„Für Staatshilfe sehe ich keinen Anlass“
Der neue Henkel-Chef stellt trotz Krise Leute ein. Er kritisiert die Politik wegen des Streits um Lockerungen.
DÜSSELDORF Wir hätten Carsten Knobel gerne bei Henkel besucht – mit ausreichendem Abstand. Aber Gäste sind wegen der Corona-Krise nicht erwünscht. Also telefonieren wir.
Henkel hat bereits Ende Februar 60 Mitarbeiter aus dem Kreis Heinsberg vorsichtshalber ins Homeoffice geschickt, während der Fußballverein Borussia Mönchengladbach eine Woche später rund 50 Kilometer von Heinsberg noch ein Heimspiel absolvierte. Was denken Sie im Nachhinein?
KNOBEL Ich bin froh, dass wir als Unternehmen frühzeitig und entschlossen gehandelt haben. Es war gut, dass wir für den Fall einer Pandemie einen klaren Plan hatten. Hätte es eine Reihe von Infektionsfällen beispielsweise hier in Düsseldorf-Holthausen gegeben, dann hätten wir das Gelände wegen Quarantäne sicherlich zu großen Teilen stilllegen müssen. Auch um das zu verhindern, haben wir bereits vor den behördlich verordneten Maßnahmen alle aus Risikoregionen zurückkehrende Kollegen angewiesen, zur Sicherheit erst einmal zwei Wochen von zu Hause zu arbeiten.
Und was sagen Sie als Fußballfan und früherer Vize-Aufsichtsratschef von Fortuna Düsseldorf zum Fall Gladbach?
KNOBEL Das ist sehr schwer zu beurteilen. Vieles lässt sich im Nachhinein natürlich einfacher bewerten, weil man weiß, wie sich Dinge entwickelt haben. Die Corona-Krise kam für große Teile der deutschen Gesellschaft in ihrer Wucht aber überraschend, während wir bei
Henkel durch unsere Niederlassungen in China etwas früher ahnten, was auf uns zukommt.
Wie sehr trifft die Corona-Krise Henkel als Unternehmen?
KNOBEL Wir haben am 7. April unseren bisherigen Ausblick für das Geschäftsjahr 2020 zurückgenommen, weil die Zeiten so unsicher sind, dass wir derzeit keine realistische Prognose abgeben können. Aber wir stehen – trotz der Krise – sehr stabil da. Wir produzieren weiter an allen Standorten in Deutschland und auch in den meisten Fabriken weltweit. Wir entlassen wegen Corona keine Mitarbeiter, verzichten auf Kurzarbeit und zahlen unsere Gehälter. Unser Kreditrating bei den Banken ist weiterhin exzellent. Und dank unserer starken digitalen Infrastruktur und digitalen Kompetenz arbeiten unsere Büro-Mitarbeiter überwiegend im Homeoffice – so auch ich.
Helfen Sie den Kindern bei der Schule?
KNOBEL Unsere Kinder sind glücklicherweise in einem Alter, in dem sie das schon selbständig hinbekommen.
Gibt es selbst in der Henkel-Kantine keine Kurzarbeit?
KNOBEL Wir haben zwar weniger Betrieb am Standort, aber die Kantine läuft. Die Kolleginnen und Kollegen, die ins Werk kommen, können dort unter Einhaltung besonderer Abstandsregelungen und Hygienevorschriften jeden Tag essen. Rund ein Drittel der rund 5600 Mitarbeiter hier in Düsseldorf arbeitet ja in der Produktion. Sie haben es geschafft, eine Anlage, in der sonst Klebstoffe hergestellt werden, sehr schnell auf die Produktion von Desinfektionsmitteln umzurüsten. Insgesamt haben wir mehr als 50.000 Liter gespendet, den größten Teil davon an das Gesundheitsamt in Düsseldorf sowie die Rheinbahn. Das ist ein Teil unseres umfangreichen weltweiten Hilfspaketes gegen Corona. Dazu gehören unter anderem auch noch die Spende von fünf Millionen Produkten und zwei Millionen Euro finanzielle Unterstützung an die WHO und andere Organisationen. Die Henkel-Familie leistet neben dem Unternehmen auch einen eigenen finanziellen
Beitrag.
Wie viele Henkel-Mitarbeiter hatten Covid-19?
Knobel Aktuell haben wir rund 90 Erkrankte weltweit, davon 15 in Deutschland. Kein Henkelaner ist bisher an der Infektion gestorben. Darüber bin ich sehr froh.
Heuert Henkel trotz Pandemie neue Leute an?
KNOBEL Trotz Corona stellen wir neue Beschäftigte auf freie Stellen ein. Wir werden im Herbst auch einen neuen Ausbildungs-Jahrgang starten.
