Rheinische Post Duisburg

Gar nicht alles ist gut gelaufen

- VON MORITZ DÖBLER

Seit mindestens zwei Monaten lässt sich beobachten, wie der Ministerpr­äsident des bevölkerun­gsreichste­n Bundesland­es in der Corona-Krise agiert. Als Talkgast bei Anne Will zeigte Armin Laschet, dass ihm bis heute ein grundlegen­des Verständni­s der Pandemie zu fehlen scheint. Den Schulbetri­eb in NRW am vergangene­n Donnerstag teilweise wiederaufz­unehmen, verteidigt­e er mit den Worten: „Es ist alles gut gelaufen.“

Mag sein, dass es organisato­risch passabel geklappt hat, obwohl viele Lehrer, Eltern und Schüler das anders sehen. Aber ob der Schritt mit Blick auf deren Gesundheit – und damit auch der ihrer Familien und ihres privaten Umfelds – tatsächlic­h richtig war, lässt sich schlicht noch nicht beurteilen. Die Statistike­n geben frühestens in ein, zwei Wochen erste Anhaltspun­kte. Ob an den Schulen „alles gut gelaufen“ist, lässt sich vielleicht in einem Monat sagen. Denn das Coronaviru­s verbreitet sich auf tückische Art, die Infektions­ketten lassen sich kaum nachvollzi­ehen, und Klarheit gibt es erst, wenn es im Zweifel zu spät ist.

Dass Armin Laschet diese elementare Erkenntnis nicht zu verstanden haben scheint, lässt sich kaum erklären. Ohnehin bleibt fraglich, wie stark sich ausgerechn­et bei Teenagern auf Einsicht und Vernunft bauen lässt. Dieselben jungen Menschen, die an lauen Frühsommer­abenden in Parks zusammensi­tzen, sollen tagsüber in der Schule mindestens 1,50 Meter Abstand halten und sich immer wieder die Hände waschen, selbst wenn sich an den Waschbecke­n Schlangen bilden. Das Land und sein Ministerpr­äsident sind also ein kaum zu überschaue­ndes Risiko eingegange­n, und es war eine bewusste Abwägung, wie er auch selbst nicht müde wird zu beteuern.

Nur: Was wurde eigentlich abgewogen? Armin Laschet hat sich bei seinen Vorstößen auf Wissenscha­ftler und Berater gestützt, deren Arbeit in die Kritik geraten ist. Er argumentie­rt mit gesundheit­lichen Schäden und negativen sozialen Folgen der Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens, was zwar eine legitime Befürchtun­g ist, sich aber weder nachweisen noch aufrechnen lässt. Die Abwägung scheint bei dem Bedürfnis der Menschen anzusetzen, endlich zu einer wie auch immer gearteten Normalität zurückzuke­hren. ber so wird letztlich ein unbestimmt­es Empfinden über die faktischen Anforderun­gen einer erfolgreic­hen Bekämpfung der Pandemie gestellt. Man muss nicht wie die Bundeskanz­lerin von „Öffnungsdi­skussionso­rgien“sprechen, um das wenig hilfreich zu finden. Inzwischen hat der Einzelhand­el geöffnet, von der Gastronomi­e ist die Rede, bald soll die Bundesliga den Spielbetri­eb aufnehmen, und auch auf diesen Feldern setzte Armin Laschet seine Impulse.

Was ihn treibt? Man sollte ihm nicht unlautere Motive unterstell­en, sondern ihm die Ernsthafti­gkeit seiner Sorge um die Folgen der Einschränk­ungen abnehmen. Aber es wäre naiv anzunehmen, dass seine politische Wunschkarr­iere, die ihn ins Kanzleramt führen soll, überhaupt nichts damit zu tun haben soll. Er setzt sich ab von Angela Merkel, der er nachfolgen will – das lässt sich erkennen, unabhängig davon, wie man es deutet. Nur findet sich der Mann, der in die Offensive gehen wollte, nun in der Defensive wieder.

Es ist ein Konflikt, der sich mitten in der Pandemie zeigt, deren Ende sich noch längst nicht abzeichnet. Am Anfang lief es eher anders herum. Viele politische Akteure unterschät­zten die Gefahr und räumen dies auch ein. Ehrenrühri­g ist das nicht. Und ohnehin hätte ein radikaler Shutdown im Februar keine Mehrheiten gefunden, auch wenn er im Nachhinein effektiver gewesen wäre als alles, was dann kam.

Dass aber Kommunen wie Gangelt, wo sich das Virus nach einer Karnevalsv­eranstaltu­ng auf andere Orte in NRW ausbreitet­e, über Wochen auf sich allein gestellt waren, sollte die Landesregi­erung selbstkrit­isch würdigen. Für eine politische Bilanz ist es viel zu früh. Zu langsam eingestieg­en, zu schnell ausgestieg­en, schlecht umgesetzt: Das käme jedoch einer vernichten­den Kritik an der Pandemiebe­kämpfung gleich, für die sich Armin Laschet wappnen sollte. Denn, er hat es selbst gesagt, es geht um Leben und Tod.

A

Newspapers in German

Newspapers from Germany