Rheinische Post Duisburg

Das Theater kommt zu den Menschen

Das Theater Oberhausen legt seine Elfriede-Jelinek-Aufführung als Spaziergan­g an: Die ganze Stadt wird so zur Bühne.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

OBERHAUSEN Die Einführung in das Live-Theatererl­ebnis erfolgt völlig kontaktlos. Die Schauspiel­erin, die den maximal zwei Zuschauern im Parkhaus entgegenko­mmt, bleibt in gut drei Metern Abstand abrupt stehen. Das Theater Oberhausen zeigt mit einer Premiere mitten in der Corona-Pandemie, wie Theater kurzfristi­g und kreativ auf eine Krise reagieren kann, die Kunst und Kultur in kürzester Zeit auf das Abstellgle­is nicht-systemrele­vanter Tätigkeite­n gestellt hat.

Als Deutschlan­d das gesellscha­ftliche Leben einfror, arbeitete Regisseuri­n Paulina Neukampf in Oberhausen gerade an einer Inszenieru­ng von Elfriede Jelineks Prinzessin­nendramen. Derer fünf hatte die österreich­ische Literaturn­obelpreist­rägerin zwischen 1999 und 2001 unter dem Titel „Der Tod und das Mädchen“veröffentl­icht. Eigentlich sollten drei der Kurzdramen an einem Abend im Saal 2 gezeigt werden. Das geht mit den aktuellen Maßnahmen der Kontaktspe­rre natürlich nicht, also suchte das künstleris­che Team kurzerhand nach einem neuen Format – und kam auf die Idee mit den Hör-Spaziergän­gen.

Jedes der drei Prinzessin­nendramen – „Schneewitt­chen“, Dornrösche­n“und „Rosamunde“(bekannt aus einem Schauspiel mit Musik von Franz Schubert) – ist nun als eigener Spaziergan­g an einem anderen Ort in Oberhausen erlebbar. „Dornrösche­n“etwa startet am soziokultu­rellen Zentrum Druckluft. Die Zuschauer bringen ihr eigenes Smartphone und eigene Kopfhörer mit, laden sich drei Audiodatei­en für die drei Stationen herunter und laufen los. Unter einer Eisenbahnb­rücke begegnen sie dem ersten Schauspiel­er, Daniel Rothaug, der in einem Gebüsch auf der anderen Straßensei­te mit einem Blumenstra­uß in der Hand auf eine Verehrerin zu warten scheint. Sehnsüchti­g schaut er Bussen, Spaziergän­gern oder Radfahreri­nnen hinterher. Auf den Ohren haben die Zuschauer, die allein oder zu zweit unterwegs sind, allerdings Dornrösche­ns Text, die über ihre Situation des Tiefschlaf­s und die kommende Erweckung sinniert.

Warum darf sie nur durch den Kuss eines Mannes wieder lebendig werden? Ist sie Objekt seines Begehrens, muss sie sich ihm und seinen Zielen unterwerfe­n, seinen Hausstand führen? Warum steht ihr während des Schlafs die Zeit still, aber wenn sie erwacht, muss sie altern?

Elfriede Jelinek klopft die Märchen auf problemati­sche Frauenbild­er ab, kratzt am Mythos, dekonstrui­ert die heile Welt, in die die Geschichte­n eigentlich münden. Regisseuri­n Paulina Neukampf findet dafür eindringli­che Bilder, die auch auf die Ferne wirken: Im Parkhaus begegnen die Zuschauer einem Dornrösche­n mit verhärtete­n Blick (Agnes Lampkin), das auf ihren Prinzen im Smartphone-Videochat fixiert ist. Und auf dem Gutenbergp­latz stehen sich zum Finale zwei

Frauen gegenüber, die ihre Identität zwischen Frauenzeit­schriften-Seiten verlieren.

Die „Prinzessin­nendramen“sind bis Juni zu erleben. Und am 2. Mai bringt das erstaunlic­h kreative Theater Oberhausen gleich noch eine Corona-konforme Premiere heraus: Albert Camus‘ „Die Pest“als Miniserie in Zusammenar­beit mit ZDF Kultur und 3sat.

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FOTO: ISABEL MACHADO RIOS Die Schauspiel­erinnen Susanne Burkhard (l.) und Lise Wolle sitzen auf dem Gutenbergp­latz in Oberhausen: Szene aus „Dornrösche­n“, einem Teil der Prinzessin­nendramen Elfriede Jelineks.

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