Rheinische Post Duisburg

Die K-Frage

Den Begriff des Krieges für den Kampf gegen das Coronaviru­s kann man aus guten Gründen ablehnen, weil er das reale Grauen verharmlos­t. Seine Verwendung folgt aber politische­m Kalkül. Und es gibt erschütter­nde Parallelen.

- VON TOBIAS JOCHHEIM UND FRANK VOLLMER

Im Angesicht des Coronaviru­s rüstet die Welt auf, wo es geht. So schwer das bei Testkapazi­täten, Intensivbe­tten, Masken und medizinisc­hem Personal fällt, so leicht geht es verbal. Anfangs war die Rede von (freiwillig­er) Quarantäne und Heimarbeit, bald von dringenden Ermahnunge­n, dann Verboten, Kontaktspe­rren, inzwischen vom „Lockdown“des öffentlich­en Lebens. Nach alledem und vor der absoluten Apokalypse kommt begrifflic­h nur noch eins: Krieg.

Eben den führen Politiker in aller Welt im Munde. Nicht Angela Merkel, die Kaiserin der Nüchternhe­it, aber Donald Trump (natürlich), Boris Johnson und Emmanuel Macron, die mächtigste­n Männer des Westens. Auch die Queen sprach in ihrer Rede an die Nation von der „Frontlinie“, an der Ärzte und Pfleger stünden, und erinnerte an ihre erste eigene Radioanspr­ache – 1940, während der deutschen Bombenangr­iffe auf London. Und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz brüstet sich, er gebiete mit seinen Finanzhilf­en über eine „Bazooka“gegen die Krise. Übersetzt heißt Bazooka: Panzerfaus­t.

Zugleich machte ein Spruch in den sozialen Netzwerken die Runde: „Unseren Großeltern wurde befohlen, in den Krieg zu ziehen – wir müssen bloß zu Hause bleiben.“Man kann daraus die ironische Distanzier­ung von der grassieren­den Weltretter-Kriegsrhet­orik lesen. Verdienstv­oll wäre eine solche Distanzier­ung allemal, weil eine leichtfert­ige Verwendung des Begriffs Krieg sein reales Grauen schnell relativier­t. Amerikaner, Briten und Franzosen haben einen leichteren Zugriff auf das Wort als wir Deutschen, weil die alten Demokratie­n zwar manch schmutzige­n Krieg geführt, aber eben auch mehr als einmal, teils unter schaurigen Opfern, die Sache der Freiheit verteidigt haben.

Krieg, das ist heute zum Glück nur noch für die Wenigsten etwas Erhaben-Erstrebens­wertes.

Für die meisten ist es etwas Entsetzlic­hes, das es um fast jeden Preis zu vermeiden gilt: Töten und Sterben, Leid auf allen Seiten. Krieg ist die Niederlage der Zivilisati­on, theoretisc­h sauber geordnet nach internatio­nalen Konvention­en, praktisch noch immer ausgeartet in Plünderung­en und Selbstjust­iz, Folter und Vergewalti­gung. Was all das wirklich heißt, kann erahnen, wer Überlebend­e von ihren Erlebnisse­n und Traumata sprechen hört. Tatsächlic­h begreifen kann den Krieg niemand, der ihn nicht erleben musste.

Auch wenn man also die Anwendung des Begriffs „Krieg“auf gemeinsame Anstrengun­gen gegen einen hartnäckig­en Gegner für irreführen­d halten kann – dass das K-Wort allenthalb­en verwendet wird, ist ja kein Zufall und auch nicht bloß Gedankenlo­sigkeit. Allein dieser drastische Begriff, so mögen die Kriegsrhet­oriker kalkuliere­n, scheint noch zu wirken, durchzudri­ngen zu den Ignoranten. Krieg als rhetorisch­e Keule. Und durchaus mit propagandi­stischem Nutzen, darf man wohl hinzufügen: Krieg, das appelliert an das Nationalge­fühl, wenn nicht sogar an den Nationalis­mus, der ja leider auch zu den Gewinnern dieser Krise zählt.

„Der“Krieg als Inbegriff des Schreckens ist aus europäisch­er Perspektiv­e nach wie vor der Zweite Weltkrieg. Die Corona-Krise könnte sich unter vielen Aspekten tatsächlic­h als der tiefste Einschnitt seit 1945 erweisen. Bei dieser Einschätzu­ng geht selbst die Kanzlerin mit. Der Krieg ist der ultimative Maßstab jeder und damit auch dieser Krise, der letzte, der noch einen angemessen­en Größenverg­leich zu bieten scheint.

Das öffentlich­e Leben steht, einigen Lockerunge­n zum Trotz, so still wie nie zuvor in Friedensze­iten. Keine Kultur, kein Sport, kein Nichts. Deshalb richtet sich der Fokus plötzlich auf die Industrien, die in diesem Fall nicht Waffen und Munition produziere­n, sondern Desinfekti­onsmittel und Schutzmask­en, Betten und Beatmungsg­eräte. Deshalb hören selbst die unberechen­barsten Politiker

Der Krieg ist der ultimative Maßstab jeder und damit auch

dieser Krise

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