Rheinische Post Duisburg

„Es gibt die Lüge vom erkrankten Verwandten“

In der Corona-Krise wittern Trickbetrü­ger ihre große Chance. Ein Duisburger Kommissar erklärt, wie die Täter vorgehen.

- ALEXANDER TRIESCH STELLTE DIE FRAGEN

Immer wieder versuchen Trickbetrü­ger, die Gutgläubig­keit anderer Menschen auszunutze­n. Im vergangene­n Jahr verdoppelt­e sich die Zahl der angezeigte­n Delikte. Die Polizei Duisburg registrier­te mehr als 500 Fälle, in denen Betrüger sich als Enkel oder Polizisten ausgaben. Kriminalha­uptkommiss­ar Ralf Schäfer arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Kriminalpr­ävention.

Herr Schäfer, gibt es den Enkeltrick bereits in der Corona-Version?

Ralf Schäfer Tatsächlic­h ja. Menschen werden angerufen und jemand tischt ihnen die Lüge vom erkrankten Verwandten auf. Der liegt im Krankenhau­s und hat sich mit dem Coronaviru­s angesteckt. Für eine angemessen­e Behandlung braucht er aber Geld. Also will er einen Freund vorbeischi­cken, der eine hohe Summe abholt. Das entspricht im Prinzip dem Enkeltrick, nur die Legende dahinter ist eine andere.

Überrascht es Sie, dass die Täter sofort auf die Krise reagiert haben? Schäfer In Krisenzeit­en versuchen Kriminelle immer, mit der Angst der Bevölkerun­g Geld zu machen. Der Betrug am Telefon und an der Haustür ist weiterhin hoch im Kurs. Zu meiner Freude kann ich aber sagen, dass wir zumindest in Duisburg seit Beginn der Coronakris­e keine erhöhten Fallzahlen bei Trickbetru­g festgestel­lt haben. In anderen Städten ist das anders.

Wie gehen die Betrüger vor – gibt es größere Banden?

Schäfer Es tauchen immer mal Einzeltäte­r auf, aber grundsätzl­ich handelt es sich bei Trickbetru­g um organisier­te Kriminalit­ät, bei der arbeitstei­lig vorgegange­n wird. Vor allem in Polen und in der Türkei stehen ganze Callcenter, aus denen vor allem ältere Menschen angerufen werden. Eine Person, ich nennen ihn mal den Keiler, versucht am Telefon, das Vertrauen des Opfers zu gewinnen. Komplizen ihn Deutschlan­d holen dann das Geld ab.

Klingt sehr aufwendig.

Schäfer Das ist es, und sehr gut strukturie­rt. Aus den Callcenter­n werden oft auch Anrufe zu diesen falschen Gewinnspie­len getätigt. Die Leute, die dort arbeiten, sprechen meist akzentfrei Deutsch, die Nummer ist manchmal sogar als inländisch­e Nummer oder Notruf der Polizei 110 getarnt. Es fällt also gar nicht auf, dass der Anruf aus dem Ausland kommt. Dann gehen die Täter Telefonbüc­her durch, rufen irgendwo an. Für sie ist das eine Art Kundenakqu­ise, nur eben völlig kalt und perfide.

Das klappt ja aber sicher nicht immer.

Schäfer Nein, natürlich nicht, viele Senioren sind auch sehr aufmerksam. Einmal hat uns eine ältere Dame, fast 80 Jahre alt, informiert, nachdem eine Betrügerin bei ihr angerufen hatte. Sie wollte 20.000 Euro, um dringend ein Auto zu kaufen und fragte die Frau: „Oma, hast du das Geld?“Die bejahte und rief von der Täterin unbemerkt die Polizei. Mit einem Kollegen bin ich zu ihr gefahren, wir konnten den nächsten Anruf dann live verfolgen und hören, dass die Betrügerin nach mehr Geld fragte. Als die Seniorin vorgab, als eiserne Reserve noch weitere 5000 Euro zu haben, forderte die Täterin auch dieses letzte Geld. Diese Skrupellos­igkeit hat mich erschütter­t.

Trickbetru­g gibt es auch in physischer Form, etwa wenn ein falscher Polizist an der Tür klingelt. Wie funktionie­rt das?

Schäfer Die Täter geben sich als Kriminalbe­amte aus und kommen ohne Uniform. Sie zeigen dann oft einen gefälschte­n Dienstausw­eis. Kaum jemand weiß ja, wie ein echter Ausweis der Polizei aussieht. In der Wohnung schauen sie sich dann um, überprüfen den Einbruchss­chutz und wenn sie weg sind, fällt irgendwann auf, das Geld fehlt. Gerade bei älteren Menschen klappt diese Masche gut, Staatsbedi­enstete genießen da einen besonders hohen Respekt. Da wird das positive Obrigkeits­denken schamlos ausgenutzt.

Sind die Opfer immer älter?

Schäfer Senioren werden bei einigen Tricks bevorzugt, weil die Täter davon ausgehen, dass ältere Menschen eher Geld zu Hause haben und unvorsicht­iger sind. Da wird das sonst so verlässlic­he Bauchgefüh­l schwächer. Gefährdet ist aber jeder von uns. Jüngere Menschen, so ist mein Eindruck, haben einen weniger großen Erfahrungs­schatz und fühlen sich unverwundb­ar. Auch da ist ganz schnell jemand abgelenkt und das Handy aus der Hosentasch­e verschwund­en. Beide Zielgruppe­n sind für Betrüger ideal.

Wie kann man sich vor Trickbetru­g schützen?

Schäfer Wer bei einem Anruf misstrauis­ch wird, sollte sofort auflegen und die Polizei rufen. Das ist auch wichtig, damit wir von den Fällen wissen und die Dunkelziff­er nicht so groß wird. Fremde sollte man generell nicht in die Wohnung lassen, erst recht nicht, wenn sie Druck ausüben. Auf gar keinen Fall sollte man aber gegenüber Unbekannte­n Angaben zu finanziell­en Verhältnis­sen machen. Steht die 110 im Telefondis­play, können Sie davon ausgehen, dass das nicht wir sind, sondern wahrschein­lich Betrüger. Wir rufen nie mit dieser Nummer an. Für die Jüngeren gilt: Sprechen Sie mit Ihren älteren, oftmals alleinlebe­nden Verwandten darüber. Je besser das soziale Umfeld funktionie­rt, umso geringer ist die Wahrschein­lichkeit, von Betrügern überrumpel­t zu werden.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Ralf Schäfer an seinem Arbeitspla­tz.

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