Hirsch in Hünxe wohl von Wölfen gejagt
Anwohner filmten die Szene, die sich nahe ihres Hauses abspielte. Experten sind sich ziemlich sicher, dass im Wolfsgebiet Schermbeck nun zwei Raubtiere unterwegs sind. Schäfer und Nutztierhalter zeigen sich beunruhigt.
VON JÖRG ISRINGHAUS,
HEINZ SCHILD UND MARTINA STÖCKER
HÜNXE Bei den Tieren, die am Wochenende auf einer waldnahen Wiese in Hünxe einen Hirsch hetzten, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um zwei Wölfe. Das erklärte Revierförster Michael Herbrecht. Anwohner hatten die Szene gefilmt und ins Internet gestellt. Sie hatten die beiden Räuber auch vertrieben. „Wir hatten seit einiger Zeit Hinweise, dass es hier einen zweiten Wolf gibt“, sagte Herbrecht. Wie lange das Tier schon in der Gegend sei, wisse man nicht. Der Förster geht davon aus, dass die beiden Wölfe den Hirsch über mehrere Kilometer gescheucht haben, um ihn von seinem Rudel abzusondern.
„Ich hatte gehofft, dass
es noch ein wenig dauert, bis sich hier ein
Rudel niederlässt“
Wenn diese drei, vier Monate alt seien, müssten die Elterntiere viel Futter ranschaffen. „Bis dahin muss man etwas unternommen haben.“Der Niederländer, der in Sonsbeck lebt, will die Schäfer in der Region beim Schutz vor den Wölfen unterstützen. „Da wird noch zu wenig gemacht – auch vom Land“, meint er. So ist zum Beispiel Wölfin „Gloria“geübt darin, Schutzzäune zu überwinden. „Deshalb muss ein neuer Zaun einen Überhang und richtig Strom drauf haben. Dann ist er nicht zu überwinden.“
Für den Hünxer Schäfer Kurt Opriel ist das alles „sehr beunruhigend“. Etliche seiner Tiere sind in den vergangenen Monaten von „Gloria“gerissen worden, dazu verzeichnet er bei seinen Schafen auffallend viele Fehlgeburten, etwa 20 bis 30 Tiere habe er so verloren. Das seien sozusagen die Spätfolgen der Wolfsansiedlung. Einige seiner Kollegen in der Region hätten die Schafhaltung schon aufgegeben.
„Wenn sich hier ein Rudel breit macht, ist das nicht nur für mich, sondern auch für das Land eine Herausforderung“, sagt er. Denn möglicherweise würde das bedeuten, dass auch Großtiere bedroht seien, etwa
Kälber und Fohlen. Damit müssten auch andere Nutztierhalter für entsprechende Schutzvorkehrungen sorgen. „Das ist eine schwierige Situation“, sagt Opriel. Denn selbst Herdenschutzhunde würden gegen ein Rudel, das gemeinsam agiert, nur bedingt helfen. Deshalb hat er bislang darauf verzichtet, die teuren Hunde anzuschaffen. Höhere Zäune hat Opriel schon, sie helfen aber nicht unbedingt. „Das kommt auf die Geschicklichkeit der Wölfe an“, sagt er. Insofern schaut er besorgt in die Zukunft. „Ich hatte gehofft, dass es noch ein wenig dauert, bis sich hier ein Rudel niederlässt.“
Laut Förster Herbrecht stammt der Hirsch wahrscheinlich aus einem 70 Tiere umfassenden Rotwild-Rudel. Dazu gehöre auch ein Hirsch, der lahmt. „Wölfe sehen genau in der Bewegung eines Lebewesens, ob es alt, verletzt oder in schlechter Verfassung ist. Dann sehen sie ihre Chance“, sagt Experte Jos de Bruin. Herbrecht geht davon aus, dass der Hirsch durch Bisse verletzt worden ist. Allerdings soll es sich nach Einschätzung des Försters nur um Fleischwunden und nicht um große Verletzungen handeln. Der Hirsch hat sich, wie auf dem Video zu sehen ist, mit seinen Vorderläufen gegen die Angreifer zur Wehr gesetzt, die ihn schließlich ziehen ließen – auch weil Anwohner sie vertrieben. Herbrecht machte sich später mit einem Hund auf, um den Hirsch zu suchen, doch konnte er ihn nicht finden.
Peter Malzbender, Vorsitzender der Kreisgruppe Wesel des Naturschutzbundes (Nabu), kritisiert, dass das Video ins Netz gestellt wurde. Das sei Ausdruck der „Sensationslust des Menschen“. Er hat auch kein Verständnis dafür, dass versucht wurde, die Wölfe vom Hirsch zu vertreiben. Dies entspreche dem Bambi-Schema: der arme Hirsch und der böse Wolf. Aus seiner Sicht fördere dies die „Hatz gegen den Wolf“.
Die Tiere sind nach den Worten von Malzbender wegen des Futters hier, „weil wir so viel Wild in der Region haben“. Der Wolf trage dazu bei, den Wildbestand zu regulieren. Malzbender ist davon überzeugt, dass der Wolf in der Region bleiben und sich über kurz oder lang ein Rudel von fünf bis acht Tieren bilden wird. Malzbender: „Wölfe gehören in unsere Landschaft. Wir können dankbar sein.“