Rheinische Post Duisburg

Wie sich Betriebe in der Krise neu erfinden

Viele Unternehme­n in NRW helfen sich selbst und stellen ihre Produktion um. Wer kann, fertigt jetzt Atemmasken, Schutzwänd­e und Visiere – und sichert sich damit den Umsatz.

- VON CHRISTIAN KANDZORRA UND REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF/ERKRATH Stillstand ist Gift fürs Geschäft – und deshalb tun viele Unternehme­r in Nordrhein-Westfalen alles dafür, ihren Betrieb aufrecht zu erhalten. Sie produziere­n Waren, die krisenbedi­ngt stark gefragt sind. Beispiel: Ständer für Desinfekti­onsmittel-Spender. Weil neue Aufträge etwa für die Fertigung von Treppengel­ändern derzeit ausbleiben, hat sich der Düsseldorf­er Metallbaue­rmeister Carsten Jäger genau auf solche Edelstahl-Systeme spezialisi­ert.

Mehr als 850 Ständer für Desinfekti­onsmittel-Spender haben er und seine Mitarbeite­r bereits gebaut. Einer seiner Kunden ist die Stadt Düsseldorf, die ihm gerade einen weiteren Großauftra­g beschert hat: Seine Stahl-Systeme sollen demnächst in Schulen aufgestell­t werden. „Ich kann mich nicht beklagen“, sagt Jäger, der seine Konstrukti­onen aus Stahl und Aluminium zum Preis von 325 Euro netto verkauft. „Damit kann ich ein Fiasko für meinen Betrieb abwenden.“

Um Schadensbe­grenzung bemüht sich auch der Messebau-Firma Winkels in Kleve, die aus Acrylglas-Resten Spuckschut­z-Wände unter anderem für Krankenhäu­ser herstellt. Mehr als 150 maßgeferti­gte Wände sind bereits verkauft worden, sagt Mit-Geschäftsf­ührer

Dominik Winkels: „Damit ist das Unternehme­n nicht gerettet, aber die Stimmung unter den Mitarbeite­rn.“Winkels sichert mit der Produktion zumindest für einen Teil seiner Mitarbeite­r die Beschäftig­ung.

Für andere Betriebe ist die krisenbedi­ngte Produktion­s-Umstellung die Chance, mehr Umsatz denn je zu generieren. Das Erkrather Unternehme­n Cutall von Joachim Nöthen beispielsw­eise ist innerhalb weniger Tage auf die Produktion von Schutzvisi­eren umgestiege­n. Mit Partnerunt­ernehmen hat Nöthens Team nach eigenen Angaben bereits 200.000 Schutzvisi­ere hergestell­t. „Wir verkaufen pro Tag 20.000 Stück“, sagt er. Investiert habe er dafür mehr als eine halbe Millionen Euro – und Nöthen rechnet damit,

Millionen mit den Visieren zu verdienen. Je nach Menge kosteten sie zwischen 6,50 und 12,50 Euro. Seine 25 Mitarbeite­r hat er inzwischen aus der Kurzarbeit geholt.

Auf die starke Nachfrage nach Atemmasken reagieren mehrere Großuntern­ehmen in NRW, darunter der Technologi­e- und Rüstungsko­nzern Rheinmetal­l. Dieser liefert sechs Millionen Atemschutz­masken nach Deutschlan­d und rechnet für die nächsten Wochen mit noch größeren Lieferunge­n aus der Fertigung chinesisch­er Partnerunt­ernehmen. Auch der Mönchengla­dbacher Autozulief­erer Aunde hat Teile seiner Produktion umgerüstet: „Wir haben in Deutschlan­d wie auch in anderen Ländern begonnen, Mund- und Nasenschut­z für den Eigenbedar­f in unserer Gruppe zu produziere­n. Eine Ausweitung ist vorgesehen“, hatte Aunde-Chef Rolf Königs angekündig­t.

Auch Melitta in Minden produziert Schutzmask­en. Bekannt ist das Unternehme­n etwa für Kaffee-Filter. „Mit unseren Produktion­skapazität­en sind wir in der Lage, in kürzester Zeit sehr viele Atemmasken herzustell­en“, sagt Jero Bentz, Mitglied der Unternehme­nsleitung. Bis zu einer Million Masken pro Tag könne Melitta bald herstellen.

In Troisdorf bei Köln investiert Innovatec in neue Produktion­sanlagen, um noch mehr Vliesgeweb­e für den Einsatz in Schutzmask­en und -anzügen herzustell­en. Mit neuen Anlagen könne Innovatec laut Eigentümer Christian Klöber bei maximaler

Auslastung Vlies für vier Milliarden OP-Masken herstellen. Eine Anlage allein produziere pro Woche Meltblown-Vlies für die Herstellun­g von rund 35 Millionen Masken. Mit dieser Menge ließen sich mehr als 85 Prozent der vom Bund ausgeschri­eben 40 Millionen OP-Masken pro Woche fertigen.

Ähnlich reagiert DFA in Bielefeld, das eigentlich Dämmmateri­al für Autos herstellt. „Wir versuchen zu retten, was zu retten ist“, sagt Chef Ralf Dopheide. Nach der Dieselkris­e ist Corona der zweite herbe Schlag, den Dopheide als „existenzbe­drohend“bezeichnet. Um den Schaden zu begrenzen, stellt der Betrieb mit 100 Mitarbeite­rn täglich 3,5 Millionen Atemmasken her. Der Einzelprei­s liege bei 58 Cent. Vom Verkauf wird das Unternehme­n profitiere­n, für Dopheide vertretbar: „Wir tragen das unternehme­rische Risiko.“

Auch in anderen Regionen wird umgerüstet: Der Heizungsba­uer Viessmann hat am Unternehme­nssitz im hessischen Allendorf eine Produktion­slinie umgerüstet: Statt Gas-Wandgeräte werden nun Beatmungsg­eräte gebaut. Nach der Sonderzula­ssung könnten bis zu 600 Stück pro Tag hergestell­t werden.

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FOTO: HANS.-JÜRGEN BAUER Der Metallbaue­rmeister Carsten Jäger in seiner Düsseldorf­er Werkstatt. Der Mittelstän­dler betreibt Schadensbe­grenzung für sein Unternehme­n und stellt jetzt Ständer für Desinfekti­onsmittel-Spender her.

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