, Ausruhen im Misserfolg würde niemandem einfallen, der Misserfolg begründet das Bemühen um Verbesserung, er ist der
Antrieb für einen neuen Anlauf. Ein Betrieb, der sich selbst in Gang hält.
Genuss kennt der Profisport nicht, weil er keine Bremse kennt. Wer anhält, der will aussteigen. Und das will ja keiner.
Nun ist der Sport einfach angehalten worden – von einem Virus, das viel stärker ist als die vermeintlich ehernen Gesetze eines Geschäfts, das Wettbewerb heißt. Anhalten und Stillstehen bedeutet: Zeit haben, ganz plötzlich. Was im Normalbetrieb ein gelegentlich geäußerter Wunsch ist (siehe oben), kommt nun als Ergebnis einer Zwangsmaßnahme daher. Zwang findet niemand schön, natürlich auch all jene nicht, die mit dieser großen Maschine Sport gerade still stehen, Sportler nicht, Zuschauer nicht, Funktionäre nicht.
Dabei ist Zeit auch eine Chance, eine neue Gelegenheit, die es im dahinrasenden Alltag nicht gibt. Es ist die Gelegenheit zur Besinnung, auch wenn das ein großes Wort ist. Vielleicht braucht die Krise einfach so manches große Wort. Und vielleicht tut es dem Sport gut, angehalten worden zu sein und sich ein paar Fragen zu stellen, sozusagen durch Besinnlichkeit zur Besinnung zu kommen.
Zum Beispiel könnte er sich die Frage stellen, ob es dem Sinn des
Sports entspricht, sich im Streben nach immer größeren Leistungen auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu einem völlig auf sich selbst bezogenen System zu entwickeln. Ob nicht ein wenig von jener sprichwörtlichen Vernunft Denken und Handeln bestimmen muss, die gerade in den Debatten über buchstäblich wahnsinnige Ablösesummen und Gehälter im Fußball immer gefordert, aber vom System selbst nie eingehalten wird. Ob der Wettkampf um Medaillen und Ansehen jedes (Doping-)Mittel rechtfertigt. Ob nicht gerade die Aufteilung der Welt in Freund und Feind, in mein Team und den Gegner einem größeren Gefühl für das Gemeinsame Platz machen muss. Ob das gute, alte Wort vom „Dabeisein ist alles“wieder ein bisschen Gültigkeit bekommt. Oder ob sich alles im Bewusstsein, dass nichts so wichtig ist wie das Überwinden einer großen Krise, wieder auf ein erträgliches Maß zurückfahren lässt.
Einige Fragen beantworten sich von selbst. Die Summen, die der Spitzensport vor allem im Bereich des Fußballs bewegt, werden objektiv kleiner. Das steht schon jetzt fest. Und zu dieser Feststellung benötigen die großen Profiklubs keine besinnlichen Telefonkonferenzen. Dazu reicht ein Blick in die Bücher. Die Not (ein in diesem Zusammenhang schwieriges Wort) wird kleinere Summen vorschreiben. „Die Zeit der 100-Millionen-Transfers ist vorbei“, hat Bayern Münchens ehemaliger Präsident Uli Hoeneß gesagt. Zunächst, hätte er sagen sollen. Denn niemand weiß, ob die Maschine, wenn sie wieder ins Rollen gekommen ist, nicht wieder ihren früheren Gesetzen folgt und der Profisport in ein paar Jahren wieder genau da ankommt, wo er vor Corona war. Wahrscheinlich ist es aber.
In der Relation bleibt ohnehin alles beim Alten. Die Einnahmen werden den Rahmen stecken, und innerhalb der Grenzen kann es erneut unsittliche Gehälter und Ablösesummen