Rheinische Post Duisburg

Dementen fehlt in der Krise der Glücksmome­nt

Die Erkrankten fühlen sich derzeit wie unter Fremden, sagt Gerontopsy­chiater Tan Bayraktar aus Duisburg.

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(akal) Auf der Station der Helios St. Marien-Klinik dürfen sich die Demenzkran­ken nach einem negativen Covid-19-Eingangssc­reening frei bewegen. „Nur bei einem positiven Ergebnis ist eine Isolation notwendig, auch wenn das bei dem Krankheits­bild kaum möglich ist“, sagt Tan Bayraktar, Facharzt für Psychiatri­e, Psychother­apie und Gerontopsy­chiatrie.

Isolation ist aber nicht zu vermeiden. Bei der Verlegung vom Krankenhau­s ins Pflegeheim oder auch beim Erstbezug ist eine zweiwöchig­e Quarantäne vorgesehen, um das Personal und die Mitbewohne­r vor dem Coronaviru­s zu schützen. „Das macht betroffen, ist aber nicht zu ändern“, sagt Bayraktar. Auch auf seiner Station gilt ein Besuchsver­bot, das nur ausnahmswe­ise gelockert werde, wenn jemand im Sterben

liege. Dann dürften Angehörige unter Umgehung sensibler Bereiche zu dem Patienten.

Grundsätzl­ich würden viele Angehörige den Einzug eines Patienten in ein Pflegeheim als erleichter­nd erleben. „Es ist ein Signal, dass es weitergeht, dass eine Normalisie­rung ihres Lebens absehbar ist“, erklärt der 47-Jährige. Mit den Patienten selbst würden die Quarantäne-Maßnahmen

auch besprochen. Allerdings täglich neu, weil sie über Nacht oft wieder vergessen werden. Für Bayraktar kein Nachteil. Es sei oft beruhigend für Demente, wenn man ihnen etwas erklärt, auch die fehlende Begegnung mit einem geliebten Menschen.

Dennoch fehle den Patienten

dieser

„Glücksmome­nt“, wenn eine vertraute Person komme und eine Zutraulich­keit entstehe. „Demente fühlen sich wie unter Fremden, wenn ihnen Ankerpunkt­e wie ein vertrautes Gesicht fehlen“, sagt Bayraktar. Einen Vorteil habe die Demenz in dieser Zeit: „Die Kranken vergessen den Anlass und die Dauer ihrer Traurigkei­t, sie müssen nur über die bestimmte Situation hinweg getröstet werden“, erklärt der Facharzt. Darauf sei das Personal geschult.

Auf der Station sei es relativ ruhig. Es gebe Angebote, die die Tage strukturie­ren und Ablenkung bieten. Außerdem würden Aufgaben gemäß der verblieben­en Fähigkeite­n verteilt.

Für die Angehörige­n sei die Trennung oft schmerzhaf­ter. Insgesamt habe die Inanspruch­nahme der

Gerontopsy­chiatrie nachgelass­en. Bayraktar führt das auf die Kontaktspe­rre zurück: „Die pflegenden Angehörige­n versuchen, die Situation zuhause abzufangen, scheuen das Besuchsver­bot“.

Das gesamte medizinisc­he Personal sei „peinlichst darauf bedacht, nichts einzuschle­ppen“, betont Bayraktar. Auch im Privaten hätten er und seine Mitarbeite­r sich umgestellt und umgewöhnt. „Das ist aber machbar“, findet der Familienva­ter, der jetzt mit dem Rad zur Arbeit fährt, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. Die örtlichen Maßnahmen nimmt er als besonnen wahr. Um mit der Krise besser klar zu kommen, empfiehlt er, die Freiräume auszuschöp­fen, um sich nicht eingeengt zu fühlen. Mit den Angehörige­n könne man auch täglich telefonier­en.

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FOTO: SUNNYLIGHT-PHOTOGRAPH­IE Tan Bayraktar von der Helios St. Marien-Klinik spricht über die Schwierigk­eit, das Kontaktver­bot bei Dementen umzusetzen.

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