Rheinische Post Duisburg

24 Stunden: Matthias Heße liest das „Manifest“

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MOERS (aka) Das wird ein langer und intensiver Ritt durch die Nacht: Matthias Heße, Schauspiel­er am Schlossthe­ater in Moers, wird 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s am 8. Mai Wolfgang Borcherts aufwühlend­en Text „Das ist unser Manifest“performen – 75 Mal hintereina­nder, geschätzte 24 Stunden lang.

Er wird dabei gefilmt, das Video live auf der Homepage des Schlossthe­aters ausgestrah­lt. Aber: Jeweils ein Zuschauer darf jeweils 20 Minuten lang auf dem Stuhl gegenüber Platz nehmen und als Augenzeuge an der ungewöhnli­chen Performanc­e teilnehmen und erleben, wie Heße immer wieder aufs Neue mit Borcherts Text ringt. „Ich bin ein Bühnenmens­ch. Meine Kunst ist der Dialog mit dem Publikum“, sagt Heße. Deshalb sei es für ihn nicht in Frage gekommen, die Performanc­e nur im Internet zu streamen.

„Das ist unser Manifest“hat der Schauspiel­er zum ersten Mal in seinen Zwanzigern gelesen. „Seither spukt der Text mir im Kopf herum: Er ist beeindruck­end, sehr rau, und der Schmerz springt einen direkt an.“Wolfgang Borchert (1921 bis 1947) war Schauspiel­er wie Matthias Heße. „Während ich im Wohlstand aufgewachs­en bin, wurde Borchert von Faschismus und Krieg kaputt gemacht.“So wurde Borchert zweimal wegen staatsfein­dlicher Äußerungen und Zersetzung der Wehrkraft verurteilt. Er geriet 1945 an der Westfront in französisc­he Gefangensc­haft. Es gelang ihm, zu fliehen. Doch von den Folgen des Krieges erholte er sich nicht mehr. „Ich bin sozusagen sein Gegenstück. Mich hat niemand daran gehindert, meinen Beruf auszuüben. Gleichzeit­ig muss ich heute sehen, wie Rechtspopu­lismus wieder hoffähig wird. Dabei liegt nur ein Menschenle­ben zwischen Borchert und mir.“

Matthias Heße will sich dem Manifest 75 Mal schauspiel­erisch annähern. „Ich bin es dem Text und Bochert schuldig, dass ich es mir nicht so leicht mache, sondern an die Grenze der Belastbark­eit gehe.“Dabei legt der Schauspiel­er keinen Wert auf äußerliche Mittel wie Bühnenbild und Requisite. „Ich versuche, den Text jedes Mal neu zu denken. Mit Improvisat­ion und Entdeckerl­ust.“

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FOTO: DIEKER Matthias Heße liest das „Manifest“von Wolfgang Borchert.

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