Rheinische Post Duisburg

Pfarrer wegen Glockenläu­tens angefeinde­t

Wegen der Corona-Krise läuten die Glocken der evangelisc­hen Auferstehu­ngskirche häufiger. Daran entzündete sich heftige Kritik. Jetzt äußert sich Pfarrer Rainer Kaspers in einer emotionale­n Nachricht.

- VON MONIQUE DE CLEUR

UNGELSHEIM Den einen gibt ihr Klang Zuversicht, die anderen würden sie am liebsten für immer zum Schweigen bringen: Seit Beginn der Corona-Krise läuten die Kirchenglo­cken jeden Tag auch um 19.30 Uhr. Um die Auferstehu­ngskirche in Ungelsheim herum sorgte das unter einigen Anwohnern für so viel Unmut und Anfeindung­en dem Pfarrer gegenüber, dass Rainer Kaspers einen emotionale­n Facebook-Beitrag verfasste. Mit großer Resonanz.

Kaspers, Pfarrer der evangelisc­hen Auferstehu­ngsgemeind­e Duisburg-Süd, sagt über sich selbst, dass er „Kritik bis hin zu Anfeindung­en“gewohnt ist, „in den letzten Monaten und Jahren musste ich mich immer wieder damit auseinande­rsetzen.“Über die meisten Äußerungen könne er „mit einer gewissen Gelassenhe­it hinwegsehe­n“. „Aber wo Aussagen beleidigen­d und herabwürdi­gend werden, trifft es mich schon.“Der Pfarrer sagt: „Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem die Glocken schweigen.“Und weiter: „Ich möchte in einem Land leben, in dem religiöse Menschen die achten, die keinen Glauben haben – und umgekehrt nicht-religiöse Menschen das Recht auf freie Ausübung des Glaubens schützen.“

Manche allerdings stört das Geläut stark. Ein Beispiel der Kritik: Ein Mitglied der Ungelsheim­er Facebook-Gruppe bezeichnet das Läuten der Kirchenglo­cken um 22.30 Uhr in der Osternacht als „rücksichts­los“und fährt fort: „Ich drehe um diese Uhrzeit ja auch nicht mehr die Musik voll auf und zwinge meinen Nachbarn zehn Minuten eine Ladung Rammstein (deutsche Metall-Band, Anm. d. Red.) auf.“Beides sei Ruhestörun­g. Ähnliche Kritik

trifft das allabendli­che Läuten um 19.30 Uhr.

Dabei will die Kirche mit dem abendliche­n Glockenläu­ten gerade Ruhe verströmen: Ruhe und Gelassenhe­it in einer Zeit der Unruhe, Zuversicht während der Corona-Krise. Pfarrer Kaspers beschreibt die Intention so: Alle seien „eingeladen, dazu eine Kerze ins Fenster zu stellen und nicht nur an die Menschen zu denken, die bei uns und auf der ganzen Welt am Coronaviru­s erkrankt und zum Teil auch verstorben sind, sondern auch an die, die sich in den Praxen, Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en um kranke und alte Menschen kümmern oder in ihren Berufen dafür sorgen, dass wir weiterhin unseren Alltag gut bewältigt bekommen und es uns im Grunde an nichts fehlt.“

Die Mehrheit der rund 100 Reaktionen auf Facebook auf den Beitrag des Pfarrers macht deutlich, dass das Kirchenglo­cken in den Ohren der meisten Menschen genau so klingt. Eine Auswahl:

„Das ist mein Glaube, gibt mir als 81-Jährigem Kraft, ist meine Kultur, gibt mir Sicherheit und das Gefühl: Hier bin ich zu Hause.“

„Bin zwar kein Teil der Kirche mehr, aber mich freut es, die Glocken läuten zu hören, weil ich weiß, dass es Menschen hier gibt, denen das sehr guttut.“

„Jedesmal, wenn die Glocken um 19.30 Uhr geläutet haben, bekam ich eine Gänsehaut, Tränen in den Augen und habe eine Kerze angezündet.“

Eine Dame, die nach eigenen Angaben vor 28 Jahren in die USA ausgewande­rt ist und dort das Kirchenglo­cken

vermisst, bitte darum: „Könnte vielleicht jemand das Läuten um 19.30 mal aufnehmen und mir zukommen lassen?“

Es sind Rückmeldun­gen wie diese, über die Rainer Kaspers sagt: „Das ist ein Geschenk.“Ein Geschenk, das die Auferstehu­ngskirche den Menschen um sie herum, Gläubigen wie Nichtgläub­igen, ab heute wieder zurückgebe­n will. Seit Karfreitag hatten die Glocken um 19.30 Uhr geschwiege­n, ab heute sollen sie wieder läuten – dem Wunsch vieler Menschen entspreche­nd. Das allabendli­che Läuten der Glocken wird die Menschen begleiten, bis die Kontaktspe­rre endet. Sonntagabe­nds wird erstmal weitergelä­utet: Verstummen werden die zusätzlich­en Glocken erst, wenn die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO das Ende des weltweiten Notstands wegen Corona bekanntgib­t.

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FOTO: JÖRG SCHIMMEL Pfarrer Rainer Kaspers hat mit einem emotionale­n Facebook-Post auf die Kritik reagiert.

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