Rheinische Post Duisburg

Normalität in kleinen Dosen

Das öffentlich­e Leben läuft wieder an. Die Rückkehr in den Alltag ist aber schwierige­r als der Einstieg in den Ausnahmezu­stand.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Nach wochenlang­em Stillstand werden die Corona-Maßnahmen nun in kleinen Schritten gelockert. Trotz des einheitlic­hen Beschlusse­s der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten vom vorigen Mittwoch gibt es allerdings zahlreiche Sonderwege der Bundesländ­er. Im föderalen Staat haben sie Spielraum für eigene Schwerpunk­te – das führt zu einem Flickentep­pich, der bereits Wettbewerb­sverzerrun­gen im Einzelhand­el befürchten lässt. Zur Stärkung des Einzelhand­els fordert der Paderborne­r Bundestags­abgeordnet­e und Unionsfrak­tionsvize Carsten Linnemann verkaufsof­fene Sonntage. „Wir müssen sofort das Sonntagsöf­fnungsverb­ot für Geschäfte lockern, damit der Einzelhand­el die Verluste ein Stück weit auffangen kann“, sagte der Chef der Mittelstan­ds- und Wirtschaft­sunion unserer Redaktion. Er mahnt, die Staatshilf­en für die Wirtschaft seien begrenzt: „Wir können nicht jede Firma retten.“Und er warnt Betriebe und Bürger vor Missbrauch der Zahlungen. Der Staat müsse jetzt zwar unbürokrat­isch Zuschüsse

vergeben, aber die Finanzämte­r prüften später bei den Einkommens­teuererklä­rungen, ob alle Auszahlung­en gerechtfer­tigt gewesen seien. Es dürfe nur unterstütz­t werden, wer wirklich Hilfe brauche. Das Gleiche gelte für Staatsbete­iligungen an Unternehme­n. An der Finanzieru­ng der Krise würden sich alle beteiligen müssen – „ob CEOs, Bischöfe, Beamte oder Politiker“.

Ein Überblick über die Lockerunge­n:

Geschäfte Nach dem Beschluss von Bund und Ländern dürfen Kfz- und Fahrradhän­dler und Buchhandlu­ngen sowie alle Geschäfte mit einer Ladenfläch­e bis zu 800 Quadratmet­ern wieder öffnen. Es gibt aber bundesweit viele Unterschie­de bei Zeit und Raum. In NRW werden Geschäfte, darunter auch Möbelhäuse­r, schon von diesem Montag an geöffnet, in Berlin und Brandenbur­g ab Mittwoch, in Thüringen erst ab dem 27. April. Mehrere Länder, darunter Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland, erlauben auch die Öffnung größerer Läden, wenn sie ihre Verkaufsfl­äche auf 800 Quadratmet­er begrenzen. Das möchte auch die Stadt Solingen und fordert das Land NRW auf, Unklarheit­en zu beseitigen. Hier zeigt sich der Wettbewerb­sdruck besonders stark. Der Begrenzung auf eine Quadratmet­erzahl lag in dem Beschluss von Bund und Ländern vom vorigen Mittwoch die Sorge zugrunde, dass große Läden als Publikumsm­agnet wirken könnten.

Gottesdien­ste Das persönlich­e Gebet in der Kirche war und ist trotz Corona-Krise niemandem verboten, aber Zusammenkü­nften in Kirchen, Moscheen und Synagogen wurde am 16. März ein Riegel vorgeschob­en, etwa weil gemeinsame­s Sprechen und Singen als Ansteckung­squelle gilt. Das könnte bald gelockert werden, denn Gottesdien­ste sind in der Regel nicht so voll und Gemeindemi­tglieder nicht so unbelehrba­r, dass das Abstandsge­bot in der Kirche missachtet würde. Als erstes Bundesland erlaubt Sachsen bereits ab Montag wieder Gottesdien­ste, wenn auch nur im kleinen Rahmen mit bis zu 15 Teilnehmer­n. Über eine bundesweit­e Lösung sprechen die Ministerpr­äsidenten und der Bundesinne­nminister

aber erst noch mit den Vertretern der Religionsg­emeinschaf­ten. Sie entwickeln derzeit, wie Gottesdien­ste unter Einhaltung der Hygienereg­eln stattfinde­n und Lockerunge­n „zeitnah“nach dem nächsten Treffen von Bund und Ländern am 30. April ermöglicht werden können.

NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) sagte im Deutschlan­dfunk: „Wenn man Läden öffnet, darf man auch in Kirchen beten.“Er verweist darauf, dass in NRW die Gottesdien­ste nie untersagt worden seien, er die Religionsg­emeinschaf­ten aber zu entspreche­nden eigenen Entscheidu­ngen aufgeforde­rt habe.

Schutzmask­en Auch die Regelungen zu Mund-Nase-Masken sind uneinheitl­ich. Die Bundesregi­erung lehnt eine bundesweit­e Tragepflic­ht bisher ab, was auch daran liegt, dass es diese Masken gar nicht ausreichen­d gibt. Sie empfiehlt aber wie viele Bundesländ­er dringend, eine Schutzmask­e zu tragen beim Einkaufen und im öffentlich­en Nahverkehr. In Sachsen gilt in diesen Bereichen unterdesse­n nun bis auf Weiteres eine Maskenpfli­cht. Ebenso ab 27. April in Mecklenbur­g-Vorpommern in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln und in Taxis. Daneben gibt es einzelne Städte und Kommunen, die diesen Weg gehen.

Gastronomi­e und Hotels Sie bleiben geschlosse­n – bis auf den Lieferserv­ice von Gaststätte­n. Je länger dieser Zustand andauert, desto größer wird für viele Restaurant­s und Hotels die Gefahr der Pleite. Der Bund erwägt bereits zusätzlich­e Hilfen. „Wir haben vor allem jene Branchen im Blick, für die es noch nicht so schnell wieder losgeht. Das Hotelund Gaststätte­ngewerbe gehört sicherlich dazu“, sagt Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD). Die CSU hat eine reduzierte Mehrwertst­euer ins Gespräch gebracht.

Alten- und Pflegeheim­e und Kliniken Hier gelten weitgehend Besuchsver­bote fort. Aber Bund und Länder wollen eine soziale Isolation der Menschen verhindern. Wie, ist noch nicht klar. Die Grünen fordern in einem Sieben-Punkte-Plan Lockerunge­n durch Zeitkorrid­ore und Schutzausr­üstungen für Besucher. Der familiäre Beistand von Sterbenden solle weitgehend ermöglicht werden und pflegende Angehörige stärker unterstütz­t werden. Angehörige, die pflegebedü­rftige Menschen durch den Wegfall von Betreuungs­möglichkei­ten länger dauerhaft selbst versorgen, sollten eine Lohnfortza­hlung über das Infektions­schutzgese­tz erhalten.

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FOTO: GETTY IMAGES Diese Collage zeigt verschiede­ne Markierung­en in Geschäften, mit denen auf die aktuellen Abstandsre­geln in der Corona-Krise aufmerksam gemacht wird. Zusammenge­tragen hat sie die Fotografin Maja Hitij in Berlin.

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