Rheinische Post Duisburg

„Man wird demütig“

Die Agrarminis­terin hält die Corona-Krise für eine Prüfung fürs Leben. Den Einzelhand­el warnt sie vor unfairem Umgang mit Bauern.

- KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

BERLIN Manchmal bricht die Verbindung ab. Danach ruft Julia Klöckner ins Telefon: „Ich habe mich nicht von der Stelle gerührt!“Ein Interview in Zeiten von Corona.

Frau Klöckner, die Kirche sagt, wer Ostern kennt, kann nicht verzweifel­n. Diese Krise fordert aber die Welt heraus. Wo ist die Hoffnung? KLÖCKNER Die Hoffnung liegt darin, dass wir gemeinsam viel stärker sind, und dass wir aus der jetzigen Erfahrung für die Zukunft lernen. Die aktuellen Maßnahmen sind unglaublic­he Einschnitt­e ins persönlich­e Leben, viele Selbständi­ge haben große Existenzso­rgen. Ihnen müssen wir unter die Arme greifen, wo es geht. Wir arbeiten in der Bundesregi­erung Hand in Hand, damit uns die schlimmen Erlebnisse anderer Länder erspart bleiben. Hoffnung macht, dass wir schnell gemeinsam gehandelt haben und unser Gesundheit­ssystem stabil ist.

Was lernen Sie aus der Corona-Krise – als Politikeri­n und als Mensch? KLÖCKNER Als Politikeri­n, dass dieses Kabinett trotz der Unterschie­de der Parteien und Fachthemen unbürokrat­isch und umgehend pragmatisc­he Lösungen gefunden hat – jeder ist kompromiss­bereit. Persönlich erfahre ich, dass man Nähe auch in Zeiten der Distanz hochhalten kann: Videoschal­ten, Päckchen vor die Tür stellen. Aber ein etwas mulmiges Gefühl hatte ich, als ich neulich spät abends aus meinem Ministeriu­m kam und noch schnell etwas essen wollte, aber alles geschlosse­n hatte. So habe ich Berlin-Mitte noch nie erlebt. Wie eine Filmkuliss­e. Man wird demütig, weiß die selbstvers­tändliche Freiheit und Auswahl besonders bei deren Abwesenhei­t zu schätzen.

Wenn Menschen im Sterben liegen und wegen der Ansteckung­sgefahr Familienmi­tglieder nicht kommen dürfen – ist das christlich?

KLÖCKNER Das ist eine harte Prüfung fürs Leben. Christlich handeln bedeutet Nächstenli­ebe leben. Mit dem Kranken, aber auch mit anderen, die man zum Beispiel schützen muss. Auch zum Abschiedne­hmen wurden in den vergangene­n Wochen Familienmi­tglieder per Video verbunden, oder sie haben durch eine Glaswand gewunken oder standen in voller Schutzmont­ur am Bett. Mein eigener Vater verstarb vor zwei Jahren, im Mai. Die Vorstellun­g, nicht da sein, ihn nicht besuchen zu können, hätte mir und uns in der Familie das Herz zerrissen.

Am Mittwoch beraten die Ministerpr­äsidenten mit Kanzlerin Merkel, ob die Kontaktspe­rren gelockert werden. Was brauchen die Bauern schnell an Erleichter­ungen? KLÖCKNER Wir haben schon sehr viel erreicht für die Bauern. Soforthilf­e, Zuschüsse, Kredite. Für Saisonarbe­itskräfte haben wir die Aufenthalt­sdauer von 70 auf 115 Tage ausgeweite­t und die Möglichkei­t geschaffen, dass Kurzarbeit­er und Studenten mehr hinzuverdi­enen dürfen, ohne, dass es angerechne­t wird. Was die Landwirte aber noch brauchen: faire Preise, faire Vertragsve­rhandlunge­n. Die Milchbauer­n haben es gerade schwer, weil die Weltmarktp­reise schlecht sind und auch die Nachfrage der Gastronomi­e eingebroch­en ist.

Einige von ihnen werden die Krise nicht überstehen, weil sie nicht genug Geld für die Milch bekommen. Was sagen Sie den großen Handelsket­ten über einen fairen Umgang? KLÖCKNER Bei Grundnahru­ngsmitteln sehe ich aktuell keinen Anlass, dass es wegen der Corona-Krise für die Verbrauche­r teurer wird. Und wenn die Händler die Endverbrau­cherpreise erhöhen sollten, dann erwarte ich, dass davon auch ein fairer Anteil bei unseren Landwirten ankommt. Bei einigen Obst- und Gemüsesort­en kann es zu Engpässen kommen, je nachdem, wie Ernten eingebrach­t werden und wie ausgesät und ausgepflan­zt wird. Wenn Ware knapper wird, kann sie durchaus teurer werden. Davon müssen dann aber auch die Urproduzen­ten etwas haben. Es gilt eine europäisch­e Richtlinie gegen unlautere Handelspra­ktiken. In Deutschlan­d sind wir kurz davor, sie umzusetzen. Auch eine Beschwerde­stelle für Landwirte führen wir ein. Denn sie sind nicht auf Augenhöhe mit dem stark konzentrie­rten Lebensmitt­eleinzelha­ndel. Darauf werden wir ein Auge haben.

Wie viele Bauern werden die Corona-Krise aus wirtschaft­lichen Gründen nicht überstehen? KLÖCKNER Wir arbeiten mit aller Kraft daran, das zu verhindern. Das Bild ist übrigens nicht einheitlic­h: Es wird Einbußen geben. Manche haben aber auch wachsende Absätze, weil die Nachfrage nach einigen Lebensmitt­eln enorm gestiegen ist.

Welche Bereiche könnten zuerst in die Normalität entlassen werden? KLÖCKNER Wirtschaft­en in Zeiten der Pandemie muss möglich sein. Wenn die Einhaltung von Sicherheit­sabständen und andere Vorsorgema­ßnahmen für den Infektions­schutz gewährleis­tet sind, kann das viele Bereiche betreffen. Das funktionie­rt ja etwa beim Bäcker, wo sich die Schlange draußen vor der Tür bildet. Wo man wann das öffentlich­e Leben hochfahren kann, müssen wir gemeinsam mit den Experten entscheide­n. Wer zu früh vom Krankenbet­t aufsteht, erlebt häufig einen noch härteren Rückschlag. Man sollte nicht aus dem Bauchgefüh­l heraus entscheide­n nach dem Motto: Jetzt reicht’s.

Eine Frage an die CDU-Vizechefin: Macht vor dem CDU-Parteitag im Dezember ein Sonderpart­eitag für die Wahl des neuen Vorsitzend­en noch einen Sinn?

KLÖCKNER Die Bürger haben jetzt andere Sorgen, als sich mit Parteiund Personalpo­litik zu beschäftig­en. In der CDU fokussiere­n wir uns darauf, dass unser Land gut durch die Pandemie kommt. Es ist gut, dass keiner der Kandidaten Personalpo­litik nach vorne stellt. Für die CDU gilt wie für alle anderen auch: Es gibt zurzeit keine Planungssi­cherheit, wann Großverans­taltungen wieder möglich sind. Deshalb stellt sich diese Frage aktuell nicht.

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FOTO: DPA Die Ernährungs­ministerin prüft Lebensmitt­elvorräte: Julia Klöckner Ende März in einem Lager in Bingen.

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