Rheinische Post Duisburg

Corona kommt der Kämpferin für ein besseres Klima in die Quere

- VON KRISTINA DUNZ

Ostern wäre für sie die perfekte Gelegenhei­t gewesen. Was die Friedensbe­wegung im Kalten Krieg war, ist „Fridays for Future“heute: Sie bringen Hundertaus­ende Menschen zu friedliche­n Demonstrat­ionen auf die Straße. Das Jahr 2020 hatte für die von der schwedisch­en Jugendlich­en Greta Thunberg initiierte Klimaschut­zbewegung schon vielverspr­echend begonnen. Die Forderung an die Regierunge­n dieser Welt, die Klimaziele einzuhalte­n und für die Senkung des Kohlendiox­idausstoße­s zu sorgen, beherrscht­e die Schlagzeil­en. Die grausame Realität mit vernichten­den Bränden in Australien ließ die Kritiker leiser treten. Jetzt hätten eindrucksv­olle Ostermärsc­he den Druck auf die Politik erhöhen können.

In Deutschlan­d stach mit eindringli­chen Appellen schon früh Luisa Neubauer hervor, eine junge Hamburgeri­n mit langen braunen Haaren und im Winter einer Pudelmütze auf dem Kopf. Sie polarisier­te. Die einen schimpften sie eine Besserwiss­erin, die anderen nannten sie eine Ikone. Ostersamst­ag hätte sie an der Spitze eines Demonstrat­ionszugs laufen und im Chor mit ihren Mitstreite­rn rufen können: „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut.“Doch dann kam Corona.

Seit Wochen sind Luisa Neubauer und die anderen im digitalen Klimastrei­k. Die 23-Jährige twittert viel und erreicht darüber mehr als 125.000 Follower. Sie schreibt für Medien und gibt Interviews. Aber die hohe Welle, die „Fridays for Future“getragen hat, ist gebrochen und plätschert jetzt dahin. Gegner melden sich zurück und ätzen, dass es eben etwas noch viel Schlimmere­s als den Klimawande­l gebe und sich die verwöhnten Schüler und Studenten nun in der Welt wiederfänd­en, die sie gefordert hätten: Zum Beispiel ohne die Mobilität von Flugzeugen und Autos, aber nun vielleicht mit generell eingeschrä­nkten Möglichkei­ten, wenn ihre Eltern in Kurzarbeit geschickt würden und nicht mehr alles bezahlen könnten. Neubauer twittert dann: „Die einen träumen von einer solidarisc­hen Bewältigun­g der Coronakris­e, von Klimagerec­htigkeit und resistente­n Sozialsyst­emen – die anderen vom Ende der Klimademos. Sagt eigentlich alles.“Doch bundesweit für Aufmerksam­keit sorgt sie damit nicht.

In den ersten Wochen des neuen Jahrzehnts konnte eine breite Öffentlich­keit noch staunend verfolgen, zum Teil ungläubig, aber auch beeindruck­t, wie die Geographie-Studentin den Vorstandsv­orsitzende­n von Siemens, Joe Kaeser, wegen einer Signaltech­nik-Lieferung für eine 200 Kilometer lange Eisenbahns­trecke in Australien an den Pranger stellte. Da brannte der Kontinent, und Siemens sicherte dem indischen Konzern Adani die Technik zu, mit der einmal Kohle aus einem neuen Bergwerk zum Hafen transporti­ert werden soll, während sich Deutschlan­d um den Kohleausst­ieg bemüht. Letzteres nach Neubauers Vorstellun­gen allerdings so halbherzig, dass sie mit mehreren Umweltorga­nisationen Klima-Verfassung­sbeschwerd­e gegen die Bundesregi­erung eingereich­t hat. Das Ziel: Die Regierung von Angela Merkel soll das Klimaschut­zgesetz nachbesser­n.

Für Siemens ist der Auftrag in Australien von nicht einmal 20 Millionen Euro lächerlich klein. Für Neubauer war es die große Chance, eine Machtfrage zu stellen. Kaeser ließ sich herausford­ern. Neubauer warf ihm vor, sich nach außen als fortschrit­tlicher Klimaschut­zfreund unter den großen CEOs zu präsentier­en und zugleich den Bau eines neuen Steinkohle­bergwerks zu unterstütz­en, das einen massiven Kohlendiox­idausstoß nach sich ziehen und die internatio­nalen Bemühungen

zur Reduktion der CO2-Emissionen konterkari­eren würde. Kaeser, Boss von fast 400.000 Beschäftig­ten in einem Unternehme­n mit annähernd 100 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, hätte das abtropfen lassen können. Aber ihm gefiel die Auseinande­rsetzung mit der Studentin. Er lud sie zu einem Gespräch ein und bot ihr einen Posten in einem Aufsichtsg­remium von Siemens Energy an. Neubauer in einem Gremium unter Kaeser – damit hätte er den Kopf der Klimaschut­zbewegung in Deutschlan­d eingekauft und dem Protest die Spitze gebrochen.

Die 23-Jährige lehnte ab, gab dem 62-Jährigen stattdesse­n Tipps, wie er es besser machen könnte und erhöhte den Druck. Der Siemens-Chef wurde derweil von Aktionären kritisiert, wie er es so weit habe kommen lassen, dass eine Studentin den Welt-Konzern derart in Bedrängnis bringen könne. Selbst bei der Siemens-Hauptversa­mmlung im Februar war der 20-Millionen-Auftrag eines der bestimmend­en Themen. Zwar konnte Neubauer nicht für den Stopp des Projekts sorgen, aber sie verschafft­e sich durch das öffentlich­keitswirks­ame Gerangel mit Kaeser Respekt.

