China und das gläserne Portemonnaie
Die Führung in Peking erprobt in vier Städten eine eigene Digitalwährung. Für den Staat wird die Überwachung damit noch einfacher.
PEKING Wer in den Geschäften der chinesischen Hauptstadt sein Portemonnaie herauskramt, der wird jetzt schon misstrauisch beäugt. Fast alle Einwohner der Stadt zahlen mit ihren Smartphone, vor allem die jungen Leute verzichten nahezu vollständig auf Papiergeld. Nun testet die kommunistische Regierung der Volksrepublik sogar erstmals eine staatliche Digitalwährung.
Das Pilotprojekt läuft in vier Städten an: in Chengdu im Westen, in Xiong’an bei Peking, in der südchinesischen Tech-Metropole Shenzhen und in Suzhou bei Shanghai. Dort erhalten laut „Wall Street Journal“Teile der Regierungsbeamten die Hälfte ihrer Pendlerpauschale in der Digitalwährung ausgezahlt. Dafür mussten sie eine Smartphone-App installieren, auf die das elektronische Geld überwiesen wird.
In sozialen Medien kursieren bereits Screenshots. Daraus gehen mehrere Funktionen hervor: Getätigte Finanztransaktionen lassen sich in einem Menüfeld nachverfolgen, und das Digitalgeld kann auf ein existierendes Bankkonto überwiesen werden. Die elektronische Währung soll durchaus Gemeinsamkeiten mit Kryptowährungen wie Bitcoin oder dem von Facebook geplanten Libra haben.
Das zentrale Grundprinzip jedoch, nämlich dass Nutzer von Bitcoins komplett anonym und für staatliche Behörden nicht nachvollziehbar Transaktionen tätigen können, wird in China nicht gegeben sein. Ebenfalls wird die Währung von der Regierung zentral herausgegeben, im Gegensatz zu den dezentral funktionierenden Kryptowährungen. Bis vor drei Jahren galt China mit seiner technikaffinen und trendsensiblen Bevölkerung als riesiger Markt für Bitcoin und Co. Dann jedoch verbot die Kommunistische Partei in Peking das Spekulieren mit digitalen Währungen.
Weltweit arbeiten derzeit mehrere Regierungen an einer Digitalwährung, darunter Kanada und Schweden. Chinas Anfänge reichen bis in das Jahr 2014 zurück. Der „digitale Yuan“hat dabei bislang noch keinen offiziellen Namen und wird laut Angaben der Zentralbank nicht in naher Zukunft landesweit eingeführt. Präsident Xi Jinping hat das Projekt „digitaler Yuan“jedoch im vergangenen Jahr in mehreren Reden zur Chefsache erklärt, im Oktober sprach er sich für die Blockchain-Technologie aus, die den Kryptowährungen zugrundeliegt.
Damals hatte auch Yi Gang, der Vorsitzende der chinesischen Zentralbank, das Motiv hinter der Einführung einer Digitalwährung skizziert, nämlich die sukzessive Ersetzung des Bargelds. Ebenfalls könne ein elektronisches Zahlsystem dabei helfen, gegen Geldwäsche, Terrorfinanzierung und Steuerhinterziehung vorzugehen. Außerdem würden Finanztransaktionen generell effizienter werden.
Die Nachteile liegen jedoch ebenfalls auf der Hand: Mit einer Digitalwährung wird der gläserne Bürger in China zunehmend Realität, schließlich lässt sich jede Zahlung problemlos einsehen. Ohnehin unterhält die Volksrepublik bereits das wohl aufwendigste Überwachungssystem weltweit. Kaum eine Straße in Peking etwa ist ohne Überwachungskamera; von den Geräten werden immer mehr mit Gesichtserkennungs-Software ausgestattet.
In den sozialen Medien gibt es zwar immer wieder Debatten über Privatsphäre und Datensicherheit, doch der Großteil der Chinesen schätzt die Bequemlichkeit und Effizienz, die mit elektronischen Zahlungen einhergeht. Schon jetzt ist das Land auf dem Gebiet des „Mobile Payment“, also der Bezahlung per Smartphone, weit fortgeschritten: In praktisch jedem Eckladen lässt sich mit den Anbietern Wechat oder Alipay bezahlen, viele Geschäfte nehmen gar kein Bargeld mehr an. Auch Bettler oder Straßenmusiker haben QR-Codes bei sich, mithilfe derer man Geldüberweisungen tätigen kann. Die Apps auf dem Handy sind dann wiederum mit regulären Bankkonten verknüpft.
Dennoch ist bislang unklar, ob die neue Digitalwährung – sobald sie denn eingeführt wird – für den Konsumenten überhaupt eine Änderung im Vergleich zu den mobilen Zahlungsmethoden mit sich bringt.