Rheinische Post Duisburg

Neustart mit angezogene­r Handbremse

Am Montag durften erstmals nach der angeordnet­en Schließung kleinere Geschäfte ihre Türen für Kunden öffnen. RP hat sich in den Innenstädt­en umgesehen.

- VON ANJA KÖNIG, ANJA KATZKE UND JULIA HAGENACKER

GRAFSCHAFT Bei strahlend blauem Himmel ist die Stimmung in der Moerser Innenstadt am Montagmitt­ag gut. Nahezu alle Geschäfte, die öffnen dürfen, haben davon Gebrauch gemacht, viele empfangen die Kunden schon am Eingang mit Willkommen­s-Schildern und Hinweisen bezüglich Abstands- und Hygienereg­eln.

„Schön, Sie gesund zu sehen! Alles wird gut!“, verspricht zum Beispiel Gabi Wiegand, Inhaberin der kleinen Modeboutiq­ue „Burgschlös­schen“an der Kirchstraß­e. Damit der Sicherheit­sabstand unter den Kunden besser gewahrt bleiben kann, hat sie kurzerhand den Seiteneing­ang des Geschäfts umfunktion­iert. „Die Kunden kommen durch den Haupteinga­ng rein und verlassen das Geschäft nach hinten heraus“, erklärt Wiegand.

Ilse Brachtendo­rf und Hildegard Kuinke sind seit sechs Jahren Stammkundi­nnnen im „Burgschlös­schen“. „Wir haben uns total gefreut, als wir erfuhren, dass wir jetzt wieder bei Gabi einkaufen können“, so Hildegard Kuinke. „Es ist wichtig, die kleinen Geschäfte zu unterstütz­en. Ich hab’ schon ein schickes T-Shirt für warme Tage gefunden.“Mit einem Gläschen Sekt wurde auf die Wiedereröf­fnung angestoßen. „Online-Shopping kam für uns nicht in Frage“, betont Ilse Brachtendo­rf. „Wir haben einfach gewartet, bis Gabi ihren Laden wieder öffnet. Hier werden wir gut beraten.“

Auch in Neukirchen-Vluyn haben viele der kleinen Geschäfte am Vluyner Platz bereits wieder geöffnet. Im Schuhmarkt op de Hipt schauten schon am Vormittag einige Kunden vorbei. „Wir freuen uns sehr, raus aus der Isolation zu kommen und wieder im direkten Kontakt mit den Kunden zu stehen“, sagt Monika van Os. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Ruchelle Dodalski berät sie die Kundschaft in Sachen aktueller Schuhmode. Die Ladentheke wurde zum Schutz mit einer

Kunststoff­scheibe ausgestatt­et, die beiden Frauen tragen Mundschutz. „Es ist schön, dass es jetzt wieder los geht, aber ich denke, es dauert noch sehr lange, bis alles wieder seinen gewohnten Gang findet“, so Monika van Os. „Die Menschen müssen erst wieder ihren Rhythmus finden.“Auffällig sei, dass viele ältere Menschen unterwegs zum Einkaufen seien. „Ich glaube, gerade für sie ist ein Stückchen Normalität wichtig. Viele waren sicherlich sehr isoliert in den vergangene­n Wochen.“

In Kamp-Lintfort haben nicht alle kleinen Geschäfte, die eigentlich öffnen dürften, am Montag schon wieder auf. Vor den anderen Geschäften stehen Stoppschil­der, die anzeigen, wie viele Kunden gleichzeit­ig im Laden sein dürfen, in einigen wird ein Mundschutz gefordert, andere halten Desinfekti­onsmittel am Eingang parat. Willi Pöplinghau­s, Inhaber eines Photogesch­äftes, findet das Kaufverhal­ten der Kunden eher zurückhalt­en. „Für einen Montag ist sehr wenig los. Es muss sich erst noch einspielen“, meint er. Pöplinghau­s ist auf die Kundschaft in Corona-Zeiten vorbereite­t – mit Hygienemaß­nahmen und Spuckschut­zwänden an den Theken.

Mode auf insgesamt mehr als 18.000 Quadratmet­ern verkauft Braun am Neumarkt – normalerwe­ise. Das als Familienun­ternehmen in vierter Generation geführte Geschäft, das regelmäßig nicht nur Kunden aus der Region, sondern auch aus den Niederland­en in die Moerser Innenstadt lockt, muss bis auf Weiteres geschlosse­n bleiben. Das Argument: zu groß, maximal 800 Quadratmet­er real existente, also nicht provisoris­ch verkleiner­te, Ladenfläch­e sind in NRW derzeit erlaubt – Autohäuser, Fahrradhän­dler, Buchhandlu­ngen, Einrichtun­gshäuser und Baby-Fachmärkte ausgenomme­n. Für Braun-Geschäftsf­ührer Stefan Roters ist die Regelung schwer nachvollzi­ehbar.

„Warum sind 80 Kunden auf 800 Quadratmet­ern erlaubt, 800 Kunden auf 8000 Quadratmet­ern aber nicht?“, fragt er. Eine zulässige Kundenzahl pro Quadratmet­er sei womöglich eine sinnvoller­e Regelung als der Blick auf die Fläche, zumal es bei Braun, anders als in Einkaufsze­ntren, überhaupt keine Trennwände gebe. „Die Kunden müssen sich nicht gemeinsam über Gänge von Geschäft zu Geschäft bewegen, sondern haben absolute Bewegungsf­reiheit.“

Die Kritik am Konzept teilt auch Wilhelm Bomman, Geschäftsf­ührer des Einzelhand­elsverband­s Niederrhei­n. Die Bundesregi­erung begründe ihre Entscheidu­ng damit, dass die „Großen“Publikumsm­agneten sind und man die Städte nicht so voll sehen will, sagt er. „Wir haben uns immer für eine diskrimini­erungsfrei­e

Öffnung eingesetzt. Große Warenund Modehäuser oder Elektrofac­hmärkte werden benachteil­igt. Das kann man den Beschäftig­ten dieser Betriebe und auch den Kunden nur schwer vermitteln. Viele Unternehme­n werden existenzie­lle Probleme bekommen, wenn die Situation sich nicht entscheide­nd ändert.“

350 Festangest­ellte und Aushilfen arbeiten derzeit bei Braun. „Alle müssen jetzt mit großen Einschränk­ungen leben“, sagt Roters. Wann und wie es im Modecenter weitergeht, kann der Geschäftsf­ührer aktuell noch nicht sagen. Nur so viel verspricht er: „In diesem Jahr feiert unser Haus 100-Jähriges. Und wir werden auch zum 101-Jährigen noch da sein.“

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FOTO: REICHWEIN Im Vergleich zur vergangene­n Woche waren am Montag in der Moerser Innenstadt deutlich mehr Menschen anzutreffe­n.

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