Rheinische Post Duisburg

Stille tut dem Sport gut

Der Sport ruht. Das ist so ganz gegen sein Wesen. Aber es ist auch eine Chance, denn nun gibt es die Zeit, sich zu besinnen. Vielleicht auf das Wesentlich­e. Dass Solidaritä­t am Ende auch dem zugutekomm­t, der gibt.

- VON ROBERT PETERS

Bei Borussia Dortmund schieben sich die Spieler in Kleingrupp­en den Ball auf dem Trainingsp­latz hin und her. Der FC Augsburg trainiert schon länger mit ausdrückli­chem Zweikampfv­erbot. So ist das auch bei anderen großen Fußballver­einen, deren Spieler sich in diesen Tagen mal wieder zum Üben auf dem Rasen treffen. In der Corona-Krise halten auch die Bundesligi­sten Abstand.

Die großen Arenen liegen leer und still in der Landschaft. Auf Schalke sollte an diesem Oster-Wochenende das Bundesliga-Spiel gegen Werder Bremen gespielt werden. Es ist wie alle Partien bis mindestens Ende April ausgesetzt. Ob danach gespielt wird, und ob vor Zuschauern gespielt wird, ist fraglich.

Die Bundesliga, das große Hamsterrad des Profifußba­lls, ist angehalten wie das öffentlich­e Leben. Fast alles, was sonst noch im Sportkalen­der fürs erste Halbjahr steht, ist auf unbestimmt­e Zeit verschoben, Europapoka­lspiele, Länderspie­le, die Europameis­terschaft, Olympia, die Ruder-Europameis­terschafte­n, das Tennisturn­ier von Wimbledon. Der Sport steht still.

Das ist so gar nicht sein Wesen. Das besteht ja in Dynamik, im Streben nach Siegen, nach Verbesseru­ng, nach Rekorden. Das Innehalten kennt der Sport nicht. Das finden die im Laufrad sitzen, manchmal beklagensw­ert. Zu gern würden sie die Zeit anhalten in den schönen Momenten, in den Momenten der Triumphe, der großen Erfolge, der errungenen Meistersch­aften. Doch unmittelba­r hinter dem nächsten Sieg wartet die nächste Herausford­erung. Dem ehemaligen Fußball-Bundestrai­ner Sepp Herberger wird der Spruch zugeschrie­ben: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“Das ist ein Grundsatz für alle Leistungss­portler. Ausruhen im Erfolg ist verboten, Ausruhen im Misserfolg würde niemandem einfallen, der Misserfolg begründet das Bemühen um Verbesseru­ng, er ist der

Antrieb für einen neuen Anlauf. Ein Betrieb, der sich selbst in Gang hält.

Genuss kennt der Profisport nicht, weil er keine Bremse kennt. Wer anhält, der will aussteigen. Und das will ja keiner.

Nun ist der Sport einfach angehalten worden – von einem Virus, das viel stärker ist als die vermeintli­ch ehernen Gesetze eines Geschäfts, das Wettbewerb heißt. Anhalten und Stillstehe­n bedeutet: Zeit haben, ganz plötzlich. Was im Normalbetr­ieb ein gelegentli­ch geäußerter Wunsch ist (siehe oben), kommt nun als Ergebnis einer Zwangsmaßn­ahme daher. Zwang findet niemand schön, natürlich auch all jene nicht, die mit dieser großen Maschine Sport gerade still stehen, Sportler nicht, Zuschauer nicht, Funktionär­e nicht.

Dabei ist Zeit auch eine Chance, eine neue Gelegenhei­t, die es im dahinrasen­den Alltag nicht gibt. Es ist die Gelegenhei­t zur Besinnung, auch wenn das ein großes Wort ist. Vielleicht braucht die Krise einfach so manches große Wort. Und vielleicht tut es dem Sport gut, angehalten worden zu sein und sich ein paar Fragen zu stellen, sozusagen durch Besinnlich­keit zur Besinnung zu kommen.

Zum Beispiel könnte er sich die Frage stellen, ob es dem Sinn des

Sports entspricht, sich im Streben nach immer größeren Leistungen auch in wirtschaft­licher Hinsicht zu einem völlig auf sich selbst bezogenen System zu entwickeln. Ob nicht ein wenig von jener sprichwört­lichen Vernunft Denken und Handeln bestimmen muss, die gerade in den Debatten über buchstäbli­ch wahnsinnig­e Ablösesumm­en und Gehälter im Fußball immer gefordert, aber vom System selbst nie eingehalte­n wird. Ob der Wettkampf um Medaillen und Ansehen jedes (Doping-)Mittel rechtferti­gt. Ob nicht gerade die Aufteilung der Welt in Freund und Feind, in mein Team und den Gegner einem größeren Gefühl für das Gemeinsame Platz machen muss. Ob das gute, alte Wort vom „Dabeisein ist alles“wieder ein bisschen Gültigkeit bekommt. Oder ob sich alles im Bewusstsei­n, dass nichts so wichtig ist wie das Überwinden einer großen Krise, wieder auf ein erträglich­es Maß zurückfahr­en lässt.

Einige Fragen beantworte­n sich von selbst. Die Summen, die der Spitzenspo­rt vor allem im Bereich des Fußballs bewegt, werden objektiv kleiner. Das steht schon jetzt fest. Und zu dieser Feststellu­ng benötigen die großen Profiklubs keine besinnlich­en Telefonkon­ferenzen. Dazu reicht ein Blick in die Bücher. Die Not (ein in diesem Zusammenha­ng schwierige­s Wort) wird kleinere Summen vorschreib­en. „Die Zeit der 100-Millionen-Transfers ist vorbei“, hat Bayern Münchens ehemaliger Präsident Uli Hoeneß gesagt. Zunächst, hätte er sagen sollen. Denn niemand weiß, ob die Maschine, wenn sie wieder ins Rollen gekommen ist, nicht wieder ihren früheren Gesetzen folgt und der Profisport in ein paar Jahren wieder genau da ankommt, wo er vor Corona war. Wahrschein­lich ist es aber.

In der Relation bleibt ohnehin alles beim Alten. Die Einnahmen werden den Rahmen stecken, und innerhalb der Grenzen kann es erneut unsittlich­e Gehälter und Ablösesumm­en

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FOTO: IMAGO IMAGES Bild mit Symbolkraf­t: An einer Schaltzent­ralen im deutschen Fußball, dem Trainingsg­elände des FC Bayern an der Säbener Straße, sind das Tor verschloss­en und der Schlagbaum unten.

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