Der kleine Alparslan ist gerettet
Der 15-monatige Sohn von Yalcin Alkurt hat die Behandlung mit dem teuersten Medikament der Welt bekommen.
Yalcin Alkurts Gesichtsausdruck? Der erzählt von Friede, Freude und Glück. Dabei ist er gar nicht zu sehen. Denn das Gespräch wird am Telefon geführt. Allein der Klang seiner Stimme macht all dies deutlich. „Unsere Freunde sagen immer wieder, dass wir ganz anders klingen und ganz anders aussehen“, sagt er. All die Monate des Kämpfens, des Weitermachens und der Verzweiflung liegen nun hinter Yalcin und Fatma Alkurt. „Wir hatten die Hoffnung beinahe schon aufgegeben.“Die Hoffnung, den eigenen, kleinen Sohn noch retten zu können. Doch mit einem Kopfschütteln verfliegt die Erinnerung an diesen Moment, als die Seele den dunkelsten Punkt erreicht hatte. Weil das Telefon schellt. Und eine Stimme sagt: Alparslan bekommt das Medikament.
„Am Mittwoch vor einer Woche hat er die Spritze bekommen“, berichtet sein Vater, der früher als Amateurfußballer für den SV Genc Osman Duisburg und den FSV Duisburg kickte, zuletzt aber mit seiner Ehefrau ein schlagkräftiges Duo bildete. Der Kampf ist gewonnen. „Als eines der ersten Kleinkinder in Deutschland hat der 15-monatige schwerkranke Alparslan Alkurt am Klinikum Kassel eine neuartige Therapie erhalten, die ihm vermutlich das Leben retten wird“, heißt es in einer Mitteilung der Gesundheit Nordhessen Holding AG, zu der das Klinikum gehört. Wie schon mehrfach berichtet leidet Alparslan an Spinaler Muskelatrophie.
Diese seltene Erbkrankheit bricht nur dann aus, wenn beide Eltern Träger des defekten Gens sind und das jeweils kranke Gen von beiden Eltern vererbt wird. Dann „können bestimmten Nervenzellen im Rückenmark nur kurzzeitig überleben. Der fortschreitende Untergang dieser Nervenzellen führt zu Lähmungen und Muskelschwäche“, erklärt die GNH. Bis hin zur Atemmuskulatur. „Je nach Schweregrad kann die Erkrankung bereits in den ersten beiden Lebensjahren tödlich enden“, so die Klink weiter. Das ist Fatma und Yalcin Alkurt nur zu schmerzlich bewusst. Alparslans Schwester Irem, die er nicht mehr kennengelernt hat, starb am 10. Juli 2017 an der gleichen Krankheit.
Damals gab es das Medikament Zolgensma noch nicht. Dabei handelt es sich um eine Gentherapie, bei der eine „funktionsfähige Variante des Gens SMN1 in die Körperzellen“eingeschleust wird.
Verpackt in eine „Genfähre“gelangt es zum Zellkern, wo das therapeutische Gen entpackt wird, „welches auf komplexe molekularbiologische Weise in die kindliche DNA eingebaut wird. Der Defekt wird so endgültig repariert“, heißt es in der GNH-Mitteilung. „Studien in den USA zufolge haben Kinder, die mit Zolgensma behandelt wurden, enorme Entwicklungssprünge gemacht“, erläutert Chefarzt Prof. Dr. Bernd Wilken. Ende März hatte die europäische Arzneimittelbehörde EMA die Zulassung auch für Europa empfohlen. „Wir erwarten, dass das Medikament in den nächsten Wochen auch bei uns auf dem Markt ist“, so Wilken. Bis dahin bleibt ein riesiges Problem: Es gilt mit rund zwei Millionen US-Dollar als teuerstes Medikament der Welt.
Die Alkurts kämpften. Sie waren vor Gericht, um eine Finanzierung durch die Krankenkasse zu erzwingen. Sie starteten mit der „Deutsche
Muskelstiftung“eine Spendenaktion, die bislang 400.000 Euro eingebracht hatte. Eine ganze Menge – aber eben nicht genug. „Das Klinikum Kassel hatte uns dann für ein Härtefallprogramm angemeldet“, berichtet Yalcin Alkurt. „Und als wir kaum noch damit gerechnet hatten, kam der erlösende Anruf.“
Alparslan, der mit dem Typ 1 am schwersten Verlauf der Krankheit leidet, erfüllte alle Voraussetzungen. „Und dann ging es sehr schnell.“Die winzige Ampulle, die das Medikament beinhaltete, kam verpackt in
20 Kilogramm Trockeneis aus den USA nach Deutschland. Mit Hilfe einer Infusion wurde das Medikament schließlich verabreicht. Nach einer Stunde waren die 50 Milliliter bereits durchgelaufen.
Ob nach diesen wenigen Tagen schon etwas zu bemerken ist? „Es kann sein, dass es daran liegt, dass Fatma und ich so überwältigt sind“, sagt Yalcin Alkurt, „aber wir haben den Eindruck, dass sich Alparslan bereits bemüht, sich mehr zu bewegen als zuvor.“Professor Wilken betont: „Bis wir erste Resultate der Therapie erkennen, wird das noch ein paar Monate dauern.“Fünf Jahre lang wird das Klinikum Kassel Alparslan nun engmaschig betreuen. „Wir werden wöchentlich zur Behandlung nach Kassel fahren. Das wird dann mit der Zeit weniger“, so Yalcin Alkurt. Wie sehr die Beweglichkeit zurückkehrt, wird eben diese Zeit mit sich bringen.
Dann denkt er an seine Ehefrau Fatma. „Ohne einen starken Partner, kannst du so etwas nicht durchstehen. Und Fatma hat den größten Teil getragen. Ich musste ja arbeiten. Sie hat alle möglichen Krankenhäuser abtelefoniert, mit Ärzten gesprochen, hat gekämpft, um all dies möglich zu machen. Und sie hat es möglich gemacht“, sagt Yalcin Alkurt.
Auch dem SV Genc Osman ist er unglaublich dankbar. Der Verein aus Duisburg-Neumühl hatte die Berichterstattung auf seinen sozialen Kanälen im Internet stark verbreitet und sorgte damit für viel Resonanz, was die Spendenaktion befeuerte. „Ich weiß nicht, wie ich dem Verein danken und das je zurückgeben kann. Aber es wird einen Weg geben.“Sport ist eben mehr als Toreschießen.