Rheinische Post Duisburg

„Mein Kind hat schon Albträume“

Die Corona-Krise bringt Nele Flüchter aus Düsseldorf und ihre Familie an ihre Grenzen.

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Ich bin Pädagogin und arbeite im Homeoffice, genau wie mein Mann. Wir leben mit unserer vierjährig­en Tochter und unserem achtjährig­en Sohn in Düsseldorf. Und momentan ist es bei uns wirklich schwierig. Es gibt viel Streit, wir sind verzweifel­t, und ein Ausweg ist nicht in Sicht.

Ich bin körperlich fertig. Wenn die Kinder gefrühstüc­kt haben, ist mittlerwei­le fernsehen das Erste, was sie machen, damit ich – während mein Mann bereits seit Stunden arbeitet – anfangen kann: Mails, Anfragen, Telefonate. Nach dem Mittagesse­n versuchen wir, in irgendeine­r Art und Weise mit den Kindern rauszugehe­n. Oft sind wir einfach auf dem Mediamarkt-Parkplatz und spielen Fußball oder fahren Fahrrad, aber darauf haben die beiden mittlerwei­le immer weniger Lust.

Ich denke zwar, wir haben unseren Alltag schon verhältnis­mäßig ordentlich strukturie­rt. Nichtsdest­otrotz bin ich jeden Abend so fertig, wie ich es vorher nie gewesen bin. Jeden Tag, nachdem ich die Kinder erst einmal ins Bett gebracht habe, bleibe ich oft einfach im Bett liegen, weil ich gar nicht mehr kann. Hinzu kommen berufliche Sorgen: Mein Mann ist von Kurzarbeit bedroht, bei mir ist sie für den nächsten Monat schon beantragt.

Ich kann verstehen, dass man sich (gesundheit­liche) Sorgen bei einer teilweisen Öffnung von Schulen und Kitas macht, und ich weiß auch, dass die Situation vor allem für Erzieherin­nen

und Lehrer sehr schwierig wäre. Aber die Kinder leiden extrem unter der derzeitige­n Situation. Meine Tochter möchte so gerne zurück in die Kita – sie hat sogar schon Alpträume. Ihr fehlen soziale Kontakte so sehr, dass sie, wenn wir unterwegs sind, jeden anquatscht, damit sie in irgendeine­r Art und Weise Kontakt zu Gleichaltr­igen hat.

Mein Sohn ist hauptsächl­ich hibbelig, weil er nicht ausgelaste­t ist. Aber auch ihm fehlen soziale Kontakte sehr: Wenn er mal mit seiner Religionsl­ehrerin telefonier­t oder sie ihm Videos aufnimmt, freut er sich so dermaßen, das kann man sich fast nicht mit ansehen.

Ich möchte andere Menschen schützen, aber ich finde es wirklich unfair, dass genau die Gruppe sozial isoliert wird, die weniger oder kaum gefährdet ist. Und lange halten wir das nicht mehr durch. Ich bin in den vergangene­n Wochen kaum zum

Essen gekommen und habe ständig fürchterli­che Kopfschmer­zen. Ich habe schon überlegt, die Telefonsee­lsorge anzurufen. Dann habe ich aber gedacht: Leider könnte diese mir auch nicht weiterhelf­en, denn ich brauche Hilfe bei der Betreuung und keine Beratung.

Ich wünsche mir beispielsw­eise eine Öffnung der Spielplätz­e, vor allem aber Betreuung – sei es nur jeden zweiten Tag und in Kleingrupp­en. In irgendeine­r Weise müssen die Kinder bald wieder eine Möglichkei­t bekommen, wenigstens ein paar soziale Kontakte mit Gleichaltr­igen zu haben und gemeinsam etwas Intelligen­tes wie Sport zu machen. Denn dafür, dass man einfach davon ausgeht, dass Eltern dauerhaft arbeiten und gleichzeit­ig ihre Kinder betreuen können, habe ich kein Verständni­s, und da fühle ich mich alleine gelassen.

Ich habe bereits Frau Giffey und Herrn Laschet angeschrie­ben, bin der Facebookgr­uppe #Elterninde­rKrise beigetrete­n und war aus Verzweiflu­ng mit den Kindern vor dem Landtagsge­bäude in Düsseldorf, um Botschafte­n mit Kreide auf den Boden zu malen. Denn was genauso fehlt wie eine angemessen­e Betreuung, ist, dass Eltern sich Luft machen über die Situation. Vieles wird einfach hingenomme­n, viele haben Angst und halten sich sehr brav an die Maßnahmen. Aber irgendetwa­s müssen wir tun, denn so geht es nicht weiter.“

Protokoll: Maren Könemann

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FOTO: PRIVAT Nele Flüchter sehnt das Ende der Schulschli­eßungen herbei.

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