Braucht Henkel Staatshilfe? KNOBEL Nein, dafür sehe ich keinen Anlass. Wir sind finanziell sehr solide aufgestellt und haben ja ein breites Portfolio mit unserem starken Waschmittelgeschäft, dem Bereich Beauty-Care rund um Schwarzkopf sowie der Klebstoffsparte, die weltweit Marktführer ist und viele verschiedene Industrien rund um die Welt beliefert.
Waschmittel legten im ersten Quartal sogar um 5,5 Prozent zu. Wegen Corona?
KNOBEL Die Corona-Krise trägt sicherlich dazu bei, dass derzeit alle Wasch- und Reinigungsmittel gut verkauft werden. Auch Seifen und Handwaschmittel werden stark auf Vorrat gekauft. Nun werden wir unser Angebot an Hand-Desinfektionsmitteln für den häuslichen Gebrauch und Seifen ausbauen, weil Sauberkeit und Hygiene weltweit immer stärker im Fokus stehen.
Nur Pech, dass die mit 50 Prozent Umsatzanteil wichtigste Sparte Klebstoffe stark schwächelt und schon im 1. Quartal vier Prozent verlor, obwohl der harte Corona-Abschwung erst im März kam.
KNOBEL Auch hier ist das Bild gemischt. Natürlich trifft uns, dass es derzeit in der Auto- und Flugzeugindustrie weniger Nachfrage gibt, weil global viele Produktionsanlagen geschlossen sind. Aber Verpackungen sind sehr gefragt und die machen rund ein Fünftel des Geschäftes dieser Sparte aus. Außerdem kommen unsere Klebstoffe auch in der Herstellung von medizinischen Geräten zur Anwendung. Wir sehen aber auch, wie sich das Geschäft in China insgesamt langsam wieder belebt.
Wird es nach der Pandemie weniger Dienstreisen geben?
KNOBEL Wir erleben ja gerade eine neue Art der Arbeitswelt. Und das klappt erstaunlich gut, auch wenn wir das früher anders organisiert haben. Daher werden wir zukünftig sicher deutlich seltener reisen, obwohl der persönliche Kontakt mit Kunden und Kollegen natürlich sehr wichtig bleibt.
Gemessen an den Aktienkursen sind Unternehmen global viel billiger geworden. Könnte Henkel also große Zukäufe in der Krise wagen?
KNOBEL Unabhängig von der aktuellen Krise gilt weiter, dass Akquisitionen für Henkel zur Strategie gehören. Wir haben eine gesunde Bilanz, wir wollen weiter wachsen. Aber ein möglicher Zukauf muss strategisch passen, der Preis muss stimmen und ein Übernahmeziel muss verfügbar sein. Doch wir sind in der aktuelle Lage natürlich auch vorsichtig. Denn niemand kann vorhersagen, wie lange die Weltwirtschaft noch in Turbulenzen stecken wird.
Wie bewerten Sie das Handeln des Staates?
KNOBEL Die Bundesregierung macht insgesamt einen sehr guten Job. Es war richtig, der Pandemie entschlossen zu begegnen. Als nun vor etwa zwei Wochen eine erste Lockerung durch die Kanzlerin verkündet wurde, habe ich das auch begrüßt. Aber wenn sich nun die verschiedenen Bundesländer jeweils mit eigenen Konzepten profilieren, sehe ich das kritisch.
Warum?
KNOBEL Wir brauchen hier keinen föderalen Wettbewerb, sondern ein bundesweit abgestimmtes Vorgehen. Es verunsichert die Menschen und auch die Wirtschaft, wenn immer neue Vorschläge diskutiert werden und dann unterschiedlich interpretiert und umgesetzt werden. Das Schlimmste, was uns passieren kann, wäre, wenn wir durch zu wenig Vorsicht in eine zweite, große Infektionswelle hineinlaufen.
Wie bewerten Sie in dem Zusammenhang, dass die Bundesliga bald wieder starten will?
KNOBEL Als Fußballfan finde ich es natürlich gut, wenn der Betrieb der Bundesliga wieder losgeht. Darauf freuen sich Millionen Fans. Und das sichert auch die Überlebensfähigkeit vieler Vereine. Aber zwei
Bedingungen müssen neben dem Einhalten der Hygienevorschriften eingehalten werden.
Das wären?
Knobel Es sollte klar sein, dass die Saison ganz abgebrochen wird, falls Fans sich vor den gesperrten Stadien dann doch zu hunderten oder tausenden treffen. Und es muss sichergestellt sein, dass es genügend Tests gibt. Denn Kapazitäten zum Testen der Spieler und Betreuer sollten nicht in wichtigen Einrichtungen wie Krankenhäusern fehlen.