Im Kindernest finden Eltern Hilfe
Erzieherin Petra Treeter hält auch in der Corona-Krise Kontakt zu den Familien aufrecht. Das Kindernest ist eine Kooperation von Stadt und Grafschafter Diakonie.
KAMP-LINTFORT Die Corona-Krise belastet junge Familie. Kitas und Spielplätze sind geschlossen. Eltern betreuen ihre Kinder zu Hause – zwischen Homeoffice und Küche. Auch das Familienzentrum an der Montplanetstraße in Kamp-Lintfort ist wegen der Pandemie geschlossen, die Arbeit des Kindernestes geht aber weiter: „Wir stehen zurzeit mit 40 Familien in Kontakt und bieten flexible Hilfen an“, sagt Petra Treeter. Noch vor ein paar Wochen habe sie sich nicht vorstellen können, wie man trotz Kontaktverbots den Kontakt zu den Familien aufrechterhalten solle, die dringend Hilfe benötigen. „Es haben sich aber dann verrückte Möglichkeiten ergeben. Die Betreuung läuft gut. Unser Alltag hat sich trotzdem verändert“, betont die Erzieherin, Familientherapeutin und Kinderschutzfachkraft.
Das Kindernest ist eine Kooperation von Stadt und Grafschafter Diakonie. Die Einrichtung bietet Eltern mit kleinen Kindern frühe Hilfen an. Sie besteht seit etwa zehn Jahren und wurde damals im Rahmen m 23. März ist der Verein „Erinnern für die Zukunft“25 Jahre alt geworden. Dies sollte Mitte März mit einer Festveranstaltung im Alten Landratsamt gefeiert werden. Unter anderem war ein Festvortrag des Historikers Götz Aly geplant. Die Corona-Krise machte auch dieser Veranstaltung einen Strich durch die Rechnung.
In dem Buch „Erinnern und Handeln in Moers“wurden die Aktivitäten des Vereins, Rückblicke auf das Geleistete und Ausblicke auf Kommendes zusammengefasst. „Das Buch war als Festschrift zum 25-jährigen Bestehen unseres Vereins gedacht, geriet uns aber durch die Länge und Qualität der Beiträge auf 112 Seiten zu einer Zwischenbilanz dessen, wo Moers heute in Sachen Erinnerung
steht“, sagt Bernhard Schmidt, Vorsitzender des Vereins. „Und dies – bevor wir mit der Ausstellung ins Alte Landratsamt einziehen.“
Zusammengestellt wurde die Festschrift von Bernhard Schmidt und Uli Hecker, der frühere Leiter der Moerser Regenbogenschule. Erinnert wird unter anderem an die Ausstellung „Widerstand und demokratischer Neubeginn“, die über Jahrzehnte in Rathäusern, Bezirksvertretungen, Sparkassenfilialen, Kirchengemeinden und weiterführenden Schulen der Region gezeigt wurde. Übersetzt ging sie 1998 in die französische Partnerstadt Bapaume. Auch die Entstehung von „Tatort Moers“wird beleuchtet. Die erste ortsgeschichtliche Dokumentation von Widerstand der „sozialen Frühwarnsysteme“gegründet. Ziel des Angebotes ist es, Familien frühzeitig zu erreichen und ihnen ein individuelles Unterstützungssystem anzubieten, um mögliche Krisen zu vermeiden. Das Kindernest hat Netzwerkstrukturen unter anderem mit Ärzten, den Geburtskliniken, mit Hebammen, dem Haus der Familie, Gesundheitsamt, Drogenberatungsstelle, Kindertagesstätten und Frühförderstellen aufgebaut und vermittelt Familien an die jeweiligen Ansprechpartner.
Mit den meisten Familien steht Petra Treeter zurzeit in telefonischem Kontakt. „Wo es nötig ist, besuchen wir die Familien – mit Mundschutz und Handschuhen“, betont sie. Besonders Mütter seien großen Belastungen ausgesetzt, in der aktuellen Krise mehr als sonst. Die Familientherapeutin verabredet sich mit ihnen zu Einzelgesprächen, mit ausreichend großem Abstand natürlich, bespricht mit ihnen die kleinen und großen Nöte, oder geht auch mal mit einer Mutter spazieren, um den Alltag ein wenig zu entzerren. Einmal Dampf ablassen und über das Leben mit beispielsweise drei Kindern und Haushalt und Nationalsozialismus, die 1994 veröffentlicht wurde, ist Basis für viele weitere Projekte des Vereins. Erinnert wird an die Errichtung und Einweihung des Mahnmals für den Widerstand im Kreis Moers gegen die nationalsozialistische Diktatur im Jahr 2000, genauso wie an das Schicksal ehemaliger Zwangsarbeiter und der Kriegsgefangenschaft in Moers.