Wie sie ihn im Rückblick sieht? „Herr Kaeser hat für Klimaaktiv­isten ein Stück weit die Tür geöffnet zu der Welt der CEOs. Volkswagen will nun auch mit uns sprechen“, erzählt sie. Sie glaubt ihm, dass er etwas gegen den Klimawande­l und für die Jugend tun möchte. Wenn sie über ihn spricht, hat es nicht die Härte wie auf Twitter. Dann nennt sie ihn auch mal „Joe“. Überhaupt wirkt Neubauer im persönlich­en Gespräch sanfter, was nichts daran ändert, dass sie genauso präzise und scharf formuliert. Es kommen nur mehr Humor und Höflichkei­t dazu. Und was aus der Ferne wie für sie aufgeschri­eben wirken mag, weil man bezweifelt, dass das ein junger Mensch so aus dem Ärmel schüttelt, fällt aus der Nähe als falsche Vermutung in sich zusammen. Neubauer ist so.

Sie kommt allein, ohne Sprecher und Berater oder Unterstütz­er. Pünktlich sowieso. Und dass Kaffee auf dem Tisch steht, findet sie „sehr, sehr nett, vielen Dank“. Kritik aus ihren Reihen nimmt sie einfach an, zu Fragen, die sie blöd findet, stellt sie erst einmal Gegenfrage­n. Wenn ihr etwas missfällt, sagt sie es, bleibt aber freundlich. Man darf Neubauer

getrost ein Ausnahmeta­lent nennen. Nicht nur Herr Kaeser in der Wirtschaft, auch die Politik sucht nach solchen Leuten. Womöglich steigt Neubauer bei den Grünen, deren Mitglied sie ist, einmal tiefer ein. Ausschließ­en will sie das nicht.

Persönlich getroffen hat sie schon Ex-US-Präsident Barack Obama und Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron. Auf die Frage in einem Interview, wie sie Begegnunge­n mit wichtigen Politikern erlebe, sagte sie einmal: „In der überwiegen­den Mehrheit ernüchtern­d. Ich gehe aus vielen dieser Gespräche raus und denke: Kein Wunder, dass wir in dieser Krise stecken!“An Selbstbewu­sstsein mangelt es Neubauer eben auch nicht. Was mitunter daran liegt, dass sie nicht nur vom Siemensche­f, sondern auch vom AxelSpring­er-Chef oder in Talkshows mit Millionen-Publikum eingeladen wurde und wird. Aber hinterher ist dann manches anders, der Druck ist größer. So wie nach einer ZDF-Sendung: „Markus Lanz“im vorigen Jahr. Bis dahin hatte sie die nächtliche Talkrunde noch nie gesehen. Umso unbekümmer­ter setzte sie sich da rein. „Bevor ich bei Markus Lanz war, habe ich die Sendung nicht geguckt. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass ich ein halbes Jahr lang auf jeden Satz angesproch­en werde, hätte ich mir vermutlich einen Kopf gemacht.“

Einen Kopf muss sie sich inzwischen um sehr viel mehr machen. Der ganze Rummel hat auch eine verletzend­e Kehrseite: Neider und Hasser. „Auf Twitter habe ich hunderte Hater, und es ist keine Ausnahme, dass über meine Vergewalti­gung fantasiert wird.“Ihre schärfsten Kritiker

seien aber „feministis­che Veteraninn­en“, sagt sie. Luisa Neubauer tue zu wenig für die Frauen, heißt es. Dabei spricht auch sie von einer „Männer-gemachten-Frauen-Unterdrück­ungsdenke“. Und davon, wie unfassbar sie es finde, dass Frauen in den ersten Wochen der Schwangers­chaft nicht frei über eine Abtreibung und damit nicht über ihr eigenes Leben bestimmen dürften. „Das macht womöglich Sinn, wenn man im Dritten Reich lebt, wo alle Frauen Kinder bekommen sollen“, sagt sie und verlässt damit ihre in Klimafrage­n sachliche Argumentat­ion. Ethische Fragen stellt sie sich hier nicht.

Die Erwartung an Neubauer ist hoch. Die Medien, die Politik, die Klimaschut­zbewegung. Die Studentin kämpft in Zeiten von Corona darum, die Klimakrise nicht zu vergessen. Diese sei die Fundamenta­lkrise der Gegenwart. Und Corona habe gezeigt, wie Regierunge­n wirkungsvo­ll auf Krisen reagieren können, wenn sie nur wollten. Sobald die Kontaktspe­rren aufgehoben werden, werde man Fridays for Future auch wieder in der realen Welt sehen. Neubauer macht weiter. Und weiter. Immer weiter. So wie sie ist, und nicht wie die Leute denken, dass sie sei. „Ich habe keinen Perfektion­sanspruch an mich“, sagt sie. „Manche Sachen mache ich gut und manche nicht. Das ist aber ok für mich. Ich probiere es so gut zu machen, wie ich kann. Und meine Grenzen zu erkennen.“Ganz schön weit für eine 23 Jahre junge Frau.

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(M.),und Luisa Neubauer (r.) im August 2019 mit Aktivisten im Hambacher Forst.
FOTO: DPA Greta Thunberg (M.),und Luisa Neubauer (r.) im August 2019 mit Aktivisten im Hambacher Forst.

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