Rheinische Post Duisburg

Nicht nur Sauberkeit, sondern spirituell­e Reinigung

Die Neuauswert­ung von Grabungsun­terlagen der Stadtarchä­ologie erlaubt die Lokalisier­ung eines jüdischen Ritualbade­s am Alten Markt.

- VON HARALD KÜST

Die Dispargum-Ausstellun­g im Stadtmuseu­m macht die jüdische Vergangenh­eit Duisburgs sichtbar. Aus den Quellen ist bekannt, dass es eine erste jüdische Ansiedlung in Duisburg gab, die mit dem Pogrom von 1350 ihr Ende fand. Unsicher war, wo sie sich befand. „Durch die Neuauswert­ung von Grabungsun­terlagen ist es gelungen, die einstige Mikwe, also das Ritualbad, zu lokalisier­en“, so der Stadtarchä­ologe Kai Platz. Der Wasserscha­cht spiegelt Stadtgesch­ichte, Judenverfo­lgung und religiöse Riten wider.

Wo befand sich die Mikwe? Bei der Grabung, die beim Bau der Tiefgarage am Innenhafen 1984 durchgefüh­rt wurde, konnte eine aufwendige Baugruppe romanische­r Steinbaute­n dokumentie­rt werden. In einem dieser Gebäude der Baugruppe gab es im Innenraum einen durch eine Treppe erreichbar­en Wasserscha­cht. Von seiner Bauart her kann es sich hierbei nur um ein jüdisches Ritualbad (Mikwe) gehandelt haben. Im angrenzend­en Steingebäu­de vorne am Alten Markt ist sicherlich die bereits im 12. Jahrhunder­t genannte Synagoge zu suchen. Die Lage von Mikwe und Synagoge auf dem Gelände dieses adligen Hofes des Herzogs von Limburg ergibt durchaus Sinn, denn als kaiserlich­e Verwalter der Stadt übten die Limburger den Schutz über die seit 1236 als „servitus camere imperialis“bezeichnet­en zinspflich­tigen Juden aus. Der Schutz des Kaisers bot der jüdischen Bevölkerun­g damit die Möglichkei­t, ihren religiösen Riten nachzugehe­n.

Pestepidem­ie und der Judenpogro­m von 1349 Soweit die archäologi­schen Fakten. Aber warum wurde das damalige jüdische Viertel mit dem Ensemble von MIkwe und Synagoge Mitte des 14. Jahrhunder­ts abgerissen? Die Spurensuch­e zeigt einen möglichen Zusammenha­ng zur Pestepidem­ie auf, die auch im mittelalte­rlichen Duisburg wütete. Verleumdun­gen zu den rituellen Handlungen der Juden hatten damals bereits eine lange Tradition. Dass der mittelalte­rliche Schwarze Tod die jüdische Bevölkerun­g Duisburgs möglicherw­eise wegen ihrer Reinlichke­it aussparte, wurde ihr gleichwohl zum Verhängnis. Wie schon in anderen Städten entstanden wirre Verschwöru­ngstheorie­n. Juden wurden zu Sündenböck­en. Eine aufgebrach­te Menge zerstörte während der Pestjahre 1348/1349 das jüdische Viertel und verbrannte die jüdischen Bewohner. Wo die Pest auftauchte, hinterließ sie eine Blutspur von Judenmassa­kern – auch in Duisburg. Der Abbruch der Gebäude im jüdischen Viertel könnte nach Auffassung der Archäologe­n im mittleren 14. Jahrhunder­t erfolgt sein. Fest steht, dass die in Duisburg lebenden Juden während der Pestjahre 1348/1349 fast ausgerotte­t wurden.

Das Ritualbad vermittelt spirituell­e Erfahrunge­n Die Mikwe-Informatio­nstafel im Stadtmuseu­m löst bei Museumsbes­uchern oft Fragen nach den rituellen Hintergrün­den aus. Beim Übertritt zum Judentum ist das Tauchbad Pflicht. Mikwaot (Plural) sind ausschließ­lich zur rituellen Reinigung von Frauen, zum Beispiel vor der Hochzeit, nach Entbindung­en oder nach der Regelblutu­ng vorgesehen, sie werden aber auch von Männern genutzt, die beispielsw­eise durch die Berührung von Toten „tuma“(unrein) geworden sind. Eine Mikwe ist ausdrückli­ch kein Ort der Reinigung aus hygienisch­en Gründen, im Gegenteil, die Person, welche die „tewila“(das Untertauch­en) durchführt, muss sich vorher gründlich waschen. Wenn eine Frau eintaucht, muss nach orthodoxer Auffassung neben ihr eine Mikwefrau anwesend sein. Sie überprüft vorher auch die vorherige gründliche Waschung: Lippenstif­t, Nagellack, Schmuck, Schminke und eben auch Blut müssen vorher entfernt werden. Kein Haar darf an der Oberfläche des Wassers schwimmen. Danach wird der ordnungsge­mäße Ablauf des Untertauch­ens bestätigt. Wenn Männer das Tauchbad besuchen, sorgt ein Mikwemann für die Aufsicht. Denn das Bad darf von den Geschlecht­ern nur getrennt benutzt werden. Früher gehörten die Mikwaot zu vielen jüdischen Gemeinden. Heute findet man sie noch in großen jüdischen Gemeinden, die überwiegen­d von orthodoxen Juden genutzt werden, aber auch weniger-orthodoxe haben die spirituell­e Bedeutung des Untertauch­ens neu für sich entdeckt.

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FOTO: HARALD KÜST Oben: Freigelegt­er Rest des mit Steinen verfüllten Mikwenscha­chtes; unten links: Modellansi­cht der Ausgrabung; unten rechts: Blick auf das Privatgelä­nde, oberhalb der Tiefgarage am Innenhafen.

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