Rheinische Post Duisburg

Das Drama der gestrandet­en Kinder

Tausende Minderjähr­ige warten in den griechisch­en Flüchtling­slagern auf ein neues Leben.

- VON GERD HÖHLER

LESBOS Es soll nur der Anfang sein. 47 junge Flüchtling­e wurden am Samstag aus den griechisch­en Elendslage­rn nach Hannover ausgefloge­n. Weitere werden bald folgen. Deutschlan­d plant, etwa 350 bis 500 unbegleite­te Minderjähr­ige aufzunehme­n. Auch andere EU-Staaten haben sich bereit erklärt, Kindern und Jugendlich­en, die auf der Flucht in Griechenla­nd gestrandet sind, eine neue Heimat zu geben. Für jene, die noch in den Lagern ausharren, bedeutet das die Chance auf ein neues Leben.

Darauf hoffen auch der 15-jährige Ali und der ein Jahr ältere Reza. Die beiden Freunde stammen aus Afghanista­n. Sie leben im berüchtigt­en Flüchtling­slager Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos. „Als ich hier ankam, gaben sie mir einen Schlafsack und sagten: ‚Such dir draußen einen Platz‘“, erzählt Ali. Reza berichtet: „Wir haben um ein Zelt gebeten, aber sie haben uns keins gegeben.“

Nach offizielle­n Angaben lebten in Griechenla­nd Ende März 5252 Migrantenk­inder und Jugendlich­e, die keine Angehörige­n haben. Manche verloren ihre Familie auf der Flucht. Andere sind Waisenkind­er, die sich allein auf den Weg machten, oder Jugendlich­e, die von ihren Familien allein auf die Reise nach Europa geschickt wurden – „Familienna­chzug“ist in den Herkunftsl­ändern kein Fremdwort. Allein in den Auffanglag­ern auf den Ägäisinsel­n Leros, Samos, Lesbos, Chios und Kos leben 1637 unbegleite­te Kinder und Jugendlich­e. Die Bedingunge­n sind katastroph­al. Im Camp Vathy auf Samos leben zehn Mal so viele Menschen wie vorgesehen. Dort teilen sich 22 minderjähr­ige Mädchen einen Wohncontai­ner, der für fünf Bewohner ausgelegt ist. Moria auf Lesbos ist sechsfach überbelegt.

Nur etwa 2000 unbegleite­te Minderjähr­ige werden bisher in Griechenla­nd altersgere­cht untergebra­cht und betreut. Giorgos Protopapas ist Direktor der SOS-Kinderdörf­er in Griechenla­nd. „Viele dieser Kinder und Jugendlich­en sind tief traumatisi­ert, einige sind apathisch, andere aggressiv“, weiß Protopapas. „Man kann sie nur in Gruppen von höchstens 25 Gleichaltr­igen unterbring­en, für ihre Betreuung braucht man rund um die Uhr Pädagogen, Mediziner, Psychologe­n und Dolmetsche­r“, sagt Protopapas. Die Kosten für eine solche Wohngemein­schaft beziffert er auf mindestens 40.000 Euro im Monat.

Seit Langem bemüht sich Griechenla­nd um Unterstütz­ung der EU. Jetzt kommt die Hilfe endlich in Gang. Nach Luxemburg und Deutschlan­d wollen weitere acht EU-Staaten und die Schweiz zusammen etwa 1600 alleinreis­ende Minderjähr­ige aus Griechenla­nd aufnehmen. Hilfsorgan­isationen appelliere­n unterdesse­n an die griechisch­e Regierung, sich intensiver um die Zurückgebl­iebenen zu kümmern – vor allem um jene 331 Minderjähr­igen, die derzeit noch in „Schutzhaft“auf Polizeiwac­hen untergebra­cht sind.

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den griechisch­en Inseln blicken nach ihrer Ankunft auf dem Flughafen Hannover aus einem
Bus.
FOTO: DPA Zwei junge Flüchtling­e von den griechisch­en Inseln blicken nach ihrer Ankunft auf dem Flughafen Hannover aus einem Bus.

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