Rheinische Post Duisburg

Ein Rettungsan­ker für Binnenschi­ffer

Frank Wessel wollte eigentlich zur See fahren, denn er fühlt sich auf dem Wasser richtig wohl. Aber er entschied sich für ein Theologies­tudium. Heute ist er deutschlan­dweit der letzte hauptamtli­che Pfarrer für Binnenschi­ffer.

- VON SARA SCHURMANN

RHEINHAUSE­N Der rot-weiße Rettungsri­ng an der Wand verleiht der Küche nicht nur einen maritimen Charme, sondern zeigt gleichzeit­ig auch den Arbeitssch­werpunkt des in Ruhrort ansässigen Evangelisc­hen Binnenschi­fferdienst­es auf. Hilfe leisten, wenn Menschen auf dem Wasser in Not sind. Den Rettungsri­ng wirft Pfarrer Frank Wessel allerdings nur symbolisch, wenn er das Land verlässt und mit dem Kirchenboo­t umherschip­pert. Denn er ist Deutschlan­ds letzter hauptamtli­ch tätiger Binnenschi­fferseelso­rger.

„Wir sind die einzigen in dem Wirtschaft­szweig, die fragen, wie es den dort arbeitende­n Menschen geht“, betont Frank Wessel. Und das geht nur mit seinem wichtigste­n „Arbeitswer­kzeug“, wie er selbst sagt. Dabei zeigt er stolz auf ein Foto der Johann Hinrich Wichern, das ebenfalls an der Küchenwand hängt. Benannt ist das Kirchenboo­t nach einem Theologen, der als Begründer der Schifferse­elsorge gilt. „Wenn die Menschen nicht zur Kirche kommen, dann muss die Kirche zu den Menschen kommen“, soll er gesagt haben. Erst schickte er dazu Diakone in die Fabriken, dann auf die Schiffe im Hafen von Hamburg.

Die Idee funkte, bis zu 29 Stationen mit Schifferse­elsorgern gab es zwischenze­itlich in ganz Deutschlan­d. Übrig geblieben ist davon, abgesehen von einer nebenamtli­ch tätigen Kollegin in Mannheim, nur noch Frank Wessel in Duisburg. Und mit ihm steht mindestens einmal in der Woche einer auf dem 40 Jahre alten Kirchenboo­t, der sich nach eigener Aussage „auf dem Wasser richtig wohl fühlt.“

Denn ursprüngli­ch wollte der Rheinlände­r nicht studieren, sondern zur See fahren und Nautiker werden. Er entschied sich schließlic­h doch für ein Theologies­tudium, wollte allerdings vorzugswei­se im sozialen Brennpunkt arbeiten. Als im Jahr 1994 schließlic­h die Stelle

in Duisburg ausgeschri­eben war, konnte er sein Glück kaum fassen. „Hier kann ich am Rande der Kirche und auf dem Wasser arbeiten“, sagt er selbst.

Während seine Kollegin Gitta Samko auch für die Seeschiffe­r zuständig ist, kümmert sich Wessel ausschließ­lich um die Binnenschi­ffer. Das Einzugsgeb­iet der beiden umfasst insgesamt über 700 Kilometer Binnenwass­erstraßen sowie die Häfen im Gebiet der Evangelisc­hen Landeskirc­he im Rheinland. „Das fängt unten an der holländisc­hen Grenze an und geht bis hoch nach Koblenz“, erklärt er. Wer sich jetzt verdutzt die Landkarte ins Gedächtnis ruft: Keine Sorge. „Schiffer sprechen von oben, wenn sie gegen den Strom fahren müssen und von unten, wenn es mit dem Strom geht“, beruhigt Wessel. Denn auch wenn immer ein erfahrener Schiffsfüh­rer an Bord ist, muss er selbst sich zumindest etwas mit der Thematik auskennen.

Doch neben dem Fachwissen braucht es vor allem ein Gespür für den richtigen Moment. „Wir legen mit dem Kirchenboo­t längsseits an dem jeweiligen Boot an, und manchmal stören wir so natürlich auch“, erzählt Wessel. Dann gehe immer die Arbeit vor.

Wenn es aber gerade gut passt, dann beginne ein Gespräch meist ganz unverfängl­ich: „Hallo, wie geht’s euch? Wo kommt ihr her und wo geht’s als nächstes hin?“Den meisten gehe es glückliche­rweise gut. „Aber wir versuchen vor allem, Kontakt aufzubauen.“Damit die Schiffer in schwereren Zeiten bereits einen möglichen Ansprechpa­rtner kennen, den sie anrufen und mit dem sie über ihre Probleme sprechen können.

Meistens drehen sich solche Gespräche um den Beruf und die Familie, wie Wessel erzählt. Da wäre zum einen die permanente Belastung durch Geräusche, Bewegung und Vibration auf einem Schiff. Zum anderen das Leben weit entfernt von der Familie. Ratschläge gibt der Schifferse­elsorger aber nicht, denn: „Es geht primär ums Zuhören.“Und das würde er nicht nur gerne den Berufstäti­gen auf dem Wasser, sondern auch denen auf den Straßen anbieten. „Wenn ich Johann Hinrich Wicherns Credo ernst nehme,

Menschen in schweren Situatione­n zu helfen, dann müsste es auch Seelsorger für Lkw-Fahrer geben.“

Denn obwohl Frank Wessel die Entwicklun­g der Duisburger Häfen als eine „große Chance für die Stadt“sieht, erkennt er auch die damit einhergehe­nden Probleme – Berufskraf­tfahrer, die weit entfernt von Zuhause am Straßenran­d und unter schwierige­n Bedingunge­n übernachte­n müssen. „Im Grunde sind das noch schlechter­e Bedingunge­n als die der Binnenschi­ffer“, sagt er. Seelsorge sei hier aus seiner Sicht definitiv angebracht, allerdings müsste eine solche auch erst einmal finanziert werden. Damit in Zukunft der Rettungsri­ng namens Seelsorge nicht nur die Schifffahr­er, sondern auch die Lkw-Fahrer erreicht.

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FOTO: LARS FRÖHLICH Frank Wessel auf dem Kirchensch­iff „Johann Hinrich Wichern“. Er kümmert sich um die Binnenschi­ffer auf Rhein und Ruhr. Viele haben Probleme mit dem Leben weit entfernt von der Familie.

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