„Die Einladung ehemaliger Zwangsarbeiter in die Grafschaft war Anlass für die Gründung von ‚Erinnern für die Zukunft‘ 1995, der viele beindruckende und bewegende Begegnungen folgten“, berichtet Hecker. Die Zusammenarbeit des Vereins mit Jugend und Schule wird ebenso berücksichtigt wie die verschiedenen Arbeitskreise. In dem Band „Erinnern und Handeln in Moers“kommen neben Mitgliedern des Vereins auch Ehrenbürgermeister Willi Brunswick, Landrat Ansgar Müller und Bürgermeister Christoph Fleischhauer zu Wort.
Auch die künftige Ausstellung zur Moerser Demokratiegeschichte des 20. Jahrhunderts im Alten Landratsamt wird im Buch thematisiert. Die Ausstellung soll dauerhaft im dortigen Dachgeschoss archivarisch und pädagogisch begleitet werden. Für diese Arbeit haben die dort zusammengeschlossenen sprechen zu können, das sei für viele zurzeit wichtig, sagt sie. „Viele Eltern ziehen jetzt den Hut vor den Erzieherinnen in den Kitas.“Solche Treffen würden gerade in Zeiten der Krise gerne wahrgenommen, berichtet Treeter. Denn auch die Gruppenangebote, die normalerweise im Familienstützpunkt jetzt stattfinden würden, fallen aus. Ebenso die Babybegrüßungsbesuche des Kindernestes. „Die Eltern müssen sich den Ordner zurzeit selbst abholen. Wir schreiben die Familien an und weisen sie daraufhin“, betont sie. Damit sei ein wesentlicher Baustein der Beratungsangebote des Kindernestes weggefallen. Auch die regelmäßigen Elterngespräche und die Erziehungsberatung in den Kindertagesstätten finden nicht statt. Umso wichtiger findet Petra Treeter es, dass die Einrichtungen in der aktuellen Situation Kinder aus besonderen Familien, in denen das Kindeswohl gefährdet sein könnte, aufnehmen und betreuen. „Das ist eine gute und wichtige Alternative und geht auf Beschluss des Landes zurück. Die Erzieherinnen sind ja da und können die Kinder eins zu eins betreuen.“Besonders gefreut hat die Mitarbeiterin des Kindernestes die Hilfsaktion der Kamp-Lintforterin Heike Schoenfeld, die Mund-Nasen-Masken gegen Spenden genäht hatte. Für das Kindernest in Kamp-Lintfort kamen so rund 1300 Euro zusammen. Das Geld wurde in Spielzeug investiert. „Wir konnten einen Tapeziertisch voll beladen mit Gesellschaftsspielen aufbauen und Familien glücklich machen. Das war wie Weihnachten.“Die Eltern holten das Spielzeug in Einzelterminen als Geschenk ab. Außerdem verschickten Petra Treeter und ihre Kollegin Briefe mit Ausmalbögen und Mandala-Bildern zur Aufheiterung an die Kinder, deren Familien sie betreuen. Jede Menge Tipps, wie Eltern ihre Kinder beschäftigen können, haben sie obendrein parat, damit niemanden Zuhause die Decke auf den Kopf fällt. „Mein Handy ist immer an“, sagt Petra Treeter.
Vereine im Herbst 2019 von der NRW-Stiftung 55.000 Euro zugesprochen bekommen. Voraussetzung ist jedoch, dass zuerst 10.000 Euro selbst aufgebracht werden.
„Damit dieser Betrag erreicht werden kann, bitten wir um Spenden“, sagt Bernhard Schmidt. Gespendet werden kann an „Erinnern für die Zukunft“, IBAN DE 96 3545 0000 1138 0033 12, Sparkasse am Niederrhein. Wie Schmidt erklärt, seien bis jetzt 5520 Euro zusammengekommen.
Das Buch „Erinnern und Handeln in Moers“ist gegen eine Schutzgebühr von fünf Euro in den Moerser Buchhandlungen erhältlich.