Die K-Frage
Den Begriff des Krieges für den Kampf gegen das Coronavirus kann man aus guten Gründen ablehnen, weil er das reale Grauen verharmlost. Seine Verwendung folgt aber politischem Kalkül. Und es gibt erschütternde Parallelen.
Im Angesicht des Coronavirus rüstet die Welt auf, wo es geht. So schwer das bei Testkapazitäten, Intensivbetten, Masken und medizinischem Personal fällt, so leicht geht es verbal. Anfangs war die Rede von (freiwilliger) Quarantäne und Heimarbeit, bald von dringenden Ermahnungen, dann Verboten, Kontaktsperren, inzwischen vom „Lockdown“des öffentlichen Lebens. Nach alledem und vor der absoluten Apokalypse kommt begrifflich nur noch eins: Krieg.
Eben den führen Politiker in aller Welt im Munde. Nicht Angela Merkel, die Kaiserin der Nüchternheit, aber Donald Trump (natürlich), Boris Johnson und Emmanuel Macron, die mächtigsten Männer des Westens. Auch die Queen sprach in ihrer Rede an die Nation von der „Frontlinie“, an der Ärzte und Pfleger stünden, und erinnerte an ihre erste eigene Radioansprache – 1940, während der deutschen Bombenangriffe auf London. Und Bundesfinanzminister Olaf Scholz brüstet sich, er gebiete mit seinen Finanzhilfen über eine „Bazooka“gegen die Krise. Übersetzt heißt Bazooka: Panzerfaust.
Zugleich machte ein Spruch in den sozialen Netzwerken die Runde: „Unseren Großeltern wurde befohlen, in den Krieg zu ziehen – wir müssen bloß zu Hause bleiben.“Man kann daraus die ironische Distanzierung von der grassierenden Weltretter-Kriegsrhetorik lesen. Verdienstvoll wäre eine solche Distanzierung allemal, weil eine leichtfertige Verwendung des Begriffs Krieg sein reales Grauen schnell relativiert. Amerikaner, Briten und Franzosen haben einen leichteren Zugriff auf das Wort als wir Deutschen, weil die alten Demokratien zwar manch schmutzigen Krieg geführt, aber eben auch mehr als einmal, teils unter schaurigen Opfern, die Sache der Freiheit verteidigt haben.
Krieg, das ist heute zum Glück nur noch für die Wenigsten etwas Erhaben-Erstrebenswertes.
Für die meisten ist es etwas Entsetzliches, das es um fast jeden Preis zu vermeiden gilt: Töten und Sterben, Leid auf allen Seiten. Krieg ist die Niederlage der Zivilisation, theoretisch sauber geordnet nach internationalen Konventionen, praktisch noch immer ausgeartet in Plünderungen und Selbstjustiz, Folter und Vergewaltigung. Was all das wirklich heißt, kann erahnen, wer Überlebende von ihren Erlebnissen und Traumata sprechen hört. Tatsächlich begreifen kann den Krieg niemand, der ihn nicht erleben musste.
Auch wenn man also die Anwendung des Begriffs „Krieg“auf gemeinsame Anstrengungen gegen einen hartnäckigen Gegner für irreführend halten kann – dass das K-Wort allenthalben verwendet wird, ist ja kein Zufall und auch nicht bloß Gedankenlosigkeit. Allein dieser drastische Begriff, so mögen die Kriegsrhetoriker kalkulieren, scheint noch zu wirken, durchzudringen zu den Ignoranten. Krieg als rhetorische Keule. Und durchaus mit propagandistischem Nutzen, darf man wohl hinzufügen: Krieg, das appelliert an das Nationalgefühl, wenn nicht sogar an den Nationalismus, der ja leider auch zu den Gewinnern dieser Krise zählt.
„Der“Krieg als Inbegriff des Schreckens ist aus europäischer Perspektive nach wie vor der Zweite Weltkrieg. Die Corona-Krise könnte sich unter vielen Aspekten tatsächlich als der tiefste Einschnitt seit 1945 erweisen. Bei dieser Einschätzung geht selbst die Kanzlerin mit. Der Krieg ist der ultimative Maßstab jeder und damit auch dieser Krise, der letzte, der noch einen angemessenen Größenvergleich zu bieten scheint.
Das öffentliche Leben steht, einigen Lockerungen zum Trotz, so still wie nie zuvor in Friedenszeiten. Keine Kultur, kein Sport, kein Nichts. Deshalb richtet sich der Fokus plötzlich auf die Industrien, die in diesem Fall nicht Waffen und Munition produzieren, sondern Desinfektionsmittel und Schutzmasken, Betten und Beatmungsgeräte. Deshalb hören selbst die unberechenbarsten Politiker
Der Krieg ist der ultimative Maßstab jeder und damit auch
dieser Krise