„Jedem zweiten Gastwirt droht das Aus“
Der Chef der Korschenbroicher Bolten-Brauerei über die Corona-Folgen und seine Erwartungen an die Politik.
DÜSSELDORF Deutschland ist ein Land der Biertrinker. Aber die Corona-Krise hinterlässt auch hier deutlich Spuren. Über die Folgen der Krise und die Hoffnungen der Branche sprachen wir mit Michael Hollmann, dem Chef der Bolten-Brauerei und Vorsitzenden des NRW-Brauerverbandes.
Herr Hollmann, die Bierbranche klagt über extreme Absatzrückgänge. Wie sehr trifft die Krise Ihre Brauerei?
HOLLMANN Natürlich leiden wir alle unter der Schließung aller gastronomischen Betriebe. Es gibt keine Schützenfeste mehr, keine Veranstaltungen, keine Konzerte. Wenn, dann trinken die Menschen zu Hause glücklich ihr Bier.
Heißt in Zahlen?
HOLLMANN Wegen des Komplettausfalls im März und April rechnen wir bei Bolten damit, dass der Gesamtabsatz um zehn bis 25 Prozent zurückgeht. Wenn es mit der Wiedereröffnung von Lokalen noch länger dauert, werden es noch mehr. Wir und viele andere haben Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Und wir sind noch vergleichsweise gut dran, weil unser Fassbier-Anteil kleiner ist als der mancher Konkurrenten.
Also muss die Gastronomie möglichst schnell wieder an den Start. HOLLMANN Für die Gastwirte ist es lebensnotwendig, dass sie so bald wie möglich wieder öffnen dürfen. Wenn das nicht passiert, droht jedem zweiten Gastronomen das Aus. Bei denen ist die Marge eh schon nicht besonders hoch. Der Hotelund Gaststättenverband hat erklärt, dass er mit 70.000 Pleiten rechnet. Die Branche hat immerhin zweieinhalb Millionen Beschäftigte.
Aber wie soll das mit der Wiedereröffnung funktionieren, wenn alle doch dringend gehalten sind, die Abstandsregeln einzuhalten? HOLLMANN Erstmal ist es in der Tat wichtig, dass sich alle an die Abstandsund Hygieneregeln halten. Das ist Grundvoraussetzung dafür, dass Lokale überhaupt wieder öffnen können. Dann könnten wir es aber so machen, dass wir beispielsweise nur die Hälfte der Tische und Stühle aufstellen und eben nur eine begrenzte Zahl von Menschen reinlassen. Das wäre auf jeden Fall besser, als wenn der Betrieb komplett stillsteht.
Ist die Gastronomie generell ein wichtigerer Faktor als Großereignisse wie die Fußball-EM oder Olympia, die jetzt ausfallen? HOLLMANN Beides ist für die Bierverkäufer von eminenter Bedeutung.
Was erwarten Sie von der Politik? HOLLMANN Wir wünschen uns, dass es klarere Aussagen der Landesregierung gibt, wie es weitergehen könnte. Wann beispielsweise eine Wiedereröffnung der Lokale unter welchen Bedingungen denkbar wäre. Das würde allen eine Perspektive verschaffen. Dass das Oktoberfest abgesagt worden ist, hat eine Signalwirkung entfaltet. Die Unsicherheit ist noch größer geworden. Es wäre schön, wenn wir in zwei bis drei Wochen ein bisschen Klarheit hätten.
Die Politik hat Kredite und Zuschüsse zugesagt. Hilft das der Branche in ausreichendem Maß? HOLLMANN Die Bemühungen sind natürlich lobenswert. Aber das Ganze hat Tücken. Wenn Sie zum Beispiel einen Antrag auf einen Kfw-geförderten Kredit stellen, müssen Sie bei den Angaben höllisch aufpassen. Sonst haben Sie sehr schnell ein Strafverfahren am Hals. Das ist sehr komplex. Und die Banken müssen da, wo die KfW nicht allein ins Risiko geht, natürlich prüfen. Der Antrag läuft dann bei ihnen durch alle Gremien. Und das kann unter Umständen länger dauern.
Und die Zuschüsse?
HOLLMANN So wie ich das gehört habe, haben viele Kleinunternehmer die Zuschüsse über 9000 und 15.000 Euro in Anspruch genommen. Das hilft im Zweifel mehr als ein Darlehen, bei dem man nicht weiß, wann man es zurückzahlen kann.
Apropos Darlehen: Sie sind Pächter und Verpächter. Wie sieht es mit den Mietstundungen aus? HOLLMANN Es bringt einem Verpächter nichts, wenn der Pächter gar nicht mehr zahlen kann. Also sind wir alle aufgerufen, gemeinsam eine Lösung für die Probleme zu finden.
Aber man kann einmal verlorene Umsätze ja nicht mehr zurückholen. Gibt es da überhaupt eine Chance, aufgelaufene Pachtschulden zu begleichen?
HOLLMANN Das ist sehr, sehr schwierig. Da müssen alle Beteiligten mitmachen. Vielleicht gibt es ja einen Weg, dass Schuldner über einen langen Zeitraum in überschaubaren Raten zurückzahlen. Oder wir könnten uns mit Pächtern einigen, dass sie einen Teil unserer Lieferungen dann gratis erhalten. Dann hätten alle was davon.
Nun ist es so, dass Corona an manchen Stellen Probleme verschärft, die vorher schon da waren. Der Bierabsatz geht seit Jahren zurück. Die Brauer haben sich einen Teil der Probleme selbst geschaffen. HOLLMANN Zunächst einmal: Alle, die in der Vergangenheit Rücklagen geschaffen haben, werden auch diese Krise überstehen. Richtig ist außerdem, dass in den vergangenen 15 bis 20 Jahren viel in der Branche zugekauft worden ist, auch von ausländischen Konzernen. Aber wenn man kauft, muss man auch investieren. Das ist nicht immer in ausreichendem Maß passiert.
Haben es regionale Brauereien in der Krise einfacher?
HOLLMANN Ja, auf jeden Fall insofern, dass wir nicht vom Export abhängig sind. Manche liefern beispielsweise viel nach Italien, aber da ist der Absatz komplett zum Erliegen gekommen. Andererseits trinken die Chinesen viel Bier, da ist das Geschäft wieder angelaufen. Vielleicht profitiert man als regionaler Anbieter auch von dem Drang der Menschen nach regionalen Produkten.